Seite:Die Gartenlaube (1884) 494.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

„breiter Haid’“, in welchen Jahrhunderte lang die beste Kraft unseres Volkes nutzlos und roh vergeudet ward. Als ob er seine Zeit selbst anklage, reckt sich hier die eiserne Hand des Herzogs aus dem Bilde hervor, eine Zeit der Rechtlosigkeit und Gewaltthat, in deren unerfreulichen Einzelnheiten das Auge des Beschauers schnell zu ermüden pflegt: Kaiser Friedrich’s III. unfähige und trostlose Regierung.

„Wer aber war Herzog Christoph?“ wird wohl mancher unserer Leser fragen.

Nun, er verdient sicher eine genauere Betrachtung, denn er gehört unstreitig zu den merkwürdigsten Figuren dieser an abenteuerlichen Existenzen so reichen Zeit. Trostlos ist ihr Hintergrund allerorten – unaufhörlicher Kampf der Großen mit den Kleinen und unter sich, das deutsche Reich ein Theilungsobject für gierige Fürstenhände, das Reichsoberhaupt fern, in eigene Hausstreitigkeiten jahrzehntelang verwickelt, immer in Geldnöthen: so sieht die romantische Zeit des „letzten Ritters“ bei genauerer Betrachtung aus.

Auch im bairischen Herzogshause, das hundert Jahre früher weit mächtiger als das Haus Habsburg dastand, rissen üble Zustände ein. Albrecht III., bekannt durch seine erste Ehe mit der unglücklichen Agnes Bernauer, hatte aus seiner zweiten fünf Söhne und wies in seinem Testamente „die zwei ältesten“ an, gemeinsam zu regieren. Johann, der Aelteste, starb rasch, sein Bruder Sigmund, ein bequemer Herr, „dem wohl war mit schönen Frauen und weißen Tauben, auch Singen und Saitenspiel“, verzichtete bald freiwillig auf die Mühen der Regierung zu Gunsten seines Bruders Albrecht. Nun, da die ursprüngliche Erbordnung durchbrochen, war es kein Wunder, wenn die beiden jüngsten, eben von der Hochschule Pavia heimkehrenden Herren, Christoph und Wolfgang, ebenfalls ihren Antheil an Land und Gut verlangten. In diesem unerquicklichen Streite vergingen Jahrzehnte, die Einzelnheiten sind heute vergessen, aber charakteristisch heben sich auch für uns noch daraus hervor die beiden Hauptfiguren: Albrecht, der kluge und feingebildete Humanist, „wohlgelehrt der lateinischen und welschen Sprach, sodaß ihn seine Brüder, in studiis minder sorgsam, in späteren Jahren noch spottweise ‚den Doctor‘ nannten“, und in starkem Gegensatze zu ihm der unbändige Christoph, der sich einer ansehnlichen Leibesgröße und herculischen Kraft erfreute, jähzornig und hochfahrenden Sinnes war, dabei prachtliebend und verschwenderisch, also zur Rolle eines fügsamen jüngeren Bruders in keinem Betracht geschaffen. Freilich ebenso wenig zu der eines Bischofs, die ihm väterliche Voraussicht bestimmt hatte – seine Tage in Pavia waren in Raufhändeln und Zechgelagen aller Art, aber ohne die mindeste Theologie verflossen.

In München wurde der „starke Christoph“ bald zum Volksliebling. Er machte und vertrug einen derben Spaß auf Markt und Gassen, er warf sein Geld reichlich zum Fenster hinaus, aber ebenso wohl für Almosen, als für Zechgelage und die Schulden guter Freunde.

Eine kleine Probe aus dem Aufschreibebuch seines Haushofmeisters mag als Beleg dienen:

„Item an den Koch für sein Hofhalt zahlt und die
  fünf essen für die frömdn ritter

387 fl.
Vnd in was sich der Koch irrt und verrechnet hat 29 fl.
Vnd ist in dem monat verschenkt worden an arm
  priesterleut und mönch an die

300 fl.
Vnd es hat uns der Welser abermals ein Darlehen
  geben, hat das erste noch nit zurück, tut

1000 fl.
Vnd nemb mein gn. Herr Christoph eine handvoll
  geld und verschenkts, etwan

500 fl.
Vnd schenkt dem türmer zu st. peter für sein schönes blasen 1 fl.
Item für ein gutes schwert mit silbernem griff, ein
  sammt mantel und jagdkoller

24 fl.
Item es hat mein gn. Hr. Herzog Christoph schier all
  dagewesenes geld genommen und mer orte hinzehlt,
  sagt er habs aufgeschriben und verloren.

Sind in der baarschaft vorhanden 31 fl. 27 kr.

Es ist also wohl begreiflich, daß der lustige Herzog, dessen milde Hand sich so leicht und gern öffnete, bedeutend populärer war, als sein ernster, bedächtiger Bruder, der natürlicher Weise darnach streben mußte, die alte Erbordnung wieder herzustellen und das Regiment ausschließlich in seine Hand zu bekommen, um dem völlig unleidlichen Zustande ewiger Fehde, auch zwischen den Vasallen, ein Ende zu machen.

