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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

rosigen Wahn, für sich und das Wohl der Regierung etwas Kolossales zu leisten – und zur Erkenntniß vom Gegentheil kommt er ja überhaupt nicht. Das Alles geht eins, zwei, drei, – und dann spricht der Pfaffe ein Paternoster.“

„Wenn ihm nur die frappante Aehnlichkeit zwischen dem vermeintlichen Cardinal und Herrn Marsucci nicht auffällt! Oder habt Ihr die Möglichkeit, Euch für diesmal den Obliegenheiten Eures Berufs zu entziehen?“

„Das nicht, Signora. Gleichwohl ist Nichts zu befürchten. Mein Bart ist inzwischen tüchtig gewachsen, und mein Costüm thut das Uebrige. Auch wird der Apulier trotz seiner Zuversicht ein bischen aufgeregt sein, – das begreift sich ja – und in solcher Verfassung hat man wenig Talent zum Beobachten.“

„Ich für mein Theil, ich würde Euch erkennen, Marsucci!“

„Ja, Ihr! Die Weiber sind wie die Schlangen! Der aber – der sieht wohl, daß eine Wolke, die droben im Aether segelt, wie ein Adler gestaltet ist oder wie ein Gesicht – aber das Nächste – was ihm dicht unter die Augen tritt – das existirt für ihn nicht! Nun, und wenn auch, so wird er höchstens auf den Gedanken kommen, für den Gehülfen des Scharfrichters sei es anßerordentlich schmeichelhaft, mit Seiner Eminenz das gleiche Profil zu haben. Wie gesagt, Ihr glaubt nicht, Signora, wie bornirt diese Virtuosen der Phantasie in Fragen des alltäglichen Lebens sind! Na, alltäglich ist die Sache ja eigentlich nicht – aber ich meine nur . . . Und wenn ich auch hierin mich täuschte, so ist Eines doch zweifellos: der Signore di Napoli wird ihm nicht lange Zeit lassen, sein Staunen in Worte zu kleiden.“

Es entstand eine Pause. Dann fragte Crispina zögernd:

„Und wann . . .?“

„Sobald das Urtheil rechtskräftig wird. Das dauert noch eine Weile – länger vielleicht als uns lieb ist.“

„Wie so?“

„Nun, der Cesari, der ihn vertheidigt hat, ist ein zäher Geselle, – doppelt zähe vielleicht, weil die Regierung aus Anlaß des Attentats die ‚Freiheitsfreunde‘ vielfach gemaßregelt hat. Ihr wißt doch –“

„Ja, ja, ich weiß! Aber was hat das mit dem Proceß zu thun?“

„Nichts, nichts! Ich meinte nur, ein Bär, den man reizt – Ihr kennt ja das alte Sprüchwort. Der Signore Cesari wird Alles aufbieten, um die Sache hinauszuziehn. Ich verstand nicht recht, was der Carabiniere mir vorschwatzte. Es scheint, daß es noch Rechtsmittel giebt. Helfen wird’s ihm freilich so wenig, wie alles Andre, was er bis jetzt in’s Feld geführt hat. Einiges davon stand ja in der Gazzetta. Er behauptet, Salvatore sei nicht klar bei Vernunft; seine Aussage enthalte eine Reihe von Widersprüchen – nun, Ihr habt es wohl gelesen. Dann aber soll auch bei den Verhandlungen irgend ein Fehler mit untergelaufen sein, der eine Handhabe bietet – natürlich nur zum Verschleppen, nicht etwa zur Aenderung des Urtheils. Ich betone das nur, damit Ihr nicht staunt, wenn’s vielleicht ein paar Wochen noch dauert. Uebrigens – merkwürdig, woher dieser Cesari den Muth nimmt, so mit den Herren vom Tribunale Fangball zu spielen, während er selbst doch scharf an der Kante steht – Ihr wißt, von wegen der königlichen Edicte! Vier oder fünf seiner Gesinnungsgenossen hat die Regierung dieser Tage erst über die Grenze geschickt! Es scheint jedoch, daß er Verbindungen hat bis hinauf ... Sonst wäre es rein unbegreiflich, wie es ihm gestattet wird, bei jedem Anlaß über die Schnur zu schlagen.“

„Der verwünschte Geselle!“ platzte Crispina heraus. „Was er nur will, der Laffe! Wenn der Apulier sich bei dem Urtheil zufrieden giebt – und das wird er doch wohl –“

„Gewiß! Der Apulier hat sofort Ja und Amen gesagt. Cesari jedoch, als Vertheidiger, legt Protest ein – und da er nicht von Salvatore gewählt, sondern durch das Loos ihm bestimmt wurde, so hat er ein Recht hierzu. Auch versichert er ja, der Apulier sei nicht zurechnungsfähig. Nun, er mag sehn, was er anstellt; ausrichten wird er nicht das Geringste, denn der Cardinal selber steckt, wie es heißt, hinter den Richtern, und trägt Kohle zum Feuer. Der heillose Schreck ist dem Monsignore dergestalt in die Glieder gefahren, daß er ein Exempel statuiren will, – und er scheint es eilig zu haben.“

Crispina erhob sich jetzt und trug aus dem Nebenzimmer eine Foglietta mit dunklem Asti herbei. Dann holte sie Gläser und schenkte ein.

