Seite:Die Gartenlaube (1884) 552.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Blätter und Blüthen.

Alarm im Dorfe. (Mit Illustration S. 549.) „Der Appell macht Alles lebendig!“ So muß man unwillkürlich mit dem Dichter des bekannten „Mantelliedes“ denken, wenn man C. Röchling’s hübsches Bild „Alarm im Dorfe“ betrachtet: nicht nur die Soldaten werden von dem Schall der zum Appell rufenden Trommel lebendig und stürzen aus allen Thoren und Thüren zum Alarmplatz, sondern auch die Bauern, die mit neugierigen Gesichtern an die Fenster eilen, und – die Gänse des Dorfes, die mit demonstrativem Schnattern und Zischen ihre Entrüstung äußern über den – ihrer Ansicht nach – höchst rücksichtslosen und durchaus nicht zeitgemäßen Lärm auf der Dorfstraße, die sie als ihr ausschließliches Territorium zu betrachten gewohnt sind. Aber „Gewalt geht über Recht“ mögen sie wohl denken: schreiend entfliehen sie und überlassen den wilden Kriegsmännern die Stätte ihres friedlichen Thuns und Treibens.

Es ist ein heiteres Manöverbild, denn nur zu Manöverzwecken war die Compagnie im Dorfe einquartiert, was man an den grünen Zweigen erkennen kann, welche die Soldaten auf die Helme gesteckt tragen und die offenbar als Unterscheidungszeichen von dem gleichuniformirten „Gegner“ dienen sollen. Alle die charakteristischen Scenen, welche bei einem solchen beschleunigten militärischen Abschied vorzukommen pflegen, sind auf dem kleinen Raume des Bildes zusammengedrängt. Die meisten der Soldaten eilen zwar mit anerkennenswerther Hast dem Platze zu, wo der Vater der Compagnie, der Hauptmann, hoch zu Roß unter Beihülfe der Mutter, des Feldwebels, seine Getreuen sammelt; nur einige Säumige werden von einem Unterofficier mit Zuruf und zum Alarmplatz zeigender Hand zur Eile ermahnt. Einer jedoch nimmt sich noch so viel Zeit, einer sich – vielleicht mit betrübtem Herzen – weit aus dem Fenster lehnenden Dorfschönen mit Hand und Blick ein Lebewohl auf „Nimmerwiedersehen“ zuzuwinken, während ein Anderer seine ganze Aufmerksamkeit einer der flüchtigen Gänse zuwendet, weshalb wir fast versucht sind, ihn als Kenner und Liebhaber von Gänsebrust für einen Pommer zu halten. Oder ist der Betreffende wohl gar eine Species „Zundelfrieder“, welchen Johann Peter Hebel in den humoristischen Erzählungen seines „Schatzkästlein“ so köstlich schildert? Will er vielleicht, wie einst der genannte Erzschelm bei einer „auf der Gasse verspäteten Gans“ gethan, ihr ein paar gute Lehren ertheilen und sie unter „gute Aufsicht“, das heißt in seinen Fouragebeutel bringen? Wir können dies letztere von einem „den Rock des Königs“ tragenden Manne kaum glauben, aber – wer kann dem Menschen in’s Herz sehen?


Der Antiquitätenhändler. (Mit Illustration S. 545.) Eine ganz besondere Species des Kaufmannstandes ist der Antiquitätenhändler. Er „macht sein Geschäft“ natürlich auch um des Geschäftes willen, aber sein Herz hängt an den Waaren, die er kauft und verkauft, während bei seinen Berufsgenossen die Waare erst an Reiz gewinnt, wenn ihr Herz sich derselben nicht mehr erfreuen kann, das heißt wenn sie verkauft ist. Der echte Antiquitätenhändler trennt sich aber ungern von seinem meist recht mühsam erworbenen Waarenschatze, er hat seine tiefe Freude an jedem echten schönen Stücke aus grauer Vergangenheit, und schwermüthigen Blickes sieht er nach dem Besitzwechsel drein, selbst wenn dieser ihm auch ein erfreuliches „Geschäftchen“ gewesen. Wie leuchtet aber sein Auge auf, wie strahlt seine Miene, wenn er die Schönheiten eines alten Kunstwerkes seinen Kunden klarmacht, wenn er Verständniß findet für die Freude, die er an seiner Waare hat! Grützner hat mit meisterhafter Charakteristik diese Empfindung in das Gesicht seines Antiquitätenhändlers gelegt, und man könnte Neid empfinden gegen den Käufer, dem es vergönnt ist, die kleine Truhe zu erwerben, welche der alte Mann mit so viel herzlichem Vergnügen au deren Schönheit zum Kaufe anpreist.


