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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

6.

Den nächsten Tag brachte Goethe größtentheils bei dem Herzoge im Fürstenhause zu; es drängte ihn, der Herzogin Luise seine Aufwartung zu machen, deren Bild ihm im Glanze idealer Reinheit und edelster Weiblichkeit vorschwebte.

In einem hübsch ausgestatteten Salon des ersten Stocks im Fürstenhause saß um die Mittagsstunde Luise von Hessen-Darmstadt mit ihren beiden Hofdamen Henriette von Wöllwarth und Adelaide von Waldner. Die Herzogin war eine schlanke, fast magere Gestalt und achtzehn Jahre alt; ihr ernstes blaues Auge, ihre matte Gesichtsfarbe, die stille Gleichmäßigkeit ihrer Züge und ihres Benehmens gaben ihr etwas knospenhaft Unentwickeltes. Sie trug nach dem Zeitgeschmacke ein weißes Battistkleid, einen goldenen Gürtel, lange Filethandschuhe ohne Finger und ein umgestecktes Spitzentuch, ihr hellbraunes Haar war mit einem goldenen Kamme aufgenommen.

Die blühende, lachende Adelaide von Waldner sah neben der Fürstin wie eine Rose neben einer Lilie aus. Henriette von Wöllwarth dagegen, die, mit einem Papagei tändelnd, am Fenster stand, wäre schwer mit einer Blume zu vergleichen gewesen; sie hatte etwas durchaus Reales in ihrer stattlich schönen Gestalt und dem gescheidten, kräftig geformten Gesichte; der Blick, welchen sie jetzt auf die beiden Jüngeren richtete, schien zu sagen: „Arme Kinder, Ihr langweilt Euch entsetzlich, wenn man Euch nur helfen könnte!“

In diesem Augenblicke meldete der Lakai:

„Seine Durchlaucht der Herr Herzog und Doctor Goethe!“

Luise winkte erröthend, und die beiden jungen Männer traten rasch ein. Der Herzog eilte auf seine Frau zu, küßte mit einer gewissen linkischen Befangenheit ihre Hand, und rief strahlenden Auges, den Freund überblickend: „Da hast Du unsern Gast, Luise!“

Die Herzogin verneigte sich, ein „Willkommen“ flüsternd, der Herzog stellte Goethe den Hofdamen vor, und die kleine Versammlung setzte sich.

Die vielleicht nicht ganz geschlossene Thür aufstoßend fuhr jetzt plötzlich ein großer, langhaariger Hühnerhund in’s Zimmer und auf seinen Herrn, den Herzog, zu. Adelaide kreischte leise und faßte ihr Kleid zusammen, an dem der Hund vorbei rannte; die Herzogin blickte erschrocken und mißbilligend; Goethe stand auf, um das Thier hinaus zu lassen; der Herzog aber rief:

„Laß doch die Diana hier! Kusch Dich Alte, hier zu mir!“

Der Hund, sich umsehend, legte aber freundlich seines großen Kopf auf den Schooß der jungen Herzogin, worauf diese mit allen Zeichen des Widerwillens den Hund von sich abwehrte.

Karl August rief ihn jetzt streng zu sich, das Thier gehorchte, der Friede schien hergestellt, aber eine gewisse Mißstimmung war durch dies Vorspiel in den kleinen Kreis gedrungen.

Luise besann sich so weit, Goethe nach seiner Reise zu fragen, und dieser berichtete, wie er in Begleitung des Kammerjunkers von Kalb recht angenehm gefahren sei. Der Herzog sagte inzwischen halblaut zu Adelaide von Waldner: ob sie die Einladung zu Kalbs, zum Abendtänzchen, angenommen habe? was die Kleine, rosig erglühend, mit strahlenden Augen bejahte. Henriette von Wöllwarth hatte für diesen Abend den Dienst bei der Herzogin, und man sah es ihr an, daß sie ungern dem lockenden Tanzvergnügen entsagte.

Luise schien das leise Hin und Her, das Geplauder der Drei nicht zu bemerken; es entspann sich zwischen ihr und Goethe ein Gespräch, aus dem heimische Erinnerungen heraus klangen, die freundliche Bande zwischen den beiden Süddeutschen knüpften. Endlich fragte sie, ob er heute bei Tafel sein werde? und schien angenehm von seinem Ja berührt.

Als die Herren wieder in des Herzogs Zimmer allein waren, konnte Goethe sich nicht enthalten, seinen Gefühlen der Verehrung für die Herzogin Worte zu leihen.

Er Nannte ihr Wesen, von Anmuth und Würde getragen, ganz fürstlich und meinte, es werde einem neben ihr wie in der Kirche.

