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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Eine lebhafte Umarmung folgte.

„Wohlan, mein Kind,“ sagte endlich die Mutter, „so will ich Alles versuchen, um auf meinen Sohn zu Deinen Gunsten zu wirken. Er soll in Dir meine alleinige Erbin respectiren und, was er von mir wünscht, nur durch Dich, erlangen, vielleicht wird das ihn zügeln.“

Nach und nach bewegte sich die Unterhaltung der beiden Frauen in ruhigeren Bahnen.

Die alte Dame ließ sich von Haus und Garten und einer neuen Einrichtung erzählen, welche vom Rittmeister getroffen war.

Er hatte Geld gebraucht und gefunden, daß in dem der Mama gehörigen und von ihr für das junge Paar hergerichteten Hause einige Zimmer entbehrlich wären. Die junge Frau hatte sich beschränken müssen, und ein Miether war in der Person des Bergraths Moritz von Einsiedel eingezogen.

Der neue Hausgenosse – Bruder des jungen Hofraths Hildebrand von Einsiedel – war ein Mann von sechsundzwanzjg Jahren, ruhig, verschlossen, solid in jeder Hinsicht. Seine Anstellung im Bergfache hielt ihn oft Monate lang von Weimar entfernt; der Rittmeister nannte ihn seinen Philister, oder auch gar seine Schlafmütze. Einsiedel ließ sich durch keine Neckerei stören; er lächelte melancholisch und schwieg. Eifrig mit chemischen und mineralogischen Studien beschäftigt, zeigte er sich selten in Gesellschaften, tanzte gar nicht und bekümmerte sich um das schöne Geschlecht, sehr wenig.

„War der Bergrath nicht bei Kalbs?“ fragte die Matrone. „Es ist sonderbar, daß man immer den jüngeren Bruder vorzieht.“

„Hildebrand ist einmal gut angeschrieben beim Herzoge. Ich glaube, Moritz ist ihm zu verständig, zu brav.“

„Man sagt, er sei steif und langweilig in Gesellschaften?“

„Er ist kein Geck, aber er hat mehr Geist in seinem Auge, als ein Dutzend anderer Männer zusammen.“

„Es ist schade, daß ich ihn so wenig kenne; da er bei Euch wohnt, interessire ich mich für ihn.“

„O, er verdient Ihr Interesse, theure Mama!“

„Ist er artig gegen Dich?“

„Nein, er beachtet mich gar nicht, er ist immer beschäftigt; wir wechseln selten ein Wort.“

Die alte Dame fühlte sich von dieser Seite nicht beunruhigt. „Eine kleine Verehrung aus der Ferne von ihr,“ dachte sie. „Er ist zu beschäftigt, zu hypochondrisch, um einer jungen Frau gefährlich zu werden. Wenn ich nur über den Herzog ruhig sein kann, ist alles Andere nebensächlich.“ Ruhiger trennten sich die beiden Frauen.

Am Nachmittage klirrten schwere Schritte im Vorzimmer der alten Frau von Werthern, sie kannte dieselben genau und erhob sich ein wenig, um den eintretenden Sohn zu begrüßen.

Der Rittmeister von Werthern war groß, breitschultrig und etwa vierzig Jahre alt. Seine rothen und aufgedunsenen Züge, die unstäten Augen, das plumpe, derbe Auftreten sprachen von zügellosem Leben. Er schüttelte die Hand der alten Dame so heftig, daß ihr Mund sich schmerzlich verzog, und fragte dabei, wie sich seine verehrte Mutter befinde?

„Gut, mein Sohn,“ entgegnete sie. Ich freue mich, Dich wieder zu sehen; habe die Güte, Dich zu mir zu setzen, und erzähle mir von Deiner Reise und wann Du zurück gekommen bist.“

Der Rittmeister warf sich auf einen Stuhl und stieß den Mops, der sich an ihn schmiegte, mit seinen gewaltigen Sporen plump zur Seite, daß er heulend entfloh. Dann sprach er, sorgsam seinen schwarzen Bart streichend:

„Diesen Morgen in einem Trabe von Rudolstadt; habe dann gegessen, und da bin ich. Möchte ’ne Geschäftssache mit Ihnen abreden, ist ein wenig eilig. Machte nur deshalb den scharfen Ritt und riskirte den Hector – denn, um kurz zu sein, Sie werden von einem Soldaten keine lange Vorrede erwarten, Frau Mutter – ich bedarf eines Darlehns von Ihnen, um einen ausgezeichneten Handel abzuschließen. Es steht da eine Fuchsstute in Rudolstadt, in die ich keineswegs verliebt bin. Ein kapitales Thier, ganz Pferd, knochig genug für einen Reiter wie ich, aber dabei elegant; süperbe Nachhand, ein Schweifträger erster Qualität, hoch von Hals und Widerrist, Sattellage und Nieren comme il faut, gute Zäumung, ganz rein und trocken von Knochen, sechs Jahre alt; der Preis ist mäßig, und ich könnte es mir nie vergeben, wenn ich diese Gelegenheit, ein brillantes Geschäft zu machen, ungenutzt vorübergehen ließe. Stein reflectirt für des Herzogs Stall auf den Gaul, doch hat er erst einen Boten herüber geschickt; währenddem habe ich den Fuchs vorläufig bis morgen früh für mich angebunden. Ich weiß, bei Ihnen werden gewiß zwanzig Louisd’or flott zu machen sein; sobald ich das Geld habe, sitze ich wieder auf.“

Die alte Dame hatte still und unbeweglich zugehört; sie fütterte ihren Mops mit etwas Zuckerbrod und wiegte jetzt nachdenklich den Kopf.

