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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Du wirst sie kennen und verehren lernen, wie ich es thue; zu ihr führe ich Dich bald. Meine Frau hast Du gesehen –“ Karl August stockte.

„Und bewundert!“ fügte Goethe hinzu. „Die Herzogin ist die reizendste, anmuthigste Dame, die ich kenne.“

„Später von ihr!“ rief der Herzog ungeduldig, „sehen sollst Du sie auch; wen kennst Du sonst noch hier? Ah, meinen Exmentor Görtz; der Graf möchte gern Luisens Oberhofmeister werden, aber ich habe vor der Hand der Schranzen genug. Auch meinen Bruder Constantin kennst Du; er ist und bleibt der weiche, schwärmerische Gemüthsmensch, dabei aber eigensinnig und sehr bestimmt für seine achtzehn Jahre. Eine zärtliche Neigung ist auch schon bei ihm eingezogen. Caroline von Ilten heißt seine Schöne, ein sechszehnjähriges blondes Kind, aber doch erwachsen genug, um die Liebe und Aufmerksamkeit des Prinzen mit leidlicher Grazie entgegen zu nehmen. Constantin wohnt mit seinem biederen Knebel, der noch als Hofmeister fungirt, in Tiefurt, kaum eine Stunde von hier. Was möchtest Du sonst von Weimar und seinen Menschen wissen, ehe ich Dich hinaus führe?“

Goethe zögerte dann sagte er:

„Ich sah bei einem Doctor Zimmermann, den ich mit Lavater in Straßburg traf, unter vielen Silhouetten, die wir beurtheilten, diejenige einer jungen Frau aus den hiesigen Hofkreisen. Das Gesicht hatte, trotz der Unvollkommenheit des Bildes, einen so entzückenden Ausdruck von Liebe und Güte, daß es sich mir unauslöschlich einprägte; ja es verfolgte mich, und ich träumte mehrere Nächte nach einander von dieser Frau. Ein Gesicht, das, sanft und zärtlich im Ausdruck, die Welt klar sieht wie sie ist, aber stets durch’s Medium der Liebe. Von ihr möchte ich hören, sie kennen lernen!“

„Und wer ist es? Wie heißt sie?“ fragte der Herzog gespannt.

„Es ist die Frau des Oberstallmeisters von Stein, geborene von Schardt.“

„Wie! Die Stein? Lottchen Schardt?“ rief Karl August überrascht.

Goethe erschrak. „Habe ich mich geirrt, verdient sie meine Bewunderung nicht?“

Der Herzog entgegnete ernst:

„Sie wird allgemein verehrt; Männer und Weiber nennen sie die bedeutendste Frau unseres Kreises, und gewiß haben sie Recht; für mich ist sie zu ruhig und – erschrick nicht, Freund – zu alt! Das ist ein abscheulicher Fehler, der täglich schlimmer wird!“

Goethe lächelte. „Vielleicht findet man doch nur bei einem gewissen Alter reifen, seelischen Reiz. In welchen Verhältnissen lebt die Dame?“

„Die Dame war lange Hofdame meiner Mutter, dann heirathete sie vor jetzt vierzehn Jahren den Oberstallmeister. Drei ihrer Kinder leben, sie muß dreiunddreißig Jahre alt sein; schön war sie wohl nie, aber es fehlt ihr nicht an Anmuth. Ihr Wesen hat einen sanften Ernst und eine ganz eigene Offenheit. Gesunder Verstand, Wahrheit und Gefühl sprechen aus jedem ihrer Worte, dabei ist sie graziös und freundlich, von tadellosem Tacte und immer gleich an Milde und ruhiger Würde.“

„So habe ich sie mir gedacht!“ rief der junge Dichter mit von Freude und Begeisterung strahlenden Blicken. „Ich brenne vor Verlangen, sie zu sehen! Wo kann ich sie finden?“