„Euer Wohl, Herr Gevatter!“ wandte sie sich zu Marsucci. „Ich hoffe, Ihr tragt es mir nicht nach, wenn ich früher auf Euch gescholten, – und daß ich erschrocken bin, als ich hörte, welch’ verteufelt Geschäft Ihr jetzt treibt. Es liegt uns im Blut – von der Mutter her: aber ich hab’ mir’s nun abgewöhnt, und so find’ ich, daß der Titel ,Signore di Napoli‘ ganz respectabel klingt. Nun, Emmanuele, weshalb trinkst Du nicht mit?“

„Ich kann nicht,“ versetzte Nacosta. „Mir ist die Kehle wie zugeschnürt.“

„Narr! Versuch’s nur! Das klärt Dir das dumpfige Blut! Du lebst zu üppig, Emmanuele! Wahrhaftig, manchmal bedünkt’s mich, als setztest Du Fett an! Komm! Auf Einen Zug!“

So suchte sie ihn mit hereinzuziehn in die Stimmung, die den Gehülfen des Scharfrichters und sie selbst mit so naiver Schamlosigkeit beherrschte. Emmanuele trank. Sie füllte sein Glas von Neuem. Er leerte es abermals – dann aber schien ihm zu grauen vor dem teuflischen Gelächter, das Crispina beim Anblick seiner Fügsamkeit aufschlug. Die Schultern hoch ziehend lehnte er sich in den Sessel zurück und schloß mit einem tiefen, peinvollen Seufzer die Augen.

Als Marsucci mit der flotten Crispina die Foglietta geleert hatte, nahm er Abschied.

Emmanuele murmelte ein gepreßtes „Gott sei Dank!“, erhob sich und trat hinaus in den Garten. Crispina folgte ihm und hing sich, wie eine Verliebte, an seinen Arm. So durchwandelten sie, Schulter an Schulter gelehnt, die lauschigen Kieswege. Eine friedvolle Abendstille senkte sich mehr und mehr auf das reizende Fleckchen Erde, das Nichts gemein hatte mit der lauten Unrast Neapels.

Ruhiger und kühler floß Emmanueles erregtes Blut; er vergaß allmählich, was ihn zuletzt wieder bei dem geilen Gelächter des jungen Weibes bestürmt hatte; die beiden Verbrecher feierten eine Idylle inmitten der schauerlichsten Tragikomödie.

Da es zu dunkeln begann, eilte Crispina ins Haus, um das Mahl zu richten. Sie speisten mit vortrefflichem Appetit. Den Abend verbrachten sie im Teatro San Carlo.

Auf die nämliche Weise verstrichen zehn oder zwölf Tage. Emmanuele wechselte zwischen den Anwandlungen einer reuevollen Verzweiflung und der leidenschaftlichsten Hingabe an das Genießen der Gegenwart. Doch schien die Gewohnheit dieses Genießens, das Crispina bei ihrem Gatten geflissentlich nährte, eine wachsende Leichtherzigkeit zu erzeugen, und hiermit die Aussicht, daß die Bedenken und Kümmernisse immer seltner emportauchen würden. – War dies völlig erreicht – dann, ja dann war Emmanuele der Mann, wie Crispina ihn brauchte, der scrupellose Abenteurer aus der Via di Balbo, dem die glänzendste Zukunft bevorstand.

Eines Tages hatten sie wieder die Abendstunden im bunten Gewühl der Toledostraße, in den Kaffee-Häusern und den glanzerfüllten Bazaren verbracht und schritten in rosigster Laune ihrem Capodimonte zu, als Marsucci, wie aus dem Boden gewachsen, breit vor sie hin trat.

Erschreckt prallte Emmanuele zurück, denn in der Person seines Spießgesellen verkörperten sich ihm all’ die Beklommenheiten der letzte Woche.

„Was giebt’s?“ fragte Crispina.

„Geduld, Signors! Hier ist die Straße noch zu belebt.“

Nach drei Minuten erreichte man so den Vico, der nach der Wohnung Nacosta’s führte.

Crispina machte nun Halt und frug, ob Marsucci mitkommen wolle.

„Ich danke Eüch,“ sagte Marsucci. „Was ich zu sagen habe, ist bald auseinandergesetzt. Hört, – und laßt Euch beglückwünschen! Ich weiß mit Bestimmtheit, daß wir am Ziele sind! Ich meine, am letzten Ziel . . . Ihr versteht mich!“

„Endlich!“ sagte Crispina, aus tiefster Brust Athem holend.

„Schon, Frau Gevatterin! Die Sache ist ganz verflucht schnell gegangen! Cesari hat mit allem Gethu’ und Geschreibe Nichts zu Stande gebracht – nicht einmal die Begnadigung oder den Aufschub! Das Todesurtheil, vom Könige unterzeichnet, befindet sich seit gestern bereits in den Händen des Tribunals-Präsidenten.“

„Woher wißt Ihr . . .?“ stammelte Crispina erbebend.

„Woher? Einfach genug. Auf morgen ist die Execution festgesetzt. Ich habe schon Ordre . . .“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 359. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_359.jpg&oldid=- (Version vom 6.7.2021)