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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Frack und Orden in Hemdärmeln zu empfangen, trug er auch heute nur einen dünnen, seidenen chinesischen Schlafrock, der soweit zurückgeschlagen war, daß er die Brust unter dem ungeknöpften Hemde frei ließ. Er stand nie auf, wenn man in’s Zimmer trat, sprach rücksichtslos in Gegenwart Anderer über die intimsten Gegenstände Dritter und war je nach Eitelkeit und Laune kurz oder gnädig.

Auch diesmal war es so.

„Was bringen Sie mir?“ fragte er herablassend und ohne mir einen Stuhl anzubieten.

Ich wartete und ließ meinen Blick umherschweifen.

„Ah so! – Entschuldigen Sie! – Bitte, nehmen Sie Platz!“

Es gefiel ihm, daß ich mich von ihm nicht behandeln ließ, wie die Meisten.

Ich erzählte nun, daß mein Freund gestorben und daß seine Wittwe wegen ihrer zahlreichen Familie gebeten habe, bei ihm um Tilgung der Schuld einzukommen. – Mit der größten und wärmsten Theilnahme hörte er mir zu, erkundigte sich nach den näheren Verhältnissen bis in’s Detail, erging sich in milden, aber gerechten und verständnißvollen Worten über den Verstorbenen, und schloß mit der Frage (sie war sehr bezeichnend): „Fünftausend Thaler erhalte ich, nicht so?“

„Nein, mindestens das Dreifache, Herr Doctor –“

„Na, könnte die Wittwe denn nicht etwas abzahlen?“ schob er ein. „Und wenn nicht jetzt, vielleicht später? Wie viel hat sie zu leben? Hm, hm! – Grüßen Sie sie von mir. Sagen Sie ihr, ich hätte ihren Mann lieb gehabt; ich wünschte ihr alles Gute. – Bleiben Sie noch in Berlin?“ etc. etc.

Endlich erhob ich mich und berührte nochmals den Gegenstand. „Darf ich also melden, Herr Doctor –“

„Nun ja, ich sagte es ja schon! Noch heute soll der Betrag als bezahlt verbucht werden. Adieu! Adieu!“

Als Strousberg als ruinirter Mann – die Ereignisse sind ja bekannt – aus Moskau zurückgekehrt war und sein Bureau in der Dorotheenstraße einrichtete – wir hatten uns in der Zwischenzeit mehrfach geschäftlich berührt – ließ er mich durch einen Freund abermals bitten, ihn zu besuchen.

„Lesen Sie und sagen Sie mir Ihr Urtheil!“ hub er an und schob mir ein Papier hinüber. Es war der Prospect über eine Commandit-Gesellschaft auf Actien in Höhe von fünf Millionen Mark.

„Nun? Was halten Sie davon? Ich bitte unumwunden um Ihre Ansicht!“

„Ich glaube, daß fünf Millionen Mark das Eingeständniß einer Schwäche sein würde, Herr Doctor. Ich fürchte, offen gesagt, Sie werden Fiasco machen. Lassen Sie es ganz, oder nehmen Sie eine viel größere Summe, meinetwegen fünfzig Millionen unter nachweisbaren Garantien und unter Darlegung Ihrer Pläne. Vielleicht täusche ich mich in der Voraussetzung, daß der alte Zauber Ihres Namens wirken wird – jedenfalls werden Sie mit dieser Summe und mit diesem Prospect nichts erreichen.“

Als mir Strousberg aber gar erklärte, er wolle die Banken und Börsen gänzlich umgehen und sich lediglich an’s Publicum wenden, glaubte ich ihm überhaupt abrathen zu sollen. Seltsamer Weise wurde doch ein Geringes gezeichnet und zwar, wie mir erzählt ward, von Leuten, die viel Geld bei ihm verloren hatten.

Es giebt eben ewige Räthsel. – – Einige Monate später waren Strousberg’s Verhältnisse schon wieder äußerst precäre. Die Möbel in der Keith-Straße wurden gerichtlich versiegelt, und die Familie – wahrscheinlich solchen Eindrücken entfliehend – verließ abermals Berlin. Ich besuchte ihn hier zwei Mal.

