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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

und reichere, um welche die große Intrigue des Jahrhunderts ihn gebracht, ‚innerlich‘ trug, und verkehrte viel in ‚Schwemmen‘ und ländlichen Schenken.“

„So daß Sie – ihn wohl wenig gesehen haben?“ ließ Raban forschend fallen.

„Wenig? O nein, er hatte einen Narren an mir gefressen und war immer bereit, mich um die Schule herumzuführen – ich war sein Publicum, ich Aermster!“

„Um seine Tochter, um Fräulein Marie, hat er sich wohl wenig gekümmert?“

„Wahrscheinlich wenig genug. Ich weiß es nicht! Er war schon todt, als das Fräulein hierher kam. Mein Vater hat mir zuerst von ihr geredet, von dieser Cousine, und ist zu ihr gegangen und hat sie hierher in mein Atelier gebracht – wo sie denn ja auch recht heimisch geworden ist,“ setzte Wolfgang wieder mit etwas ironischer Betonung hinzu.

Raban schwieg, über die Mittheilungen nachdenkend, aus denen sich keinerlei Folgerungen ziehen ließen und die nur eine Bestätigung dessen enthielten, was sein Vater ihm geschrieben.

„Sie,“ fuhr nach einer Weile Wolfgang mit seinem spöttischen Tone fort, „Sie, Herr von Mureck, scheinen ein sehr lebhaftes Interesse an dem Fräulein zu nehmen – wie? Leugnen Sie nicht, Sie lassen sich den Kopf meiner Gruppe nicht umsonst aushauen . . .“

Raban sah den Künstler mit einem sehr ernsthaften Blicke an.

„Nun ja,“ lachte Wolfgang, ohne sich dadurch stören zu lassen. „Gestehen Sie ein, daß ich Recht habe. Fräulein Marie hat es Ihnen angethan. Und weshalb wollten Sie es leugnen? Hat es jemals ein passenderes Paar gegeben? Sie ist eine Erbin, und Sie selbst sind doch auch wohl so etwas wie ein Erbe? Oder nicht? Ferner sind Sie Nachbarskinder – einem und demselben mütterlichen oder stiefmütterlichen Boden entsprossen. Und dann – es ist ja geradezu rührend, wie zwei schönen herzerwärmenden Flammen gleich Ihre Passionen, sich mit Bettlern, scrophulösen Kindern und von der Kellertreppe gefallenen Familienmüttern abzugeben, Ihre humanitären und weltverbessernden Gedanken zusammenschlagen. Also – was hält Sie noch zurück? Weshalb sprechen Sie nicht, weshalb verloben Sie sich nicht mit Marie Tholenstein?“

„Weshalb fragen Sie darnach?“ gab Raban heftig bewegt und empört zur Antwort.

„Als Mariens Vetter, denk’ ich, darf ich doch so fragen? Und dann . . .“

„Dann? Fahren Sie fort.“

„Dann,“ sagte Wolfgang Melber, einen Thonkloß in den Händen ballend, „dann wär’s mir eben recht – sehr recht! – Sind Sie so sicher, daß, wenn Sie noch lange zögern, nicht Gefahr im Verzuge ist?“

„Sie reden wirklich, als wenn . . .! Aber vorausgesetzt, Sie hätten Recht, woher sollte die Gefahr kommen?“

„Von einer andern Neigung, die sich in dem Fräulein Marie so festsetzte und sie so zu beherrschen begönne, daß sie endlich nicht mehr darüber hinaus könnte und – Ihnen einen Korb gäbe!“

„Von einer Neigung zu Wem? Zu Ihnen?“

„Zu mir? Nun – vielleicht! Halten Sie das für unmöglich? Sie sind sehr skeptisch, Herr von Mureck!“

„Nicht so skeptisch, um eine Unmöglichkeit da zu suchen!“

„Wo würden Sie denn eine suchen?“

„Darin, daß Sie nicht sehr eifrig zugreifen würden, wenn sich Ihnen die Hoffnung böte, daß die Erbin von Arholt . . .“

„Frau Melber werden wollte? Ich würde sehr dafür danken!“

„Sie?“

„Ja, ich. Ich hätte durchaus keine Lust, mir aus dummer Eitelkeit solch eine weiße Rose in’s Knopfloch zu stecken! Solch eine sensitive Pflanze. Wahrhaftig, ich hätte keine Lust, mein Leben im Schatten einer Trauerweide zuzubringen. Denn würde sie nicht sehr bald so etwas werden? Sie leidet und klagt schon jetzt genug – das Leben, das ich führe, findet durchaus ihre Billigung nicht – sie hat eine ganz besondere Gabe, mich durch wehmüthig anklagende Blicke zu langweilen! Kurz, das ewig Weibliche gefällt mir besser, wenn es in weniger hoheitsvoller Weise in die Erscheinung tritt. Begreifen Sie das nicht?“