Fortwährende Streithändel, vergebliche Ausgleichsversuche von Seiten des naheverwandten Herzogs von Niederbaiern, ja des Kaisers selbst, füllen die Jahre von 1467 bis 1485 aus. Die beiden Brüder zerfielen vollständig, Zwischenträger aus dem Adel schürten den Haß, Christoph kam in immer ärgere Geldverlegenheit, und es kostete ihn schwere Mühe, da der Welser nicht mehr borgen wollte, bei dem Rathe dieser und jener Stadt das Geld aufzunehmen, um seine Anhänger zu bezahlen.

„Pinzenauer,“ sagte er in solcher Lage zu einem seiner Getreuen, „wir müssen die Sache anders machen, es thut’s so nicht. Wir haben Nichts und Er (nämlich Herzog Albrecht) giebt uns auch Nichts. Wir haben viel Volks und brauchen von ihm Nichts zu leiden.“

„Herr,“ erwiderte sein Gesell, „ich verstehe wohl. Ihr wollt bösen Dingen nachgehen, gedenkt, wessen Ihr Euch verschrieben habt.“

Aber Christoph’s Logik gipfelte immer wieder in dem Satz: „Wollte Gott, daß ich mich mit meinem Bruder, Herzog Albrecht, um unser Erbe hätte schlagen können, und welcher übrig blieb, der behielt Alles!“

Mochten es nun solche Reden sein, die Albrecht hinterbracht wurden, mochte, wie er fest behauptete, im Stillen Anstalten zu offenem Aufruhre und seiner eigenen Gefangennehmung gemacht worden sein – genug, er faßte jetzt den Entschluß, seinen Bruder gefangen zu setzen. Aber mit diesem Entschlusse war es einem Recken wie Herzog Christoph gegenüber nicht gethan. Er gehörte zu Denjenigen, die massive Eisenstäbe biegen, Silberthaler in der Hand zerbrechen und einem Bären mit der Faust den Schädel einschlagen. In der Residenz zu München sieht man noch heute den drei Centner schweren Stein, den er zwanzig Fuß weit schleuderte, und den zwölf Schuh hoch in der Mauer steckenden Nagel, den er im Sprunge mit der Ferse herab schlug. Einen solchen Mann fangen zu wollen, hatte also seine Schwierigkeiten, und nach langem Bedenken faßte Albrecht mit Niclas, Grafen von Abensberg, dem Christoph schon von früher verfeindet war, den einzig möglichen Plan, diesen in München im Bade zu greifen, wo er waffenlos war und man es nur noch mit seiner Körperstärke zu thun hatte. Der Ueberfall gelang. Mit einigen Genossen warf sich der Abensberger auf den Ahnungslosen, der vergebens strebte, zu seinen Waffen zu gelangen, nach kurzem Ringen überwältigt und in einen Thurm der „neuen Veste“ abgeführt wurde, am 23. Februar 1471. Dort hatte nun der hitzige Prinz Zeit zum Nachdenken, aber auch Herzog Albrecht wurde durch fortwährendes Drängen der Landstände und einen nur zufällig mißglückten Befreiungsversuch von Christophs Anhängern belehrt, daß er seinen Bruder doch nicht dergestalt nach eigenem Belieben gefangen halten könne, und so gab er ihn, obgleich widerwillig, frei. Christoph verstand sich nach einigen Jahren dazu, seine Ansprüche gegen den Besitz von Weilheim, Landsberg, Pähl und eine gute jährliche Rente abzutreten.

Aber zum Stillleben als oberbaierischer Schloßbesitzer war ein Mann von Christoph’s beweglicher Abenteurernatur nicht gemacht, er zog also nach Ungarn, um dem Könige Matthias gegen die Türken zu helfen, und theilte dort die Gewalthiebe aus, die seinen Namen zum Schrecken der Ungläubigen machten. „Denn sein Schwert,“ heißt es, „glich des Todes Sense, und wenn es zu mähen begann, war’s, als ob das Gras geschnitten würde.“

Einige Jahre später kehrte er aber wieder nach Baiern heim, und kurze Zeit darauf gingen die alten Händel wieder an. Die Weilheimer und Landsberger beschwerten sich, wohl mit gutem Grund, bei Herzog Albrecht, daß Christoph sie mit gewaltsamen Steuern presse, und der geordnete Albrecht nahm hiervon Anlaß zur Intervention. Er zog zu Ostern 1485 von München aus und besetzte des abwesenden Christophs Städte. Als dieser davon hörte, schwoll ihm das Herz vor Grimm und Rachsucht. Seinem Bruder konnte er nicht ankommen, aber zu Freising, wo er im Augenblicke lag, mußte in den nächsten Tagen der von der Expedition gegen Landsberg heimkehrende Abensberger vorbeikommen, und mit ihm, der rechten Hand Herzog Albrecht’s, dem Hetzer und Schürer zwischen beiden Brüdern, dachte der ergrimmte Christoph jetzt blutig abzurechnen.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 494. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_494.jpg&oldid=- (Version vom 30.7.2022)