„Gemach!“ rief der Herzog. „Steins sind auf ihrem Gute Kochberg, näher bei Rudolstadt als bei Weimar, kaum in vier oder fünf Stunden zu erreichen. Gegen Weihnachten kommen sie zu uns. Neulich waren sie hier, um Luisen vorgestellt zu werden, da habe ich ihre Rückkehr mit dem Oberstallmeister besprochen; bist Du aber gar zu ungeduldig, so will ich in den nächsten Tagen mit Dir hinüber reiten. Laß sehen, heute haben wir Dienstag; am Freitag ist der erste Ball im Stadthause, da dürfen wir nicht fehlen; aber am Sonntag können wir frühzeitig zu ihnen reiten. Stein ist immer begierig, mir seine jungen Pferde zu zeigen, dann hast Du die Frau allein; gelegentlich hoffe ich auf einen Gegendienst von Deiner Seite“ – der Herzog hatte die letzten Worte mit einem verlegen schelmischen Ausdruck vorgebracht, welcher Goethe stutzig machte; er wollte eben eine Frage anknüpfen, als die Thür bescheiden geöffnet wurde und Philipp’s intelligentes Gesicht hereinschaute.

„Der Kammerjunker von Kalb wünscht meinen Herrn Doctor zu besuchen,“ sagte er.

Goethe sah den Herzog an; „soll uns recht sein!“ rief derselbe. Der Kammerjunker trat ein. Er war ein gut aussehender Mann in der Mitte der Zwanzig; nicht ganz so feurig und frisch wie die Schwester, sah er ihr doch ähnlich, nur war ihre kecke Selbstgefälligkeit bei ihm hinter schlauer Zurückhaltung versteckt.

Sein Anzug war mit Sorgfalt gewählt, sein Kopf wohl frisirt und gepudert und sein Benehmen so respectvoll wie möglich.

Nachdem er dem Herzoge mehrere tiefe Verbeugungen gemacht hatte, welche derselbe mit einem raschen: „Guten Morgen, Kalb!“ und kurzem Kopfnicken beantwortete, wandte er sich an den Gast, ihm eine wohlgesetzte Begrüßungsrede des Kammerpräsidenten, seines Vaters, überbringend, welche mit der Bitte schloß, ganz und gar über die Kräfte des Hauses verfügen und bestimmen zu wollen, wen man zum Diner einladen solle.

Er hatte noch nicht ganz geendet, als der Herzog rasch einfiel. „Mich vor allen Dingen! Ich will einmal gemüthlich außer dem Hause essen; dann könnt Ihr den Hofrath Wieland, meinen freundlichen Hildebrand von Einsiedel, Bertuch, Oberforstmeister von Wedel, Musäus –“

Halb mitleidig, halb lachend sah Goethe, wie bei Aufzählung der Namen, welche kein Ende nehmen wollten, das Gesicht des Kammerjunkers immer länger und betretener wurde; er fiel also dem Herzoge, der in seiner heiteren Laune nichts bemerkte, in die Rede und sagte:

„Ich möchte mich, wenn Eure Durchlaucht nichts dagegen haben, vor allen Dingen dem Hausherrn präsentiren.“

Karl August erklärte sich einverstanden; er gebot dem Kammerjunker voran zu gehen und sie anzumelden; Kalb eilte fort.

„Wir wollen uns einen ungebunden lustigen Mittag machen, lieber Junge!“ sagte der Herzog, des Freundes Arm ergreifend. „Und nun komm, der alte Perrückenstock wird sehnlichst unser harren!“

(Fortsetzung folgt.)




Der Holzknecht.

Aber heunt is a Tag
Und da schaugst Dir nit gnua;
Wier i ’naus bin in Wald
Um a Drei in der Fruah!

5
Die Sunna und d’ Vögei’n –

Dös glanzt und dös schreit;
Ja mei’, in der Fruah
Hat der Tag halt a Freud.

Und werd’s nachher Zwölfe,

10
Kimmt’s Weibei daher;

Und bringt mir mein Buabn –
Ja, was willst denn no’(ch) mehr?

„Jetzt krieg’n ma a Suppen,
Du Fretter[1], Du kloaner!

15
Gel’, d’ Holzknecht’, die g’falln Dir

Werst aar amal[2] oaner!“

Müd werd ma wohl ofl[3]
Aber na moan’ i schier,
Wenn i Enk wieder siech’:[4]

20
Daß i gar nix mehr g’spür!


 Karl Stieler.


  1. unbeholfener kleiner Mensch
  2. wirst auch einmal
  3. bei dieser Arbeit
  4. wenn ich Euch wieder sehe


Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 376. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_376.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2022)