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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

lebe sie selbst zwischen diesen Spukgestalten, diesen Feen, Spinnerinnen und Gefangenen, die sämmtlich dem Winke des Magus Goethe gehorchten.

Nach einer langen und schweren Krankheit im Frühjahre hatte Christel ihr Traumleben in aller Stille fortgeführt. Da ihr Ungeschick, sich in der großen Welt zu bewegen, noch dasselbe war, mußte sie sich in diesem Jahre noch von aller Geselligkeit fern halten und durfte nur heute ausnahmsweise der Einladung zur Geburtstagsfeier der Herzogin folgen. Welch eine Fülle von Bildern und Eindrücken empfing sie wieder im tiefsten Heiligthum ihrer Seele! Wie köstlich schien es ihr, unbeachtet den Herrlichen in seiner Sicherheit und Schönheit als Meister des Spiels wirken und walten zu sehen!

Zwischen den Coulissen stehend, erwartete Wedel seine Partnerin Marianne-Henriette von Wöllwarth – die jetzt zu ihm trat. Wie hübsch und stattlich sie in der rosenfarbenen Tracht der Feenkönigin aussah! Er bot ihr zärtlich dem Arm, um sie die Stufen des Podiums hinunter im den Saal zu führen.

„Nun ist das hübsche Spiel und ,Liebendürfen‘ wieder vorbei, theure Marianne!“ sagte er mit theatralisch wehmüthigem Pathos. „Ich fürchte, es wird mir nicht gelingen, diese Maske abzulegen, diese vortreffliche Angewohnheit wieder los zu werden. Wie wäre es, wenn auch Sie’s versuchten, den Schein zur Wirklichkeit zu erheben?“

Unter solchen halb scherzhaft gesprochenen, halb ernsthaft gemeinten Worten führte er Henriette unter die herzu drängende, beglückwünschende Menge.

Die Tische zum Souper waren im Saale aufgestellt; Luisens Hofmarschall Graf Görtz hatte es gar eilig, die für den Tisch der Herzogin bestimmten Personen zu benachrichtigen; die übrige Gesellschaft setzte sich nach Willkür und Neigung zu einander.

Der Plagegeist.
Nach dem Oelgemälde von Hugo Kauffmann.

Hildebrand von Einsiedel, der nur im Chor beschäftigt gewesen, führte Lila-Corona zu Tisch. Goethe, der sich von Frau von Stein getrennt sah, welche an die Tafel der Herzogin befohlen war, nahm mit Adelaide von Waldner und einigen Paaren von der Schauspielergesellschaft an lustiger Tafelrunde Platz. Im Stillen hatte er gehofft, heute auch mit an den Tisch der Herzogin Luise gewünscht zu werden, da er es doch war, welcher ihr Fest verherrlichte. Er erwartete verständnißvolle Rührung in ihrem ernsten Auge zu lesen und war verstimmt, daß es ihm nicht geglückt war, der hochverehrten Frau noch vor dem Souper zu nahen. Mit Ungeduld flogen seine feurigen Blicke zu der fürstlichen Tafel und suchten nur einem Augenaufschlage von ihr zu begegnen.

Sie saß ruhig und edel da in ihrem Kreise, anscheinend unberührt von Allem, was geschehen und was noch um sie geschah.

Endlich erhob sich das herzogliche Paar, die ganze Gesellschaft folgte, und nun schloß noch eine letzte ungezwungene Unterhaltung die Freuden des Abends.

Es währte nicht lange, so nahte Goethe der Herzogin. Er stand jetzt dicht an ihrer Seite; sie schien ihn aber nicht zu bemerken und sprach angelegentlich mit der Gräfin von Werthern von Neuheiligen.

Da sah der Herzog des Freundes Verlangen und kam ihm in seiner resoluten Weise zu Hülfe.

Er bot der Gräfin den Arm, rief: „Du mußt die schöne Frau auch mir einmal gönnen, Luise!“ und führte die Dame in eifrigem Gespräche davon. Die Herzogin wandte sich halb und wollte an Goethe vorüber auf die Geheimräthin von Bechtoldsheim zugehen; er aber vertrat ihr den Weg und sagte, während hohe Röthe über seine schönen Züge flammte:

„Bin ich denn wirklich bei Eurer Durchlaucht in Ungnade gefallen?“

Luise maß ihn mit einem großen Blick: „Wünschen Sie etwas, Herr Legationsrath?“ fragte sie eisig.

„Ja!“ erwiderte er jetzt fest, „ich wünsche zu wissen, womit ich Eure Durchlaucht beleidigte?“

Um ihre Mundwinkel zuckte es wie Weinen, und sie flüsterte: „Halten Sie mich für so schwerfällig im Begreifen, daß ich den Sinn Ihres Festspiels nicht erfaßt haben sollte? Oder glauben Sie, daß es einer Fürstin, einer Frau gleichgültig sein kann, wenn sie vor der ganzen Gesellschaft als eine geisteskranke Thörin hingestellt wird?“

„Durchlaucht! Herzogin! Um Gottes willen, diese Auffassung?“ rief er in tiefstem Erschrecken.

„Still!“ raunte sie ihm zu. „Verschlimmern Sie nicht Alles durch noch einen Eclat!“

Graf Görtz trat in diesem Augenblicke heran, er sagte höhnisch, aber in submissester Haltung: „Ein reizender Anblick, wie der Dichter aus höchster Hand seinen Lorbeer empfängt!“

Die Herzogin entgegnete gefaßt: „Die Verse des Herrn Legationsrath Goethe waren in der That charmant; führen Sie mich an meinen Wagen, Graf!“

(Fortsetzung folgt.)


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 560. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_560.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2022)