„Du hast Recht,“ sagte Karl August seufzend, „eine dumpfe, kühle Atmosphäre umgiebt sie, in der einem fröstelt!“


Der andere Gast in den Mauern Weimars, Luise von Göchhausen, hatte inzwischen das heißerwünschte Ziel in nicht allzulanger Zeit erreicht. Der Herr Oberkämmerer Baron von Göchhausen hatte seinen wichtigen Leibes- und Amtssorgen eine Stunde abgewonnen, um der Herzogin-Wittwe Amalie seine Aufwartung zu machen und ihr das junge Fräulein vorzustellen. Er wurde mit seiner Nichte gnädig empfangen, und die hohe Frau hörte sein Lob des Mädchens, die gefühlvoll vorgebrachten Versicherungen seiner „Tendresse“ für das einzige Kind des verstorbenen Bruders mit Theilnahme an.

Auf seine Bitte, die junge Dame als Gesellschaftsfräulein anstellen zu wollen, antwortete die hohe Frau mit dem Wunsche, das junge Mädchen öfter und allein zu sehen – ein sehr natürliches Begehren, da Luise bei diesem ersten Besuch fast nur durch ihr beredtes Mienenspiel sprechen konnte.

Man kam überein, daß Fräulein von Göchhausen am Donnerstag Nachmittag allein zur Herzogin kommen solle. Dieselbe hatte sehr wohl das helle Licht in den lebhaften Augen, die kaum verhaltene Heiterkeit um den Mund bemerkt und war einigermaßen gespannt, zu erfahren, was hinter den wenig harmonischen Zügen, diesem halb drolligen, halb ernsten Ausdruck versteckt liegen möge. So wartete sie mit Ungeduld auf den Tag, der ihr vielleicht eine passende Gefährtin bringen sollte. –

Der Donnerstag Nachmittag kam, die Herzogin saß in ihrem Wohnzimmer an der Staffelei; sie führte nicht ohne Geschick den Pinsel und beschäftigte sich gern mit der Kunst.

Anna Amalie, erst sechsunddreißig Jahre alt, war noch immer eine schöne Frau. Ihr lebhaft sprechendes Gesicht mit den großen dunklen Augen zeigte noch viel jugendliche Frische, und der Puder deckte kaum das glänzende Braun ihres reichen Haars, dessen zahllose Löckchen von einem goldenen Reif zusammen gehalten wurden.

Nachdem sie eine Weile eifrig gemalt hatte, hielt sie inne; der zu erwartende Besuch beschäftigte ihre Gedanken und zog sie von der Arbeit ab. Sie hatte einen Brief der Markgräfin von Baden erhalten, welche Luise warm empfahl, aber zugleich andeutete, daß sie „ensilirter“ Possen halber Karlsruhe habe verlassen müssen.

Endlich wurde das Fräulein von Göchhausen angemeldet.

Anna Amalie begrüßte die Eintretende gütig, sie beschloß jedoch die Wahrheitsliebe der ihr so warm Empfohlenen auf die Probe zu stellen und fragte zuerst: ob sie sich wohl bei ihrem Oheim fühle?

Mit einem Lächeln verhaltener Spottlust entgegnete Luise daß man alten Leuten Absonderlichkeiten zu gut halten und für jegliche Art von Gastfreundschaft dankbar sein müsse.

„Haben Sie die Markgräfin ungern verlassen?“

„O, außerordentlich ungern! Die Frau Markgräfin war stets die Huld selbst gegen mich. Hätte es nicht sein müssen, nimmer würde ich ihren Dienst aufgegeben haben.“

„Aber Sie folgten den Wünschen Ihres Oheims? Man muß das an Ihnen loben!“

„Eure Durchlaucht dürfen sich nicht in mir täuschen, so schwer es mir wird, den Oheim Lügen zu strafen; ich war gezwungen, Karlsruhe zu verlassen.“

„Wie das? Erzählen Sie, ich bin begierig, mehr zu hören. Was ließen Sie sich zu Schulden kommen?“

Luise berichtete nun des Näheren, wie sie in Karlsruhe, von den Zudringlichkeiten eines alten Prinzen und Verwandten der Herrschaften verfolgt, sich habe hinreißen lassen, demselben unter Beihülfe ihrer treuen Kammerfrau – der Schulzin – Possen zu spielen, und wie ihre Entlassung eine der Lage angemessene Nothwendigkeit gewesen sei.

„Als die Zeit meines Scheidens herankam,“ schloß sie ihren Bericht, „nahm ich bewegten Abschied von den hochverehrten Herrschaften und fuhr mit meiner Getreuen den schönen Rheinstrom hinunter. Ich machte einen Strich durch alle Weinerlichkeit, die ebenso wenig für mich, paßt wie ein verliebtes Abenteuer, und gewann die Ueberzeugung, daß die Welt allerorten schön ist, und in dieser Ueberzeugung empfehle ich mich der Gewogenheit Eurer Durchlaucht.“

Mit diesem offenen Geständniß hatte der ehrliche kecke Geist des Mädchens gesiegt: das Vertrauen der Herzogin war gewonnen.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 407. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_407.jpg&oldid=- (Version vom 10.10.2022)