Bei erster Begegnung saß er nach seiner Gewohnheit mit gekreuzten Unterbeinen und liebäugelte mit seinen kleinen, in Lackstiefeln steckenden Füßen. Unser Gespräch war sehr merkwürdig und von seinem raschen und originellen Urtheil ward ich, wie immer, auf’s Höchste angezogen. Strousberg war in der That ein außerordentlich geistreicher Mensch, nicht bezüglich blitzender Redewendungen, aber durch die abweichende und ganz eigenartige Auffassung der Dinge. Endlich sagte er, ziemlich unvermittelt: „Geben Sie einmal ein Urtheil über mich ab.“

Ich zauderte, aber er drang in mich. Nachdem ich mich als jüngerer Mann seiner Nachsicht versichert hatte, sagte ich: „Ich halte Sie bezüglich Ihres weiten Blickes und Ihrer großartigen Veranlagung für einen ungewöhnlich genialen Mann. Sie sind aber kein Geschäftsmann, obgleich Sie diese Carrière wählten. Ich bezweifle, daß Sie jemals Ihre Menschenkenntniß praktisch verwerthet haben, und ich glaube, daß Sie in Ihrem Leben niemals solvent waren, obgleich Sie sich zeitweilig einbildeten, einer der reichsten Männer Europas zu sein.“

„Letzteres ist stark,“ erwiderte Strousberg und musterte mich mit eigenthümlichen Blicken. Aber er brach schnell ab und bot mir, auf ein anderes Thema übergehend, eine Prise aus seiner goldenen Dose an. Ich tauchte meine zwei Finger tief hinein und verschob dabei zufällig den Inhalt. Da traf mich abermals sein Blick, ein anderer. Ich werde diesen nie vergessen. Wir sahen Beide zu gleicher Zeit auf dem Boden der Tabatière den blauen Stempel des Gerichtsvollziehers. –

Zum letzten Mal sah ich Strousberg, wie er das „Kleine Journal“ begründet hatte und ihn die Sorgen fast erdrückten.

„Schaffen Sie mir Geld! Wenn’s auch nur ein paar hundert Mark sind! Eilen Sie – darf ich Sie in einer halben Stunde erwarten? Ich brauche es dringend nothwendig – geben Sie mir Nachricht –?“

So drängte er.

Als ich mich zur Thür wandte, machte er mich mit einem gerade eintretenden Herrn bekannt, der sich soeben im Nebenzimmer über einige seiner neuen Unternehmungen informirt hatte und sein Geld bei ihm anlegen wollte. Es war ein neues Opfer seiner ruhelosen Pläne. –

Selbst im Sterben faßte dieser merkwürdige Mann immer von Neuem Muth. Man wußte nicht, sollte man mehr den Leichtsinn beklagen, oder die Energie anstaunen! Vielleicht Beides?

Fürst Bismarck las das „Kleine Journal“ um der von Strousberg geschriebenen Leitartikel willen seiner Zeit mit Vorliebe. Häufig ward dem neu Emporstrebenden dies mitgetheilt, und es machte ihn so glücklich, daß er, als ich ihm am nächsten Tage eine gute Botschaft von einem ihm wohlwollenden Freunde bringen konnte, und er dadurch neue Hoffnungen schöpfte, ausrief:

„Wenn Bismarck mich nur als Journalisten für seine Ideen verwenden wollte! Ich brauche wenig für meine Bedürfnisse. Schreiben ist mein eigentlicher Beruf, mein Element. Ich würde ihm und seiner Sache unendlich dienen können – freilich, es würde anders gemacht werden, als bisher. Und ihm zu nützen, würde einer der höchsten Wünsche meines Lebens sein.“

Er dankte mir für meine Bemühungen und bot mir Vortheile. Ich erklärte ihm, daß sein hochherziges Benehmen gegen die Wittwe meines Freundes seiner Zeit mich ihm dauernd verpflichtet habe. Dies und meine Bewunderung für seine vielen, großen und guten Eigenschaften sei das alleinige Motiv wiederholter Annäherungen gewesen. So schieden wir.

Bei seiner diesmaligen Rückkehr habe ich ihn nicht wieder gesehen. Ich erfuhr nur von Bekannten, daß er sich mit neuen Plänen und keineswegs aussichtslosen trage, und ein ganz unverwüstliches Selbstvertrauen an den Tag lege. Auch eine wörtliche Aeußerung ward mir mitgetheilt, und ich glaube, daß man sie unterschreiben kann:

„Ich habe schwere Fehler in meinem Leben begangen, aber stets wollte ich das Gute. Selten ist Jemand so tief von einer Höhe herabgesunken wie ich, selten ward Jemandem mit so wenig Dank gelohnt, wie mir. Fast alle meine Unternehmungen prosperiren heute, nachdem ihnen die Zeit gegeben, sich zu entwickeln, und wo ich eine scheinbare Ruine zurückließ, entstand doch kräftiges Leben.“