„O ja – ich begreife Sie – recht gut, Herr Melber!“

„Also! Und dann gestehe ich Ihnen gern, nach meiner Ansicht ist es verächtlich, hinter einem reichen Weibe drein zu laufen, das uns dann hofmeistert, weil Alles von ihm kommt, weil wir sein Geschöpf sind. Ein ordentlicher Mann schlägt sich aus eigener Kraft durch. Mein Talent ist dazu groß genug. Und dann, wissen Sie, bildhauert sie ja selber. Sie hat eine ganz respectable Anlage für die Kunst – wirklich höchst achtbar. Mit einigem größeren Fleiße wird sie über das Dilettantenthum sehr bald hinausgewachsen sein – entschieden hinaus! Das kann mir aber nicht passen, auch das nicht. Ich will nicht, daß mir die Leute einmal – die Leute sind boshaft – nachsagen: der Melber läßt sich das Beste von seiner Frau modelliren! Ich danke für eine solche Kunstgenossin als Frau!“

Wolfgang Melber trat von seiner Arbeit zurück und warf einen halb triumphirenden, halb forschenden Blick auf Raban. Wollte er in dessen Miene die Bewunderung seiner idealen Denkungsart lesen?

Raban that ihm nicht den Gefallen, diese zu zeigen. Was er gehört hatte, bewegte ihn hinreichend in anderer Weise. Wolfgang Melber’s Herzensergießung war ihm eine niederschmetternde Enthüllung gewesen.

Er wußte jetzt ja Alles sich zu deuten: Mariens Wesen, ihr Betragen diesem Menschen gegenüber, und ihr grausames Wort: ich darf Sie nicht anhören. Sie durfte nicht, weil sie eine andere Neigung hatte, der sie treu zu bleiben sich gelobt. Marie Tholenstein liebte diesen Vetter Wolfgang Melber.

Es war eine traurige Entdeckung, die nun Raban’s Hoffnungsstern endgültig, für immer und ewig auslöschte. Er hatte Mühe, sich so weit zu fassen, um seine ganze Bewegung vor Wolfgang zu verbergen und das Gespräch mit anscheinender Unbefangenheit so weit fortzusetzen, daß er, ohne zu sehr aufzufallen, abbrechen, aufstehen und sich entfernen konnte.

Gewiß gab es in der großen volkreichen Stadt keinen Menschen an diesem Vormittage, der sich unglücklicher fühlte als Raban Mureck – hoffnungsloser und hülfloser. Er hatte das Gefühl, etwas thun, etwas zur Entwirrung einer Katastrophe, die durch ihn herbeigeführt war, leisten zu müssen, und war doch ohnmächtig etwas zu thun. Wenn er nur noch hätte ein paar Worte mit Marien wechseln können, nur die beruhigende Versicherung hätte von ihr zu erhalten vermocht, daß sie nicht vorschnelle Eröffnungen ihrem Vetter machen wolle! Aber es wurde ihm ja unmöglich gemacht, sie zu sehen und zu sprechen. Als er heimgehend an ihrer Wohnung vorüberschritt, wagte er trotzdem den Versuch; er stieg hinauf und läutete. Der erscheinende Diener meldete ihm, daß das gnädige Fräulein noch krank sei und Niemand empfange.

Es war am Ende etwas Gutes an der Krankheit: daß sie beide von vorschnellem Aussprechen zurück gehalten wurden, ehe Alles klar war.

Aber wenn sie diesen Menschen liebte, dann gerade mußte es sie drängen, ihm die Eröffnungen zu machen, zu denen sie entschlossen war. Und wie sollte Alles klar werden? Der Einzige, durch den Klarheit zu erhalten gewesen wäre, war ja, wie schon gesagt, Wolfgang’s Vater, der alte Graveur. Er war der einzige Mensch auf Erden, der die Wahrheit wußte. Aber welche Mittel gab es, diesen Mann zu zwingen, die Wahrheit zu sagen?

Er war bisher nie hervorgetreten, er hatte bisher geschwiegen. Weshalb? Wenn Marie Tholenstein seine Tochter war, so mochte er schweigen, weil er den Dingen ihren Lauf lassen, weil er sein eigenes Kind nicht aus einer glücklichen und glänzenden Stellung reißen wollte. Oder er mochte auch schweigen, weil er die üblen Folgen einer gerichtlichen Feststellung des einst mit seinem Bruder geschmiedeten Complots fürchtete. Ein etwaiger Wechsel, ein Uebergang der bisherigen Erbrechte Mariens auf Wolfgang müßte ja bei den Gerichten gerechtfertigt werden, hätte ernste und gründliche Untersuchungen zur Vorbedingung gehabt. Er war jedenfalls jetzt ein alter Mann. Schweigen, durch Enthüllungen unbekannter und still ruhender Dinge sich nicht Unruhe und Last aller Art schaffen, mußte jedenfalls das sein, was ihm zunächst lag!

Wenn aber Raban zu ihm gegangen wäre, wenn er ihm klargelegt, was er wußte, und dann ihn auf sein Gewissen gefragt hätte, ob Wolfgang seines Bruders, des Schauspielers, oder ob

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 554. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_554.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2022)