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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

„Der bin ich, und wir sind also Heimathgenossen.“

„In der That – die daheim sich so fremd sind, müssen hier, in der großen Stadt sich finden, um,“ setzte sie lächelnd hinzu, „so heitere Kindheit-Erinnerungen auszutauschen. Aber nehmen Sie doch Platz – Herr Melber wollte gleich zurück sein – Sie werden, wenn Sie hierher gekommen sind, um einen Blick auf seine Werke zu werfen, doch auch die Bekanntschaft des Künstlers machen wollen? Werden Sie längere Zeit in Wien bleiben? Und interessiren Sie sich für plastische Kunst?“

Sie hatte sich auf ihrem Stuhl gewendet, um das Gespräch mit dem Heimathgenossen fortzusetzen – Raban antwortete, sich einen Sessel herbeiziehend:

„Ich interessire mich freilich für die Kunst – Herrn Melber lernt’ ich schon gestern kennen – ich möchte ihm sogar,“ fuhr er leis erröthend fort, „etwas wie einen Auftrag geben . . .“

„Ah, das ist brav . . .“

„Aber . . . hat er Ihnen nichts davon gesagt?“ Raban sprach das mit einer wachsenden Verlegenheit.

„Mir gesagt? Nein. Weshalb sollte er?“

„Weil – nun, weil ich an seiner Gruppe hier großes Gefallen fand – aber, zu arm, um sie für mich ganz in Marmor ausführen zu lassen, ihn bat, mir wenigstens den Kopf der Hauptgestalt als Büste in Marmor auszuführen. Er nahm Anstand, dies zu versprechen, weil er damit zugleich eine Portraitbüste herstelle und nicht wisse, ob das Original in eine Nachbildung für einen Fremden einwillige. Das Original dieses Kopfes ist nun unverkennbar der Ihrige, Sie haben die Güte gehabt, ihm als Modell zu dienen, und da Melber mir Ihre Einwilligung zu erwirken versprach, so setzte ich voraus . . . kam eben deshalb heute auf seinen Wunsch hierher . . .“

„Ich weiß von dem Allen nichts,“ versetzte sie sehr ernst und nachdenklich, „also den Kopf der Gruppe wünschen Sie zu besitzen – und er wünscht gewiß sehr, einen solchen Auftrag ausführen zu dürfen . . . ich möchte freilich Anstand nehmen, es zu erlauben, wenn es sich wirklich um ein Portrait handelte; aber ich habe Melber bei seiner Arbeit nur, wie er’s eben wünschte, hier und da als Modell gedient; meinen Kopf hat er so idealisirt, daß ich glaube, ich thäte Unrecht, durch übertriebene Aengstlichkeit ihn um einen solchen lohnenden Auftrag zu bringen.“

„Und Sie geben also Ihre Einwilligung?“ rief Raban aus, „o wie glücklich Sie mich dadurch machen!“

„Sie scheinen wirklich ein Kunstenthusiast zu sein, Herr von Mureck!“ versetzte sie kühl und plötzlich ihre unterbrochene Arbeit wieder aufnehmend. „Reden wir jetzt von Anderem. Wann verließen Sie die Heimath?“

„Vor etwa drei Wochen . . .“

Und sind also noch ziemlich ein Neuling in der Gesellschaft – ich bin schon über Jahresfrist hier – gefesselt zunächst durch den leidenden Zustand einer Großtante, der Schwester meiner Großmutter. Die alte Dame hat das Stift in Prag, in welchem sie den größten Theil ihres Lebens zubrachte, verlassen, weil sie ein besonderes Vertrauen auf die Wiener Aerzte setzt – und will mich nun nicht wieder von sich und zurück zu der lieben Großmutter auf Arholt lassen, nach dem ich mich oft sehr lebhaft zurücksehne; die Großmutter ist auch sehr unglücklich darüber, aber was ist da zu machen? Die Großtante ist wirklich leidend und so bestimmt von ihrem baldigen Ende überzeugt . . .“

„Und unterdeß wird auch Wien Sie fesseln – die Kunstübung, von der ich Sie in Anspruch genommen sehe . . . und sicherlich auch die mannigfachsten Verbindungen, die sich bei einem so langen Aufenthalt anknüpfen . . .“

Raban sprach diese Worte wie tastend, wie eine scheue Frage – er dachte an die räthselhaften Situationen, in denen Marie Tholenstein vor ihm aufgetaucht war, obwohl jetzt ja Alles, was diese Räthselhaftigkeit Beängstigendes für ihn gehabt, von ihm genommen und geschwunden war. Es war nur noch das Gefühl des Glücks, sie endlich erreicht, in ihr wirklich die Bekannte seiner Jugend gefunden zu haben und nun so ruhig und ungestört in diesem stillen Raume, der wie ein der Welt entrücktes Reich für sich war, mit ihr reden zu können. O, wie er sie liebte, immer geliebt hatte – diese heimlichen Kunstwerkstätten!