Nun hat dieser seltsame Mann plötzlich sein Dasein vollendet († am 31. Mai d. J. in Berlin). Sein ganzes Leben war ein einziger, ruheloser Kampf. Selbst unter den langandauernden Wahnbildern von Macht, Größe und Reichthum verzehrte ihn ein brennendes Fieber. War’s früher Sorge um die Lebensexistenz, so war’s damals – der Ehrgeiz, und zuletzt war’s die Bitterkeit, daß er, der so Vielen geholfen, der einst Hunderttausende mit mitleidigem Herzen verschenkt, der Arme speiste und geschehenes Unrecht stets bereitwillig gut zu machen suchte, der rastlos arbeitete, plante und sann, um Großes zu schaffen, der endlich in einem kleinen Stübchen in der Taubenstraße in Berlin, bei seiner früheren Köchin, das einzige freiwillig angebotene Unterkommen fand, um ein Dach über seinem Haupte, ein Lager unter seinem Körper zu haben. Solon’s Worte an Krösus: „nemo ante mortem beatus“ (Niemand ist vor seinem Tode glücklich), bewahrheitet sich an ihm, wie an Wenigen. – Keine Vertheidigung seiner Fehler, wohl aber der Wunsch einer gerechten Würdigung seiner vielen guten menschlichen Seiten veranlaßte mich, an dieser Stelle meine Erinnerungen an Strousberg wiederzugeben.


Blätter und Blüthen.

Das Concert. (Mit Illustration S. 409.) Weshalb die Resi beim Vogelnazi vorgesprochen ist, das weiß ich nicht. Ob sie nach Händln fragt, ob nach Küchenzeug aus dem Pflanzenreiche – die Radi liegen da nur so herum – kann ich nicht sagen. Bier hat sie geholt, das ist gewiß, und weshalb sie da steht und horcht und vergnügt ist, das ist auch zu sehen. Der Vogelnazi hat sie nicht ausgelassen, sie muß dem Dompfaffen sein Neuestes hören.

Und da pfeifen sie alle Beide, der Vogelnazi mit seiner Querpfeife und der Dompfaff mit seinem Schnabel. Was? Irgend ein G’sangl, aber ein langsames. Denn der Dompfaff ist ein langsamer Herr und muß schon jeden Ton ordentlich hören, ehe er ihn pfeifen kann.

Merkwürdiges Volk sind sie Beide, so ein Vogelnarr und so ein Dompfaff mit dem aschgrauen Röckl und schwarzen Käppi und rothen Brustlatz. Ich weiß es von Einem, der mich sehr nahe angeht und der zwar jetzt nur Canarienvögel züchtet, aber vordem auch Dompfaffen lehrte, übrigens selber nur ein Vogelzüchter, aber kein Vogelnarr ist.

Ein richtiger Vogelnarr schläft am liebsten dicht bei seinen Vögeln, und früh zieht er sich kaum das Nothdürftigste an, dann geht er erst einmal an die Käfige und pfeift. Er braucht weder Frau noch Kind, und hat er sie, so kommen sie in seinem Herzen erst nach den Vögeln. Dabei können sie immer noch gut versorgt sein, denn die Vögel sind sehr gut versorgt. Er braucht keine Unterhaltung, denn er hat nie Langeweile. Er ist anspruchslos, denn die Vögel geben ihm soviel Glück und Vergnügen, als er wünscht. Und wenn ein Engel vom Himmel käme, der Vogelnazi würde kein so verklärtes Gesicht machen, wie wenn der Dompfaff ein neues G’sangl ausgepfiffen hat, ohne einen Fehler zu machen.

Und so ein Dompfaff!

Er hängt vorm Fenster und der Vogelnazi kommt nach Hause. Er ist noch zwanzig Schritt von der Thür mit seinem Karren, aber der Dompfaff sieht ihn. „Däk – däk – däk“ – lang und schmelzend zieht er den Willkomm, und dazu macht er gravitätisch tiefe Reverenzen, erst rechts, dann links hinüber. Und dann um die Mittagsstunde, wenn der Nazi ihn auf den Tisch gestellt hat und sein Schläfchen machen will und Alles so still ist, dann hebt er an zu zwitschern, ganz leise, aber reizend. Er hat etwas Sentimentales, Zartes, Altjüngferliches an sich, so behäbig er aussieht und so funkelnd die kleinen schwarzen Aeuglein sind.

Aber so sind alle Dompfaffen, das ist noch nichts Besonderes. Pfeifen lernt noch lange nicht jeder Dompfaff: nur der Künstler, der geborene. Man kann ein Nest junger Dompfaffen nach Hause nehmen, und man ist nicht sicher, daß auch nur einer davon ein Künstler ist und pfeifen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 423. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_423.jpg&oldid=- (Version vom 11.3.2024)