Bilder-Räthsel.
Die Anfangsbuchstaben der dreizehn hier abgebildeten Gegenstände sollen zu einem Worte zusammengestellt werden. Dasselbe bedeutet ein Glück, welches wir allen unsern Lesern wünschen.

Durch sieben deutsche Länder. In Nr. 21 unseres Blattes haben wir einer 88 Minuten dauernden Bahnfahrt erwähnt, bei welcher man die Territorien von fünf deutschen Staaten berührt. Wir werden durch Zuschriften aus unserem Leserkreise auf noch interessantere Touren aufmerksam gemacht, auf denen man zu Fuß in wenigen Stunden sogar sieben deutsche Länder besuchen kann.

Wenn man von Rudolstadt, dieser schön gelegenen Haupt- und Residenzstadt des Fürstenthums Schwarzburg-Rudolstadt an der Saale, die Reise in östlicher Richtung beginnt, kommt man in einer halben Stunde nach dem Dorfe Ammelstädt, Herzogthum Altenburg, von hier aus in anderthalb Stunden, durch ein zum Fürstenthume Schwarzburg-Rudolstadt gehöriges Dorf Teichröda, nach Stadt-Remda, Großherzogthum Weimar, von da in zwei Stunden nach Witzleben, Fürstenthum Schwarzburg-Sondershausen, von da in einer halben Stunde nach Osthausen, Herzogthum Sachsen-Meiningen, dann in fünfviertel Stunden durch das große schwarzburg-rudolstädtische Kirchdorf Elxleben nach Kirchheim, Königreich Preußen, und in einer Stunde von da nach dem Städtchen Ichtershausen, Herzogthum Coburg-Gotha: also Summa Summarum in sechsunddreiviertel Stunden durch sieben deutsche Länder.

Letzterer Ort hat, außer seiner berühmten Nadelfabrik, noch insofern eine eigenthümliche Bedeutung, als daselbst schon von 1878 ab jahraus jahrein Angehörige folgender Länder: Großherzogthum Weimar, Herzogthum Meiningen, Herzogthum Coburg-Gotha, der Fürstenthümer Schwarzburg-Rudolstadt und Sondershausen und Reuß älterer und jüngerer Linie gemeinschaftliche Sitzungen halten, in der dortigen – Strafanstalt.

Selbst diese Tour wird noch durch nachstehende kleine Fußreise überboten, die nur fünfundeinhalb Stunden Zeit beansprucht und in welcher man auch nicht weniger als sieben Staaten betritt. Als Ausgangspunkt wähle man Schleiz (Reuß jüngere Linie), gehe von da nach Volkmannsdorf (Weimar), besuche dann Krispendorf (Reuß ältere Linie), hierauf Erkmannsdorf (Meiningen), wende sich nun nach den preußischen Dörfern Liebschütz und Drognitz und endlich nach den tief an der Saale gelegenen, romantischen Orten Saalthal (Altenburg) und Preßwitz (Schwarzburg-Rudolstadt).


