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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

„Nein, nein, nein!“ rief sie verzweiflungsvoll. „Du kannst mir helfen, wenn Du nur willst – und weigerst Du Dich, wohl, so mach’ ich ein Ende! Sterben ist Wonne im Vergleich zu dem, was ich dulde!“

„Ich sollte im Stande sein ...?“

„Ja! Nur von Dir hängt es ab! Allein bin ich machtlos, und keinen Menschen habe ich auf Erden, als Dich! Die Andern – o, die sind zu feige, zu selbstsüchtig! Aber Du, wenn Du Dir’s einmal gelobt hast – Du führst es durch, und gälte es den Tod! Willst Du, Alberto?“

„Was?“

„Ihn befreien!“ rief sie, die Hände ringend. „Alberto, ich lasse nicht ab, bis Du einwilligst! Räche Dich nicht an einer Verzweifelten! Gedenke Du der Worte des Heilandes, der uns befiehlt, Denen wohl zu thun, die uns hassen! Und ich hasse Dich nicht! Gott ist mein Zeuge: wenn Salvatore nicht wäre, ich würde Dich lieben – von Grund meiner Seele aus! Kann ich denn für dieses Verhängniß?“

Alberto trat einen Schritt zurück.

„Ich? Ich soll den Apulier befreien? Maria, Du rasest!“

„Sag’ Ja, – und mein letztes Gebet in der Todesstunde ...“

Er unterbrach sie heftig.

„Du willst mich entwürdigen,“ sagte er, schwer athmend. „Wär’ er mir gleichgültig, – ja, wär’ er mein Freund: ich würde mich weigern, um seinetwillen das Gesetz zu verletzen! Und nun so, da ich ihn hasse als meinen Todfeind ...“

„Bezwing’ diesen Haß, ich beschwöre Dich! O, ich weiß, was Du sagen willst – aber Cesari selber hat mir’s bestätigt – und in alle Ewigkeit will ich verloren sein, wenn ich jetzt lüge! Ob Du’s nun glaubst oder nicht: die Strafe, die der Gerichtshof über Salvatore verhängt hat, widerspricht dem Gesetz, und wer die Ketten des Verurtheilten sprengt, der stellt das Gesetz wieder her! Ein Gewaltact liegt vor, eine Handlung des Zornes, und das Recht ist geschändet worden! Acht Jahre im Bagno – für die That, die Salvatore in gutem Glauben beging! Das ist Wahnsinn! Das ist ein offenbares Verbrechen!“

„Hat Dein Verlobter nicht den Avvocato Cesari? Der wird sich so schnell nicht besiegt geben!“

„O, wohl! Cesari will es dem König an’s Herz legen – aber es ist so gut wie gewiß, daß alle Mühe vergeblich bleibt.“

„Weshalb?“

„Mein Gott, Du hörst und siehst also nicht das Geringste von Dem, was alle Welt jetzt beschäftigt! Seit jenem entsetzlichen Tage, da die Gräfin Ghiccioli früh morgens nach dem königlichen Palast fuhr, ist der Monsignore De Fabris unermüdlich im Verfolgen der Freiheitsfreunde; er fürchtet, Antonio Cesari möchte Einfluß gewinnen, und da sucht er ihm entgegen zu wirken.“

„Was kann er ihm anhaben?“

„Ihn verdächtigen, ihn bei der Gräfin verhaßt machen! Die Polizei sogar hat er dem Avvocato in’s Haus geschickt, und das Unglück hat es gewollt, daß der Commissarius bei Cesari allerlei Schriften entdeckt hat, die der Monsignore für rebellisch erklärt. Glaube mir, Alberto, das Alles habe ich bedacht! Es ist keine Hoffnung! Cesari selber hat’s eingeräumt ...“

„Aber Du könntest doch abwarten . . .“

„Allmächtiger Himmel, das ist es ja! Anfang der nächsten Woche, wenn die Verurtheilung gültig geworden, bringen sie ihn aus dem Arresthaus des Municipio nach Gaëta hinüber. Dann ist Alles zu Ende; aus den Höhlen des Bagno giebt’s kein Entrinnen mehr! Jetzt aber, so lange er noch im Stadtgefängniß verbleibt, läßt die Sache sich ausführen. Alles ist vorbereitet. Gestern spät erst bin ich von Neapel zurückgekehrt. Mit unsäglicher Mühe habe ich ihm Nachricht gegeben. Er wartet nur auf das Zeichen. Aber ohne Dich sind wir machtlos. Vorn, in dem Hofe, den er durchschreiten muß – aber so rede doch, beim Tode des Heilands! Du siehst, ich vergehe vor Angst, – und Du schweigst!“

Sie schlug die Hände vor’s Antlitz.

