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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Goethe sah, während er Corona zum Walzer holte, wie günstig sich seiner Fürsprecherin die Gelegenheit darbot. Er warf der angebeteten Frau einen flammenden Blick hinüber und mußte sich zusammennehmen, um nicht zerstreut zu erscheinen.

Aber auch Charlotte von Stein, so bereitwillig sie jene Aufgabe übernommen, so lebhaft sie gewünscht halte, das Ungeschick der Männer auszugleichen, fühlte sich plötzlich zerstreut, als sie Goethe in seiner türkischen Tracht, prächtig wie ein Pascha, mit der schönen Sängerin zum Tanze gehen sah. Eine Bitterkeit stieg im ihr auf, die ihr empfinden dem Luisens ähnlich machte. Sie bekämpfte jedoch dies Unwillkürliche, das sie völlig zu lähmen drohte, und begann, sich aufraffend, eine oberflächliche Unterhaltung mit der Herzogin. Als die Umsitzenden bemerkten, daß für sie augenblicklich das Ohr der hohen Frau nicht zugänglich sei – man hielt ohnehin Frau von Stein für die nächste Freundin – stand Einer nach dem Andern auf und trat, um dem Tanze zuzusehen, in die offene Flügelthür des Saals.

Diese Wendung der Dinge hatte die Parlamentärin erwartet und kam zur Sache:

„Durchlaucht haben einen Unglücklichen gemacht,“ flüsterte sie, sich der Herzogin zuneigend. „Der Legationsrath Goethe hat mir gestanden, daß er unter Qualen der Reue und des Bedauerns die Nacht schlaflos hingebracht habe und nichts inständiger begehre und von HöchstIhrer Gnade erflehe, als seinen Mißgriff ausgleichen, irgend etwas thun zu dürfen, um Eurer Durchlaucht Vergebung zu erlangen!“

„Geschehenes läßt sich nicht ändern. Ich wüßte nicht, wie hier etwas gut zu machen wäre,“ entgegnete die Herzogin, sich straffer ausrichtend und bleicher werdend.

„Läßt sich auch nichts ungeschehen machen, so ist Begnadigen doch das schönste Vorrecht der Fürsten. Darf ich dem reuigen Dichter, welchen sein Genius auf Irrwege lockte, den Trost der Vergebung im Auftrage meiner Gebieterin spenden?“

„Ich denke, der Herr Legationsrath wird sich gern mit der Gnade meines Gemahls begnügen.“

„Warum soll dies zweierlei sein? Warum trennen Eure Durchlaucht Ihre Getreuen in zwei Heerhausen? Goethe ist HöchstIhnen ebenso ergeben wie Seiner Durchlaucht dem Herzoge. Er beklagt schmerzlich das Vorurtheil, als wirke er ungünstig auf seinen hohen Herrn; er möchte versöhnen, in’s Gleiche rücken, die ihm verehrungswürdigsten Menschen innig verbinden –“

„Stößt aber auf Schwierigkeiten, die“ – Luise schwieg und wandte sich mit schmerzlich zuckender Lippe ab.

„Durchaus nicht, Herzogin! Keineswegs; auch Seine Durchlaucht der Herzog beklagt vorgefallene Störungen, verletzende Berührungen und wünscht nichts lebhafter –“

„Ah, Parlamentärin!“

„Ja, Eure Durchlaucht; nennen wir es so; ich spreche in doppeltem Auftrage, und aus der Fülle meines betrübten Herzens dazu. Seien Sie versöhnlich, seien Sie gnädig und gütig für zwei Herzen, die in Liebe und Verehrung für Sie glühen –“

„Liebe? – Liebe bieten Sie in seinem Auftrage? Weil er die kokette Werthern entbehrt, keinen interessanten Ersatz findet, deshalb, als Lückenbüßer, als Almosen – sein Weib! – Großer Gott, was sage ich? Aber mag’s sein. Meine Liebe kann ebenso wenig aus ihrem Grabe erstehen, wohinein er sie gebettet hat, als seine tiefbetrauerte ‚Liebste‘. Ich bin deshalb nicht wahnsinnig wie Lila, aber ich bin eine Frau, die ein feinempfindendes Herz hat und auf ihre weibliche Würde hält. Ich bin und bleibe sein Weib, sein gehorsames Weib; ich werde ihm nie, was er von mir, von meiner Stellung zu fordern hat, versagen; melden Sie ihm das auch, aber mein Herz, das nicht begehrte, das bleibt ihm für alle Zeit verloren!“

Sie stand rasch auf, trat vor nach dem Salon, gewann in kürzester Frist Beherrschung ihrer bebenden Glieder, ihrer schmerzlich verzogenen Mienen und folgte wenige Minuten später, als der Walzer zu Ende war, dem Erbprinzen von Braunschweig zum Souper.

Kleinere Feste stillten die folgenden Tage. Unterdessen war der Gründonnerstag herangekommen.

„Willst Du übermorgen mit zur Auerhahnjagd nach der Wartburg, Wolfgang?“ fragte der Herzog Karl August Goethe, indem er in dessen Garten trat, wo der Dichter eifrig mit Spaten und Hacke ackerte. Der fleißige Naturfreund stellte seinen Spaten zur Seite, klopfte sich die Erde von den Fingern und blickte aus leuchtenden Augen den Freund herzlich an.

„Sie wissen, mein lieber gnädiger Herr,“ erwiderte er, „das Gründen und Auferbauen ist mehr meine Sache, als das Zerstören. Wenn da im dämmerigen Morgengrauen, im reinen Gottesfrieden der Natur, solch ein prächtiger, großer Vogel seine Liebestöne ausstieße, das ganze Geschöpf eitel Lust und Freudigkeit, würde ich meine Büchse herunter thun und sagen: lebe und genieße! so unwaidmännisch das auch wäre.“



Stelldichein.
Nach einem Oelgemälde von Robert Aßmus.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 580. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_580.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)