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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

so tief verbunden sind, fallen lasse; daß ich Dir das schwesterliche Du gebe, und es mit süßer Freude von Dir annehme. Dies Alles, mein Wolfgang, mein Freund, gehört aber nicht vor den Richterstuhl der tadelsüchtigen, ewig mißverstehenden Menge, die ja für unsere tiefe Sympathie kein Organ hat, die Alles, was uns reinigt und begeistert, mit dem Maß unwürdiger Koketterie oder Liebelei mißt und danach abthut. Also, thörichter, unvorsichtiger Liebling! Sei auf Deiner Hut vor dieser spitzzüngigen großen Welt und hüte Deine glühenden Dichterworte vor Denen, die sie nur mit Spott aufnehmen.“

Sie hatte warm und mit Anmuth gesprochen; er hielt schon lange ihre linke Hand zwischen seinen beiden Händen gefangen; während sie, in der Rechten einen blühenden Fliederzweig schwingend, mit graziösem Tändeln ihre Worte begleitete, sah er ihr glücklich lächelnd in das feine, bewegte Antlitz. Sie fuhr nach einer kleinen Pause fort:

„Die Herzogin Luise, bedrückt von ihres Gatten sichtlicher Kälte gegen sie; Dir anfänglich mit Wohlwollen entgegenkommend, hat jetzt den Einflüsterungen des Grafen Görtz Gehör geschenkt, sie hält Dich für ihren Rivalen, für den Verführer ihres Gatten, der ihr sein Herz entfremdet, und sieht Dich mit eifersüchtigem Uebelwollen an.“

„Mich? Der ich sie so herzlich verehre?“ rief Goethe erstaunt.

„Ja, es ist so. Wie unwillkommen Du den Beamten im Conseil warst, ist Dir kein Geheimniß geblieben. Der Boden ist also unsicher und glatt unter Deinen Füßen und Vorsicht, wohlüberlegtes Auftreten ein Gebot der Klugheit. Diese Vermummungen, diese geistreichen, improvisirten Scherze, wie gestern Abend, sind in solchem Kreise nicht erlaubt.“

„Erlaubt ist, was gefällt!“ lachte er.

„Erlaubt ist, was sich schickt,“ entgegnete sie bestimmt.

Auch er ward jetzt ernster.

„Sollen wir denn immer und überall entsagen und uns beschränken?“ rief er unmuthig. „Der Herzog hat mich an sein Geschäft gebunden; aus der Liebschaft ist eine Ehe geworden! Ich habe hier zu Wieland, Knebel, Einsiedel und Anderen eine gute, reine Stellung. Mein Freund Herder wird noch herkommen, so bin ich gedeckt und biete allen Hofschranzen die Spitze. Ich will und bedarf kaum mehr, wenn Du mich nicht los läßt, Geliebteste, denn die Sicherheit meines Verhältnisses zu den einmal Erwählten, mir Gegebenen kann ich nicht entbehren.“

„Du darfst und wirst nie an mir zweifeln,“ sagte sie innig. „Was ein treuer Mensch dem Andern sein kann, bin ich Dir immerdar! Laß mich Dir eine Stütze sein, geliebter Freund! Verstehe meine Ruhe, wenn wir zusammen unter Menschen sind; ich darf ja nicht zeigen, wie hoch ich Dich halte!“

Er küßte ihre Hand wiederholt und dankte ihr mit flammenden Liebesworten. Eine frische Männerstimme rief jetzt seinen Namen, er sprang auf und eilte dem Herzoge entgegen.

„Ah!“ lachte Karl August schelmisch, „gewiß ein ästhetisches Conseil, das ich störe? Bitte um Verzeihung, bin aber verteufelt gern mit von der Partie und sehe nicht ein, warum ich mich an diesem goldenen Frühlingstage ennuyiren soll.“

Er setzte sich zu den Beiden, die ihn artig begrüßten.

Das Gespräch wandte sich bald auf Christoph Kaufmann. Goethe erzählte, daß Kaufmann bei einem Manne, den er seinen Herrn und Meister nenne, in Kassel sei, daß er aber mit dem Gedanken umgehe, noch einmal nach Weimar zurück zu kehren.

„Und wie heißt der Mann, bei dem dieser wunderliche Gast sich aufhält?“

„Graf von Saint Germain; er ist ein berüchtigter französischer Abenteurer. Landgraf Friedrich von Hessen, der den Mäcenas spielt und die üppige französische Wirthschaft führt, zieht solche Geister an. Uebrigens giebt es auch Leute genug, die auf des Grafen Wunderthaten und übernatürliche Künste schwören.“

„Ich möchte auch nicht Alles ablehnen, was nicht klar vor mir liegt,“ sagte der Herzog mit sinnendem Ausdruck, „und jenes ofterwähnten Meisters Bekanntschaft würde mich höchlich ergötzen. Görtz soll an den Hofmarschall von Bischofshausen in Kassel schreiben und wegen jenes Grafen Saint Germain, den Du als Protector Kaufmann’s nanntest, anfragen.“

„Das wird dem sehr gelegen kommen,“ sagte Goethe trocken.

