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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

angesehener der letztere ist, je länger ist die erstere und vice versa. Es ist daher sehr natürlich, daß der Fellach in berechtigter Selbstschätzung seiner socialen Stellung sich den allerkürzesten Pfeifenstiel construirt.

Der oberägyptische Fellach hat, nach den altägyptischen Wandgemälden zu urtheilen, genau die Farbe seiner Vorfahren. Von Norden nach Süden hin variirt dieselbe von einem hellen Roth zum tiefsten Braun, eine natürliche Folge seines Aufenthaltes im Freien unter den Strahlen der afrikanischen Sonne. Weiber und Kinder, soweit die lagernden Schmutzschichten die Grundfarbe der Haut zu erkennen gestatten, zeichnen sich durch einen helleren Teint mit olivenfarbiger Schattirung aus. Dichte Augenbrauen über den mandelförmigen schwarzen Augen, eine niedrige Stirn über der wohl proportionirten Nase, starke Backenknochen und ziemlich aufgeworfene Lippen sind die eigenthümlichen Merkmale der Gesichtsbildung, die aber bei Knaben und Mädchen bisweilen den Typus vollendetster Schönheit erreicht. Ihr kräftig gebauter Körper ist schlank und elastisch, und fettleibige Fellachen dürften gezählt werden.

Nur der Schech-el-belled oder Dorfschulze zeichnet sich unter seinen fellachischen Brüdern durch ein behäbigeres Aeußere vortheilhaft aus. Seine Nahrung ist eine vornehmere, wobei der mästende Reis eine Hauptrolle spielt. Seine amtlichen Beziehungen zum gestrengen und gefürchteten Mudir und den koptischen Schreibern des Divan sind zwar nicht immer die reinlichsten, haben ihm aber die Sehnsucht nach einer höheren Stufe des irdischen Daseins erweckt, und sein stattliches Haus mit der weißen Tünche darauf enthält so manchen Gegenstand, welcher geeignet ist, das böse Auge des neidischen Fellachen zu erwecken. Zieht der Schech in Begleitung seiner reisigen Diener über Land, so trägt ihn sein feuriges junges Roß, und im vollsten Waffenschmucke galoppirt er mit seinen Reitern über das Feld oder verfolgt den Weg auf dem hohen Damme am luftigen Ufer des Stromes. (Vergl. Illustration S. 508 und 509.) Seine Lieblingswörter, mit welchen er den halbnackten Fellachen an der Straße anzureden pflegt, sind „Kelb“ und „Chansir“, auf gut deutsch „Hund!“ und „Schwein!“ Verlegen lächelt der Fellach zu den wenig schmeichelhaften Worten und erwidert höchstens ein freundlicheres: „Malesch ja Schech“, „Laß es nur gut sein, o Schech!“

Im Kaffeehause des Dorfes oder am Strande „des Meeres“, wie der Aegypter seinen Nil bezeichnet, sitzen die männlichen Bewohner der Ansiedelung auf ihren Bänken aus Palmenstöcken. Ihre Unterhaltung betrifft vor Allem den wandelbaren Piaster. Es ist eine Landeseigenthümlichkeit, daß Geld und immer nur wieder Geld den Hauptstoff sämmtlicher Gespräche bildet. Die Größe der monetären Einheit, welche der Sprecher im Munde führt, steht wiederum mit der Länge der Pfeife in einem genauen Verhältnisse. Der Pascha spricht von „Beuteln“, der Europäer von „Guineen“, der Bürger von „Talleris“ und der Bauer von „Piastern“. Kommt der Schech mit seinem Gefolge angesprengt, so verstummt jedes Gespräch, und das Volk erhebt sich von seinem Sitze, verbeugt den Oberkörper nach altägyptischer Weise, und Jeder beeilt sich, dem Würdigen den Steigbügel zu halten und ihm bei seinem Herabsteigen behülflich zu sein.

Der kecke, fröhliche, fast übermüthige Sinn der jungen Fellachen macht im reiferen Alter einem stillen Ernste und einer gewissen Abgeschlossenheit Platz. Arbeit und Noth des Lebens haben den Mann gebeugt und seine angeborene Geistesfrische frühzeitig erstickt. Die Freude am Dasein ist ihm durch seine Peiniger verbittert, und der ewige Steuerdruck nebst Beischlag hat ihm gründlich die gute Laune verdorben. Seine religiöse Genugthuung findet er in dem Vollziehen der vorgeschriebenen äußeren Handlungen, um sich wenigstens die Hoffnung auf ein besseres Dasein im Paradiese zu sichern. Die Schulbildung unter den oberägyptischen Bauern ist gleich Null. Der Vorsänger und Schulmeister beschränkt seine scholastischen Themata auf das Auswendiglernen von Koranversen. Was darüber hinaus geht, ist vom Uebel. Lesen und Schreiben erhebt den Fellachen zu einer Person, die sich schon sehen lassen und eine längere Pfeife zulegen darf.

Wenn auch der Landbewohner im Saïd geldgierig ist und dem Bachschisch mit ungebührlichem Eifer nachjagt, so habe ich selten Gelegenheit gehabt, ihn als treulos, betrügerisch und schwindelhaft kennen zu lernen. Er ist mit wenigen Ausnahmen gutwillig, dienstbar und gehorsam, und nur die Aussicht auf Arbeit ohne Lohn macht ihn verstockt und widerspenstig.