Ein Concert mit Hindernissen. Der berühmte polnische Geiger Henri Wieniawski erhielt einst gelegentlich eines Aufenthaltes in St. Petersburg die Aufforderung, vor dem Czaren Alexander II. zu spielen. Er fand sich zur festgesetzten Stunde im Winterpalais ein und wurde in ein prächtiges Gemach geführt, in dem bald darauf auch der Kaiser mit seinem riesigen Neufundländer erschien. Als der Künstler sein Concert begann, erhob sich das Thier, welches sich zu den Füßen seines Herrn niedergelassen, wieder und schritt langsam auf Wieniawski zu. Dieser geigte in der Befürchtung, daß sich der Neufundländer gemäß den Gepflogenheiten seiner Rasse anschicke, das Accompagnement zu dem Spiele mit einem Geheul aus Leibeskräften zu übernehmen, etwas unbehaglich weiter, aber es kam anders. Der Hund richtete sich, dicht vor dem Virtuosen angelangt, plötzlich in die Höhe und legte seine breiten Tatzen auf dessen Schenkel. Daß eine derartige Situation dem künstlerischen Vortrage nicht gerade förderlich ist, läßt sich begreifen, trotzdem fuhr Wieniawski, nach Kräften seinen Gleichmuth bewahrend, in dem Concerte fort. Allein der Neufundländer beruhigte sich noch immer nicht. Weiter und weiter rückte er mit seinen Tatzen hinauf, und seine riesige Schnauze folgte jeder Armbewegung des Geigers. Diesem begann bei dem Gedanken: ein Zuschnappen, und mit der Ausübung Deiner Kunst ist es zeitlebens vorbei, der Schweiß auf die Stirn zu treten. Mehr und mehr bedrängte die Schnauze des Hundes, seinen Arm, sodaß er, um sie nicht zu berühren, immer kürzere Bogenstriche zu machen gezwungen war. Endlich hatte der Kaiser, der bis dahin schmunzelnd dem Vorgange gefolgt war, Mitleid mit dem Künstler und fragte:

„Wieniawski, genirt Dich der Hund?“

„Majestät,“ murmelte der Künstler erschöpft, „ich fürchte, ich genire ihn.“

Alexander lachte laut und rief das Thier zu sich, worauf der Geiger erleichtert sein Concert fortsetzen und beenden konnte. L. M.     


Vom Wartburgfest. Man hört so häufig, daß die Studenten beim Wartburgfeste 1817 etliche Bücher verbrannt hätten, ohne daß Einem Jemand sagen kann, welcher Art und welche es waren. Es sind 28 gewesen. Die namhaftesten darunter sind: Dabelow, „Der 13. Artikel der Bundesacte“; Haller, „Restauration der Staatswissenschaft“; Kotzebue, „Geschichte des deutschen Reiches“; Z. Werner, „Die Weihe der Kraft“ und „Die Söhne des Thals“, sowie der Code Napoleon.J. L–r.     


Kleiner Briefkasten.

M. B. in Emden. 0Leider nicht verwendbar; weitere Einsendungen sollen uns jedoch angenehm sein.

G. W. in A. 0Wenden Sie sich an einen Rechtsanwalt.

Dr. J. K. in Quincy. 0Nein.


Inhalt: Die Herrin von Arholt. Novelle von Levin Schücking (Fortsetzung). S. 537. – Bilder von der Arlbergbahn. Von C. S. S. 542. Mit Illustrationen von R. Püttner S. 540, 541, 542, 543 und 544. – Die südfranzösischen Cholerastätten. Von Max Nordau. S. 544. – Brausejahre. Bilder aus Weimars Blüthezeit. Von A. v. d. Elbe (Fortsetzung). S. 547. – Alfred Meißner’s Lebenswerk. Von Hans Blum. S. 550. – Blätter und Blüthen: Alarm im Dorfe. Mit Illustration S. 549. – Der Antiquitätenhändler. Mit Illustration S. 545. – Durch sieben deutsche Länder. – Ein Concert mit Hindernissen. – Vom Wartburgfest. – Bilder-Räthsel. – Kleiner Briefkasten. S. 552.


Verantwortlicher Herausgeber Adolf Kröner in Stuttgart. Redacteur Dr. Fr. Hofmann, Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger, Druck von A. Wiede, sämmtlich in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 552. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_552.jpg&oldid=- (Version vom 11.3.2024)