„Die Geldgeschäfte werden mir mehr und mehr lästig,“ sagte sie ruhig, „da habe ich denn an diesem Morgen mit Emilien ausgemacht, daß sie meine Casse führen, nachsehen, größere Ausgaben bestimmen, kurz, mein Finanzminister sein soll. Ich kann nicht gleich, da es kaum getroffen, gegen unser Abkommen handeln; es wird also ganz auf Deine Frau ankommen, ob wir die erwünschte Gefälligkeit für Dich haben können.“

Der Rittmeister starrte sie an; seine Stirnader schwoll und heftig rief er: „Das ist ein Weibercomplot gegen mich! Was soll das bedeuten? Emilie, diese kleine Putznärrin bei dem Gelde! Wollen Sie lauter Unterröcke dafür kaufen?“

„Ebenso gern wie Pferde,“ sagte die Matrone gelassen.

Werthern sprang auf. Stampfend und klirrend lief er im Zimmer umher. Dann blieb er vor der Mutter stehen und fragte, sich gewaltsam beherrschend:

„Dahinter steckt etwas. Sagen Sie’s kurz, woran ich bin. Wollen Sie mich zu irgend etwas zwingen? Oder wollen Sie mich nur demüthigen und beleidigen?“

„Du hast richtig errathen, daß ich etwas Besonderes bezwecke,“ erwiderte sie. „Ich kenne Deine Bedürfnisse, kenne Deine Schätzung des Geldes und hoffe Deiner Frau zu neuem Ansehen bei Dir zu verhelfen. Du wirst mir zu gleichgültig gegen Milli; Du kümmerst Dich gar nicht mehr um sie; meine Bitten haben Dich nicht zu ihr zurückgeführt, vielleicht thut es mein Geld. Du siehst, ich spiele mit offnen Karten und hoffe mein Spiel zu gewinnen.“

„Hat sie zu klagen gewagt, diese Thörin?“

„Man braucht mir Eure Verhältnisse weder zu erzählen noch zu klagen; ich kenne sie, die ganze Stadt kennt sie. Alle Welt sieht, daß jedes von Euch seinen eignen Weg einschlägt, und das ist keine Ehe, wie sie sein soll.“

„Was geht’s die Welt an, ob wir mit einander auskommen? Ich will Freiheit! Emilie scheint sich gut zu amüsiren; mir kann eine zimperliche Frau, welche sich an mich hängt und mir vorlamentirt, nichts helfen; lassen wir sie also!“

„Denkst Du nie an Deine Pflicht, diesem jungen, schönen, Dir anvertrauten Geschöpfe gegenüber?“

Der Rittmeister zuckte die Achseln. „Frau Mutter, ich bin eilig!“ rief er, „die Moral ein anderes Mal! Verlangen Sie, daß ich meine Frau auf offenem Markte küsse, oder was soll es sein? Handeln wir!“

„Gut,“ antwortete die alte Frau mit schmerzlichen Ernst, „ich sehe, daß ich heute den rechten Weg eingeschlagen habe, mit Dir zu verkehren. Die zwanzig Louisd’or sind zu Deiner Verfügung, wenn Du mir Dein Wort giebst, während der nächsten zwei Monate Deine Frau in jede Gesellschaft zu begleiten, in welche sie zu gehen wünscht – also während dieser Zeit Dich nie über einen Tag von ihr zu entfernen.“

„Sträflich langweilig! Aber wenn es nicht anders sein kann und mir damit das Geld geschenkt ist, so bin ich im Stande, der süperben Fuchsstute das Opfer zu bringen.“

Die Mutter stand auf und ging, an ihren glänzend ausgelegten Nußbaumschrank; nachdem sie ein paar Reihen ausgeschrieben und das Geld abgezählt hatte, legte sie den sonderbaren Contract ihrem Sohne vor; dieser Unterzeichnete ernsthaft und mit langen, schwerfälligen Buchstaben seinen Namen und strich das Geld vergnügt ein.

Spöttisch auflachend rief er: „Sie wird mich nicht von ihrer Kontusche los! Die ganze Stadt soll Wunder schreien über einen so verwandelten Ehemann!“

Sein Dank war kurz und gleichgültig; er hatte sich ja das Geld verdienen müssen.

Möglichst rasch empfahl er sich und polterte mit Säbel und Sporen klirrend zum Hause hinaus.

Die alte Dame sah ihm tief betrübt nach.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 406. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_406.jpg&oldid=- (Version vom 10.10.2022)