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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

bekundete, legte sich wie ein giftiger Dunst über das ganze Verhör, und als der finster blickende Herr von dem Resultat seiner Bemühungen nicht völlig befriedigt schien, machte er Andeutungen, die auf die weitere Haltung des jungen Mannes nicht ohne Einfluß blieben.

Er stellte nämlich dem Verhafteten die Anwendung einer gelinden Folter in Aussicht, falls derselbe nicht rückhaltslos die volle Wahrheit bekenne.

Salvatore zuckte bei dieser Eröffnung zusammen. Doch beruhigte er sich im Gedanken, daß die Bekenntnisse, die er nach und nach sich würde abringen lassen, dem Beamten und den künftigen Richtern ja ganz unzweifelhaft als Wahrheit erscheinen würden; denn Emmanuele Nacosta – das mußte man dem Polizei- Aspiranten einräumen – war ein Meister in der Kunst, selbst das Unwahrscheinliche glaubhaft zu machen, und die Vorgeschichte des Scheinattentats, die Salvatore in Gemeinschaft mit Emmanuele ersonnen hatte, überschritt durchaus nicht die Grenzen des Denkbaren.

Nach zahllosen Kreuz- und Querfragen zog sich der Beamte zurück.

Nochmals die Einzelheiten dieses Verhörs überdenkend, schritt der Apulier wohl eine Stunde lang hin und her. Allmählich ergriff ihn die Müdigkeit. Seinen Widerwillen bekämpfend, streckte er sich auf das verwahrloste Lager und schloß die Augen. Nach kurzer Frist war er eingeschlafen, und die Zügellosigkeit der Traumphantasie spann die Bilder nun weiter, die er vorhin im Rausch seiner wachen Ekstase begonnen hatte.

Am dritten Tage ward Salvatore in Begleitung zweier Carabinieri vor den Untersuchungsrichter geführt, der in einem der oberen Räume des alten Castells mit seinen Schreibern und Gerichtsdienern Sitzung hielt.

Nachdem der Richter den Verhafteten um Namen, Herkunft, Alter, Beruf etc. gefragt hatte, fuhr er mit langsamer, geschäftsmäßiger Stimme fort:

„Salvatore Padovanino, Ihr seid eines Verbrechens beschuldigt, das die Gesetze des Königreichs mit dem Tod durch die Hand des Henkers bedrohen. Den Aussagen glaubwürdiger Zeugen zufolge, in deren Zahl der Polizei-Aspirant Emmanuele Nacosta obenan steht, habt Ihr am sechsundzwanzigsten dieses Monats in der vierten Nachmittagsstunde am Eingang der Piazza des Carlo-Theaters auf Seine Eminenz den Cardinal Monsignore De Fabris, den ersten Minister Seiner Majestät des Königs, einen Schuß abgefeuert in der nicht weiter zu erhärtenden Absicht, Seine Eminenz zu tödten. Ihr seid mit der Waffe in der Hand von dem Polizei-Aspiranten Emmanuele Nacosta ergriffen und mit Hülfe einiger wackeren Männer glücklich bewältigt worden, ehe Ihr im Stande waret, Euren verbrecherischen Angriff gegen die erhabne Person des Monsignore zu wiederholen. Die Waffe, eine Reiter-Pistole schwersten Calibers, ist bei der königlichen Gerichtsstätte durch den Zeugen Emmanuele Nacosta deponirt worden. Ihr erblickt sie hier auf dem Seitentisch. Salvatore Padovanino, ich frage Euch nun: bekennt Ihr Euch des Mordversuchs auf Seine Eminenz schuldig, und räumt Ihr ein, daß dieser Mordversuch vermittelst der hier vorliegenden Waffe begangen wurde?“

Der Apulier athmete schwer und bänglich. Das verhängnißvolle Ja wollte ihm nicht über die Lippen. Freilich, aus den Worten des Untersuchungsrichters ging ja hervor, wie glücklich und glaubhaft Emmanuele Nacosta sich als Zeuge geberdete. Das flößte dem Beschuldigten ein Gefühl der Sicherheit ein. Der Instinct aber war mächtiger als die Erwägung. Der Untersuchungsrichter mußte die Fragen unter Beifügung einer sehr nachdrücklichen Ermahnung wiederholen, ehe sich Salvatore zu einer bejahenden Antwort entschloß.

„Gut,“ versetzte der Untersuchungsrichter; „ich muß Euch bemerken, daß die Verstocktheit, mit der Ihr Euch weigern zu wollen schient, eine Thatsache einzuräumen, die durch so und so viele Augenzeugen beglaubigt ist, eine große Kurzsichtigkeit verräth. Nur ein rückhaltsloses Geständniß bietet möglicher Weise dem königlichen Tribunal Veranlassung, Euch als verirrt und verblendet der allerhöchsten Gnade Seiner Majestät zu empfehlen. Leugnet Ihr aber, laßt Ihr uns über die Beweggründe Eurer That im Unklaren, so ist Euer Schicksal besiegelt. – Das vergeßt nicht, wenn ich Euch jetzt um die Einzelheiten befrage! Verstanden?“

„Ja, Herr,“ sprach der Apulier.