„Es ist eigentlich beleidigend,“ gab sie ihm mit einem nachdenklichen Lächeln zur Antwort, „uns zu fragen, ob eine große Stadt, eine Weltstadt uns fesselt. Fesselt Sie Wien? Gefällt Ihnen Paris? Gefällen Sie sich in Rom? Mein Gott, wie die Menschen reden können! Weshalb nicht auch fragen: Interessirt Sie die Welt?“

„Ich habe Sie aber sicherlich nicht beleidigen wollen, Fräulein von Tholenstein, indem ich ein müßiges Wort hinwarf,“ fiel lebhaft Raban ein; „ich bin völlig überzeugt, daß Ihnen ein Schönheitsgefühl eigen ist, welches begierig all die tausend Hervorbringungen schaffender Phantasie, menschlicher Gestaltungskraft und die Schätze, welche eine solche Stadt davon aufgesammelt hat, in sich aufnimmt – sind Sie doch selbst, wie ich sehe, Künstlerin!“

„Künstlerin! Weil ich einen unbesieglichen Drang habe, mich in solchen Versuchen abzumühen? Während ich die Stunden, die sie mir rauben, so viel besser verwenden könnte,“ setzte sie mit einem Seufzer hinzu.

„Besser – aber wozu könnte man seine Zeit besser verwenden, als ein Talent, das uns die gütige Natur gab, auszubilden?“

„Um damit endlich – was zu erreichen? Im besten Falle was?“

„Etwas Schönes, Großes!“

„Darnach ringen tausend Begabtere, Stärkere, als wir armen Dilettanten. Und einige von ihnen erringen es ja auch, schaffen es, geben der Welt dessen so viel, wie sie bedarf – oder nicht bedarf, denn man sieht ja nicht, daß sie sich’s viel zu Herzen nimmt und besser dadurch wird.“

„Mag sein – dem Künstler kann es darauf, kann es auf die Welt so sehr nicht ankommen. Er denkt bei seinem Schaffen nicht an sie, sie hilft ihm nicht, sie versteht ihn nicht einmal, im Grunde haßt er sie und – geht seinem Ideale nach, dem Genius, der in ihm ist, gehorchend.“

„Nach Ihrer Vorstellung ist der Künstler also – ein großer Egoist? Sie mögen Recht haben! Es ist ein mächtiges Nachinnenleben in ihm, das ihn abschließt von der Welt und unzugänglich für deren Interessen macht, die von so ganz anderer Natur als seine Bestrebungen sind.“

„Gewiß, und Niemand kann ihm Vorwürfe über diesen natürlichen, gerechtfertigten Egoismus machen!“

„Wenn er aber sich selber Vorwürfe macht? Wenn er nun aber auf der andern Seite eine starke Empfindung hat, die sich in das Elend der Welt nicht zu finden weiß, die helfen möchte und zugreifen, beistehen, lindern, wo sie nur kann, wo nur das Elend an sie herantritt; die wie mit einem unruhigen Gewissen ihrem Kunstschaffen nachhängt, als ob sie die Stunden den Leidenden, denen, die sich nach ihrer Theilnahme und ihrer Hülfe sehnen, raube – wie dann?“

Raban schwieg auf diese Frage, die sie wie halbzerstreut durch die Arbeit, an welcher sie langsam fortfuhr, in einzelnen Sätzen aussprach. Es war ihm, als ob ein plötzlich aufflammendes Licht aus ihren Worten auf die Situationen falle, in welchen er Marie Tholenstein erblickt hatte.

In diesem Augenblicke wurde der Vorhang des Ateliers zurückgeschlagen, und Wolfgang Melber trat ein.

„Ah,“ sagte er, sich leicht vor Raban verbeugend, „ich sehe, die Herrschaften haben sich auch ohne mich verständigt, und es bedarf wohl meiner Vermittelung bei Fräulein von Tholenstein nicht mehr?“

„Deren bedarf es allerdings nicht mehr,“ versetzte Raban; „Fräulein von Tholenstein hat bereits die Güte gehabt, ihre Einwilligung auszusprechen, und mich dadurch sehr glücklich gemacht. Wenn Sie also jetzt die Arbeit für mich in Angriff nehmen wollen . . .“

„Dann mit Vergnügen,“ fiel Melber ein, mit einem eigenthümlichen Blicke in Marie Tholensteins Züge, den sich Raban nicht zu deuten wußte; lag doch in ihm etwas Schlaues, fast auf ein Einverständniß Deutendes.

Der Bildhauer sagte dann Einiges über die Art, wie er die Büste, welche er ausführen solle, abschließen könne, und wollte die Form wissen, die Raban für diese Basis vorziehen werde. Während dessen war die Zofe, welche Raban im vorderen Raume bei dem Kunstgenossen Wolfgang’s gesehen, eingetreten; sie sprach leise einige Worte mit Marie Tholenstein und schien diese zu

mahnen, daß es Zeit sei, die Arbeit abzubrechen und heimzugehen; das Fräulein begann wenigstens, sich dazu mit ihrer Toilette zu

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 504. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_506.jpg&oldid=- (Version vom 30.7.2022)