Frau von Stein sah ihn befremdet an, dann ftagte sie:

„Sie scheinen einen Wunsch oder gar die Absicht jenes Wundermannes vorauszusetzen, hierher zu kommen? Wie verstehe ich den Argwohn des Dichters diesen phantastischen Leuten gegenüber? Hat Ihr Prophet Lavater nicht unter Kaufmann’s Silhouette geschrieben: ‚Er kann, was er will!‘ Hat er ihn nicht für einen außergewöhnlich begabten Menschen erklärt?“

„Allerdings hat er das!“ rief Goethe auflachend, „als Beweis, daß auch Propheten irren können.“

„Nun, streiten wir nicht,“ sagte der Herzog besänftigend. „Ich für meinen Theil lasse diese curiösen Adamssöhne noch nicht fallen; wir wollen auch nicht übersehen, daß sich in unserer Zeit Mancherlei für sie regt. Man rüttelt von allen Seiten an Pforten, die in dunkle Tiefen der Natur führen, und vielleicht wird sich hier oder da ein lichter Spalt aufthun. Mit einem jener Absonderlichen in nähere Berührung zu treten, könnte mich baß gaudiren!“

„Nur in der Kunst keine Dunkelheiten und dem Leben abgewandte Spitzfindigkeiten!“ rief Goethe erregt. „Mein Bestreben, meine unablenkbare Richtung ist: dem Wirklichen eine poetische Gestalt zu geben; wer das sogenannte Poetische, das Imaginative zu verwirklichen sucht, verirrt sich vom Ziel abwärts. Und sonach ist mir alles dämmerig Unnatürliche verdächtig.“

„Wenn man sich seltsame Käuze in der Nähe ansieht, ist man ihnen und ihrer ganzen Richtung ja nicht mit Haut und Haaren verfallen!“ lachte der Herzog; damit stand er auf und fragte, ob Frau von Stein ihn mit dem Freunde zurück begleiten werde?

Die kleine Gesellschaft schlug, unter fortgesetztem Geplauder, den Weg zur Stadt ein. Es begegneten ihnen öfter ehrerbietig grüßende Spaziergänger, die, obwohl die Sonne schon im Sinken war, doch noch auszogen, den schönen Abend im Freien zu genießen.

“Da kommen ein paar bekannte Damen,“ sagte Frau von Stein zu den lebhaft redenden Männern. „Es ist Auguste Kalb mit der kleinen Laßberg, die so lange krank war.“

„Klein nennen Sie die?“ flüsterte der Herzog, „sie ist ja eine schlanke Elfe und viel größer als das dicke Gustchen.“

Man trat den jungen Mädchen entgegen, und Frau von Stein fragte nach Christels Gesundheit. Mit niedergeschlagenen Augen stammelte diese, daß es ihr wohl gehe.

Der Herzog neckte Auguste mit den „Flammenküssen“ der scheidenden Sonne, die, „ihren Lilienteint umwerbend, Unheil anrichten würden“.

Gustchens warme bräunliche Haut färbte sich höher bei diesem leicht erkennbaren Spott, und sie wehrte sich in lebhafter Weise.

Goethe vermied es seit jenem Redoutenabend, ihr Artigkeiten zu erzeigen, er wandte sich also zu der eben Genesenen und sagte ihr einige theilnehmende Worte. Hohe Gluth wechselte mit Todtenblässe auf den feinen Zügen des bebenden Mädchens, und sie vermochte sichtlich kein Wort der Erwiderung hervor zu bringen. Unter ihren beinah geschlossenen Wimpern quollen Thränen hervor, und gleich darauf mußte Frau von Stein die Schwankende in ihren Armen auffangen.

Die Herren erschraken, man sprach davon, sie nach Goethe’s Hause zu tragen, eine Sänfte zu holen und dergleichen mehr. Bald aber richtete sich Christel mit großer Selbstbeherrschung auf, versicherte, indem ihre Farbe wiederkehrte, ihr sei Wohl, und verabschiedete sich hastig von der Gesellschaft, indem sie den Arm ihrer Begleiterin nahm.

Die beiden Männer sahen sich erstaunt und kopfschüttelnd an, und Goethe sagte:

„Welch seltsamer Windzug der Freundschaft führt diese beiden Seelen zu einander? Wie kommt’s, daß gerade die sich ihre Gefühle geben? Gustchen eine derbe und bis auf den Grund hohle Natur, und daneben diese fest geschlossene Knospe, diese Sensitive, die bei jeder Berührung erzitternd in sich selbst zurück schreckt, süßleidender Sentimentalität hingegeben. Nur die leeren Häuser stehen offen und die reichen sind geschlossen!“

(Fortsetzung folgt.)

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 486. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_486.jpg&oldid=- (Version vom 7.11.2022)