„O, wie bist Du anders geworden!“ rief sie in dumpfem Weh. „Freilich, die Zingarella hat es verdient! Da wir noch Kinder waren – weißt Du, Alberto – wie Dir keine Felswand zu steil und keine Klippe zu schroff war, wenn es galt, mir eine Blume zu pflücken? Manchmal hast Du Dein Leben gewagt, nur um meiner kindischen Laune zu dienen, nur um der Zingarella zu zeigen, daß Du für sie keine Gefahr scheutest! Und jetzt – jetzt schreie ich aus meiner Noth zu Dir auf und verlange Geringeres als damals – ja, Geringeres, denn es kann nicht mißglücken – und nun muß ich hülflos vergehen und jenes Kind beneiden, dem Du die Blumen brachst!“

Sie schluchzte laut auf. Alberto kämpfte einen gewaltigen Kampf. Alles Andere hätte er ihr freudig bewilligt – und wär’s der Ansturm gewesen wider die Macht der Hölle. Diese Selbstverleugnung jedoch, dieses Wagniß zu Gunsten des einzigen Menschen, den er tödtlich verabscheute – das war zu viel!

„Ich kann’s nicht,“ stöhnte er wild, „ich kann’s nicht!“

Sie sah zu ihm auf, – stieren, glanzlosen Blickes; ihr Athem ging hastig, aber sie rührte sich nicht.

Dann sagte sie tonlos :

„Ich darf Dir nicht zürnen. Ja! Du hast Recht: es war zu viel gefordert – selbst von der Großmuth eines Heiligen! Leb’ wohl, Alberto! Willst Du mir eine letzte Bitte erfüllen, so trag’ mir Sorge, daß der Zettel hier in die Hände Cesari’s gelangt. Gott erbarme sich meiner!“

So sprechend schritt sie hinaus.

Alberto nahm das Blatt und entfaltete es. Er las:

„An Signore Antonio Cesari, Strada del Molo, Neapel. Ich bitte Euch herzlich, sagt ihm, daß ich bis zum letzten Augenblicke seiner gedacht habe! Was wir hofften, sei unmöglich gewesen. Ich danke Euch, Herr, für Alles, was Ihr an Salvatore gethan habt. Er soll mir verzeihen und meinen Entschluß nicht feige nennen. Was hülfe es mir, wenn Ihr selbst das Unmögliche wirklich machtet? Auch die Hälfte, auch nur ein Viertel dieser entsetzlichen Zeit der Trennung brächte mich unfehlbar zum Wahnsinn! Ich sterbe freudig, denn ich glaube an ein Wiedersehn! Maria.“ 

Alberto’s Augen umdunkelten sich. Der Gedanke, daß sie, deren Beschützer er einst gewesen, an seiner Weigerung zu Grunde gehn, daß sie sterben sollte um seines Hasses willen, raubte ihm fast die Besinnung.

Er stürzte ihr nach.

Rechts von der großen Klippe, zwischen den Sträuchern, schimmerte noch ihr helles Gewand.

„Maria! Ich komme!“ rief er den steinigen Pfad hinab. „Ich thue, was Du verlangst! Maria!“

Ein straffer Nordostwind hatte sich aufgemacht, der, in den Klüften der Felsenwände sich fangend, ein seltsames Pfeifen hervorrief und so die Stimme Alberto’s für die Enteilende übertäuben mochte. Jetzt sah er noch einmal ihr dunkles Haupt vor dem sonnbeglänzten Gestein – und nun verschwand sie hinter den Zacken.

Von unsäglicher Angst ergriffen rannte er vorwärts. Näher und näher klang das Rauschen der Brandung. Er betrat die sandige Uferstelle, wo die Barke am Pflock lag. Spähend sah er nach allen Seiten. Umsonst. Da erhob er den Blick. Droben auf der steil abfallenden Felswand gewahrte er, die er suchte – so dicht am Rande, daß es dem jungen Manne schwarz vor den Augen ward. Sie hatte das Antlitz in die Hände gepreßt, als schaudere sie zurück vor dem brausenden Abgrund. Ihr aufgelöstes Haar flatterte weit hinaus ...

Noch taumelnd trat er auf das Brett seiner Barke.

„Maria!“ rief er, so laut er konnte.

Sie zuckte zusammen. Mit der Rechten ergriff sie den Stengel einer Agave, die aus dem nächsten Felsspalt emporwuchs. Sie schaute hinab, – und wenn der Wind auch seine Worte hinweg trug, die Geberden, mit denen er sie begleitete, waren nicht mißzuverstehen. Ihr schwindelte – nicht nur im Grausen vor der gähnenden Tiefe, sondern noch mehr im wilden Rausch ihres Entzückens! Es war wie ein Traum, daß ihr da, wo sie den Tod gesucht, so im letzten Augenblicke das leuchtende Leben die Verheißung einer glücklichen Zukunft entgegenrief.

Sie trat ein paar Schritte zurück und brach dann vor innerlicher Erschöpfung zusammen. Das Haupt wider den Felsen gelehnt, wartete sie auf Alberto, der jetzt athemlos den steilen Fußpfad heraufkam und sie mit beiden Armen umschloß, wie eine Mutter, die ihr gerettetes Kind wiederfindet.

„Alles, Alles thue ich, was Du verlangst,“ betheuerte er unaufhörlich. Er hielt ihre Hand, er strich ihr das verworrene

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 415. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_415.jpg&oldid=- (Version vom 2.6.2021)