„Also nochmals: Ihr hattet die Absicht, den Monsignore De Fabris zu tödten. Was bewog Euch zu dieser Missethat?“

„Der Wunsch, meinem Vaterlande zu nützen.“

„Wieso? Nützt man dem Vaterlande, wenn man seine Gesetze mit Füßen tritt? wenn man den Wohlthäter des Vaterlandes meuchlings ermordet?“

Dem Geist seiner Rolle entsprechend, nahm Salvatore jetzt eine etwas theatralische Haltung an.

„Herr,“ sagte er augenrollend, „Ihr redet von Eurem Standpunkte aus; ich aber handelte von dem meinen. Monsignore De Fabris hat keinerlei Anspruch auf den Ruhm eines Wohlthäters der Nation; er ist ihr Feind, ihr Tyrann – und diesen Tyrannen aus dem Wege zu räumen, das hielt ich für eine verdienstliche That der Vaterlandsliebe. Wäre geglückt, was ich plante, so würde Neapel heute mir zujauchzen, und Ihr selber, Signore, mühtet Euch vielleicht um die Freundschaft des Mannes, der jetzt gefesselt vor Euren Schranken steht.“

Der Untersuchungsrichter nagte die Lippen.

„So! So!“ nickte er vor sich hin. „Dacht’ ich’s doch! Also wiederum ein Opfer jener unheilvollen staatsfeindlichen Propaganda! Bei Gott, es wäre nun Zeit, daß endlich einmal aufgeräumt würde mit den Männern der Revolution!“

Er sagte dies mehr zu sich selbst als zu dem Angeklagten. Dann fuhr er fort:

„Habt Ihr Mitschuldige?“

„Gesinnungsgenossen, ja,“ gab der Apulier trotzig zur Antwort; „unzählige; aber Mitschuldige, in Eurem Sinn – nein! Ich gedachte den Lorbeer, nach dem ich strebte, für mich allein zu erwerben.“

Der Untersuchungsrichter ließ sich durch die herausfordernde Haltung des jungen Mannes nicht aus seiner geschäftsmäßigen Kaltblütigkeit herausdrängen.

„Die That also habt Ihr allein geplant. Wohl! Die Einzelheiten erörtern wir noch. Aber die Gesinnung, aus der sie hervorgegangen, theilt Ihr mit Andern. Ihr habt dieserhalb Eure Gedanken ausgetauscht, und so im Verkehr mit Leuten von gleicher Pietätslosigkeit den traurigen Muth geschöpft zu dem Verbrechen, für das Ihr Euch jetzt verantworten sollt. Ist dem so?“

„Nicht ganz, Herr. Ich habe hier in Neapel so gut wie keine Verbindung; mein Verkehr beschränkte sich auf zwei Hülfsarbeiter des Rechtsanwalts, bei dem ich beschäftigt war; und diese Beiden – davon werdet Ihr Euch leicht überzeugen – gehören nicht zur Partei der Freiheitsfreunde . . .“

„Ihr aber seid ein eifriges Mitglied dieser Partei, besucht ihre geheimen Versammlungen, betheiligt Euch an der ganzen wüsten Agitation?“

„Auch das nicht,“ sprach Salvatore mit fester Stimme. „Ich sagte ja schon, daß ich ohne alle Beziehungen bin. Gleichwohl hat die Partei der Freiheitsfreunde mich erheblich beeinflußt. Ihr wißt, daß die Grundsätze dieser wirklichen Patrioten in Flugblättern aller Art auseinander gesetzt und vertheidigt werden, – in Schriften, die man aus dem Sardinischen oder von Frankreich her einschmuggelt. Diese Flugblätter hab’ ich mit Eifer gelesen, und schon nach kurzer Frist die Ueberzeugung gewonnen, daß Wahrheit und Recht auf Seiten der Oppositionspartei kämpfen, und daß kein Heil zu erwarten ist, so lange der Monsignore am Ruder bleibt.“

„Wo verschafftet Ihr Euch diese Flugblätter?“

Salvatore lächelte.

„Die Hausirer vertreiben sie unter den Augen der Polizei, vor dem Palaste des Cardinals, an den Thoren des königlichen Schlosses.“

„Unerhört!“ sagte der Inquirent mit einem Blick auf die Secretäre, die seines Dictats gewärtig an dem Nebentisch saßen. „Hattet Ihr eine Ahnung von diesem Unfug, Signor Breda?“

„Leider, Siguor Cavaliere,“ gab der Secretär mit einem flüchtigen Achselzucken zur Antwort. „Freunde von mir sind an verschiedenen Stellen der Via Toledo von den Verbreitern solcher Pamphlete geradezu molestirt worden, obgleich sie kaltblütig ablehnten, ja mit sofortiger Anzeige drohten. Daheim angelangt, fanden sie dann die Zettel mit den revolutionären Attaken in ihren Rocktaschen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 342. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_342.jpg&oldid=- (Version vom 31.5.2021)