In den Städten Oberägyptens, wie Benisuef, Minieh, Siut, Girgeh, Kenneh und Achmim, ist der unverfälschte Typus des Fellachen als erloschen zu betrachten. Der im Dienst der Regierung stehende handelnde und gewerbetreibende muhammedanische Araber und christliche Kopte liefert das Hauptcontingent der Bewohner. Die Kopten (ihre Zahl im ganzen Lande schwankt nach den verschiedenen Angaben darüber zwischen 150 bis 300 Tausend Seelen), die echten und rechten, das heißt ungemischten Nachkommen der alten Aegypter, haben die Vorzüge ihrer Abstammung körperlich und geistig durch eine nach den Verhältnissen des Landes angemessene feinere Nahrungs- und Lebensweise zu erhalten gewußt. Ein heller, olivengrün angehauchter Teint, im Gegensatz zu der gerötheten rissigrauhen Haut des Fellachen, und ein bis zur Fettleibigkeit wohlgepflegter Körper lassen beim ersten Blick den Unterschied zwischen den Kopten und den eingeborenen Landbewohnern erkennen. Zu allen Handwerken, Künsten und Wissenschaften gut angelegt und der Bebauung des Landes nur nothgedrungen zugethan, zeichnen sich die Kopten durch eine besondere Schärfe der Intelligenz, die sich im schlimmsten Falle bis zur unglaublichsten Schlauheit steigert, in allen geschäftlichen Angelegenheiten aus. Das Rechnen und Berechnen ist daher ihre Hauptstärke und ihre unentbehrliche Anwesenheit in allen mit dem Finanzwesen verbundenen Aemtern der ägyptischen Verwaltung deshalb leicht erklärlich.

Der koptische „Moallim“ oder „Gelehrte“, wie die „Geheimsecretäre“ im Staatsdienste von den Aegyptern betitelt zu werden pflegen, ist eine angesehene Person und sein Talent ebenso geschätzt als gefürchtet. Die Kopten neben den eingewanderten Arabern bilden somit das eigentliche Element des Bürgerstandes in Unter- wie in Oberägypten. Ein reiches Vermögen gestattet ihnen nach Landesweise in aller Gemächlichkeit zu leben und sich den Genüssen des Orientes und des Occidentes bis zum Luxus des Hausstandes hin im vollsten Umfange ihrer Wünsche hinzugeben. Für die Reisenden ist der Kopte in Oberägypten der eigentliche Typus des zuthulichen Städters. Die zahlreichen Consular-Agenturen, welche die europäischen Großmächte in den Hauptstädten der einzelnen Provinzen zum Nutzen und zum Schutze ihrer wandernden Staatsangehörigen unterhalten, sind koptischen Christen anvertraut, deren bürgerliche Stellung und Vermögen die genügendste Garantie für die ihnen bewilligte internationale Protection darbietet. Daß der Einzelne die europäische Schutzgenossenschaft in seinem persönlichen Interesse auszubeuten im Stande ist, darf bei den Charakteranlagen der koptischen Rasse nicht in Verwunderung setzen. Titel- und ordenssüchtig, wie die Consularagenten in Folge ihrer Stellung und ihres Reichthumes sind und sich darin vor allen übrigen Kindern Mizraïm’s auszeichnen, haben sie nur die kleine Genugthuug, sich mit dem europäischen langgedienten, biederen Nachtwächter auf einer Rangstufe zu befinden.

Von den Söhnen der Berge, welche ihre Zelte in den öden und traurigen Gebirgsthälern und auf den steinigen und sandigen Flächen der Wüste aufgeschlagen haben und von Zeit zu Zeit den oberägyptischen Dörfern ihre durchaus nicht beliebten Besuche abstatten, ist nicht viel zu sagen, da in ihren Adern libysches oder arabisches Blut rollt und sie nichts weniger als Aegypter sind, und es auch gar nicht sein wollen. Ihre vielgerühmte Kriegstüchtigkeit ist heutzutage höchstes ein poetisches Märchen. Raufereien unter sich in Begleitung eines heidenmäßigen Lärmes, durch welchen sie sich gegenseitig bange zu machen suchen, und Ueberfälle auf wehrlose Wanderer bilden die Capitel der Heldenthaten der ebenso schmutzigen als unedlen Beduinen. Die schlimmsten von ihnen sind diejenigen, welche auf dem Boden der libyschen Wüste in der Nähe der Oasengebiete ihr unstätes Leben führen, die sanftesten dagegen die in den Gebirgsthälern zwischen dem Nilufer und der Küste des Rothen Meeres bis südlich zum Breitegrad der Stadt Kenneh hinwandernden „Kinder des Berges“, welche den Karawanenverkehr vermitteln und eine Hauptquelle ihrer Einnahmen in der Kameelzucht finden. Die eigentlichen Ritter der Wüste sind die Nachkommen der ehemaligen Aethiopen, der alten Bewohner des Landes Kusch, die erbittertsten Gegner der Aegypter und – der Engländer.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 509. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_511.jpg&oldid=- (Version vom 11.3.2024)