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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Die Geharnischten von Torgau.

Festliche Aufzüge, in welchen uns Kriegsbilder vergangener Zeiten vorgezaubert werden, bilden heutzutage kein seltenes Ereigniß. Wo Erinnerungen an große geschichtliche Ereignisse gefeiert werden, da fehlt selten der mittelalterliche Harnisch und der wallende Helmbusch gepanzerter Ritter. Es dürfte aber kaum eine andere Stadt im Reiche geben, in welcher ein derartiges Schauspiel so oft und so regelmäßig sich wiederholt, wie dies in Torgau der Fall ist, das seine „Geharnischten“ alle zwei Jahre hoch zu Roß und zu Fuß vor die Thore der Festung hinausziehen sieht. Wo ein solcher Brauch so treu bewahrt wird, dort muß sicher der Geist der Bürgerschaft auf eine ereignißreiche geschichtliche Vergangenheit zurückblicken können, auf alten Glanz, den man nicht so leicht vergessen mag. Und in der That hat die ehemalige kurfürstliche Residenz an der Elbe ihre bedeutende Geschichte. – Als mit dem 10. Jahrhundert das Frühroth einer neuen Zeit über den Hütten der slavischen Wenden an den Ufern der Elbe erschienen war, da wurde Thurgove als die erste deutsche Niederlassung, als Stützpunkt für das germanische Vordringen und Warte gegen die unterjochten Stämme gegründet. Die Wehrhaftigkeit der Burgmannen und der innerhalb der Stadtmauern angesessenen Einwohner schützte Burg und Stadt, und die Beschäftigung mit den Waffen blieb als ein ernstes Erforderniß der Nothwendigkeit in steter Uebung.

Die Zeiten wurden allgemach friedlicher. Nach der Theilung Sachsens in die ernestinische und albertinische Linie zog in Torgau die Pracht und der Glanz des Herrscherhauses ein. Unter seinem Schutze blühte hier Handel und Wandel: weit über den Bannkreis des Stadtrechtes hinaus war Torgaus Herrschaft auf commerciellem Gebiete befestigt und gesichert. In Leipzig und Halle rechnete man nach Torgauer Maß und Gewicht, und der „Torgauer Scheffel“ galt in Mitteldeutschland als Grundmaß.

Mitten in diesem regen Treiben entstand auch am Anfange des 16. Jahrhunderts das vielthürmige Wahrzeichen der Stadt, das Schloß Hartenfels, dicht an der Elbe auf einem Porphyrfelsen erbaut. Noch heute gilt es als das gewaltigste Denkmal der Renaissance in Deutschland, welches an Größe sich wohl mit dem königlichen Schloß in Berlin messen darf und nur von dem Marienburger Schlosse übertroffen wird. Die Bewunderung und den Neid vieler Herrscher hatte es einst wachgerufen, die in seinen weiten Hallen gastliche Aufnahme fanden. Hatte doch Karl V., vor Torgau im Jahre 1547 vorbeiziehend, das Schloß eine „recht kaiserliche Burg“ genannt,

und Albrecht von Brandenburg nach der Mühlberger Schlacht zu Herzog Moritz geäußert: „Herr Ohm, es möchte wohl einer einen Krieg führen, wenn er ein solches Schloß

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 465. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_465.jpg&oldid=- (Version vom 10.3.2024)