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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

„Schändlich unwaidmännisch!“ lachte der Herzog, „unpraktisch poetisch, kurz, schade um den edlen Sport, Dich dazu zu laden. Ich habe aber noch ein anderes Reizmittel in petto. Ich gehe nämlich zu dieser Jagd, um eine andere abzusagen. Als persönlicher Ueberbringer einer Jagdeinladung meines geehrten sogenannten Vetters, des Landgrafen Adolf von Hessen-Philippsthal-Barchfeld, war eben da – rathe wer?“

„Nun?“

„Na, ich will Dich nicht quälen! Denke Dir, Christoph Kaufmann, der Wunderthäter, jetzt sogenannter Doctor Kaufmann. ‚Wie, in aller Welt, kommen Sie denn dazu, landgräflicher Briefträger zu werden?‘ fragte ich, höchlich ergötzt den seltsamen Kauz wieder zu sehen. Er schnitt sein allerwürdigstes Gesicht, verdrehte die Augen wie ein fromm gewordener Auerhahn und flüsterte geheimnißvoll: ‚Er sendet mich!‘ - ‚Wer?‘ fragte ich, da ich mich seiner Schnurren im Augenblick nicht erinnerte. ‚Er!‘ wiederholte er mit Emphase. ‚Der Meister!‘ - ‚Den Kukuk auch, Graf Saint Germain?‘ rief ich. ‚Was hat denn der mit den landgräflichen Jagden zu thun?‘ ‚Mit der Jagd gar nichts,‘ erwiderte er gravitätisch, ‚aber die Stunde ist gekommen, in der Du den Strahlenkranz des Sturmsternes betreten mußt.‘ ‚Ah so,‘ sagte ich, ‚das ist ja famos! Ihr wollt Euch meines miserabelen Lichtkernchens erbarmen und das arme Ding in Schwung bringen? Wie war doch die Theorie Ihres interessanten Seelenfeuerwerks?‘ Er aber ließ sich nicht irre machen, sondern predigte mir wieder die ganze Geschichte vor. Ich entgegnete auf seine Einladung, welche mir allerdings zwei sehr heterogene Späße in Aussicht stellte, daß Graf Saint Germain mich aufsuchen könne wo er wolle, daß ich aber vorläufig noch nicht nach seiner Pfeife tanze. Ferner möge er Seiner Liebden, meinem Herrn Vetter, meinen schönen Dank zurücksagen und melden, ich hätte selber etliche Auerhähne in den Eisenacher Forsten zu verhören und könne diesmal nicht seiner Einladung folgen. Nun bin ich da, Dir Deinen Theil an dem Wartburgsritt auzubieten.“

(Fortsetzung folgt.)


Amalie Haizinger.

Sie war die Letzte von jener „alten Garde“, welche den Ruhm des Wiener Burgtheaters begründen und festigen half. Und nun ist auch sie dahingegangen, wenige Tage nach Laube, und die glänzende Vereinigung, die wir ehedem bewunderten, lebt jetzt nur noch im Reiche der Erinnerung. Amalie Haizinger wandelte unter uns als lebendiges Zeugniß dafür, daß die Kunde von dem Zusammenwirken jener seltenen schauspielerischen Begabungen keine bloße Mythe, sondern volle, preisenswerthe Wirklichkeit gewesen, eine Wirklichkeit, die Niemand berührt hat, ohne ihm unvergeßlich zu werden für alle Tage des Daseins. Laube und die Haizinger waren noch die einzig vorhandenen persönlichen Documente für die herrlichste Zeit des Burgtheaters; nach dem Beide von uns geschieden sind, gehört jene ruhmreiche Epoche ganz und gar der Tradition an, und vielleicht in einigen Fällen mag die von der „alten Garde“ auf eine jüngere Künstlergeneration geübte Nachwirkung davon Zeugniß liefern, daß Heinrich Anschütz, Ludwig Löwe, Karl Fichtner, Friedrich Beckmann, Karl La Roche und Julie Rettich im Burgtheater ein leuchtendes Beispiel gegeben, wie die Schauspielkunst geübt werden müsse, um sich den anderen Künsten ebenbürtig an die Seite stellen zu dürfen.

Amalie Haizinger.
† am 11. August 1884.

Wir Wiener, die nicht dem Greisenthum nahe stehen, haben Amalie Haizinger nicht anders gekannt, denn als „komische Alte“, und nicht nur, daß wir sie nicht anders gekannt, wir konnten sie uns kaum anders vorstellen. Für meinen Theil – um ein Beispiel zu nennen – habe ich die Haizinger nie anders gesehen, als wie sie in dem nebenstehenden Portrait wiedergegeben ist: in der Matronenhaube, deren reiche Spitzengarnirung das faltenreiche, aber stets gutmüthig in die Welt blickende Antlitz so angemessen umrahmte. Wie, die behäbig drollige, gutmüthig geschwätzige Frau, die als Amme in „Romeo und Julia“ so erheiternd ängstlich zu rufen verstand: „Wo steckt das Kind nur? Julchen, hörst Du nicht?“ – sie soll selbst einmal die schöne, sinnberückende Julia gewesen sein, welche liebeglühend ihrem Romeo sagte: „Es war die Nachtigall und nicht die Lerche“?

Schier unglaublich will solche Nachricht uns klingen, und doch, wir dürfen sie nicht bezweifeln, sie ist beglaubigt, verbrieft und besiegelt. Ja, die Zeitgenossen von Amalie Haizinger’s Jugend können sich nicht fassen vor Entzücken über den Liebreiz der Künstlerin, wofür wir vollgültige Zeugnisse von Goethe und Heine besitzen.

Sie entging dem Schicksale, den Wienern als gealtert zu gelten, weil sie gleich zu Beginn ihres Wiener Engagements dem jugendlichen Fache entwachsen erschien. Einstens freilich ist sie in Wien als Liebhaberin aufgetreten, aber vor einem Geschlechte, das, seiner Mehrzahl nach, nicht mehr existirt. Vor neunundfünfzig Jahren spielte sie am Burgtheater gastweise die Preciosa in Wolff’s gleichnamigem romantischen Schauspiele. Im Mai 1838 erschien sie wieder als Gast. Sie gab damals Rollen, wie die Schiller’sche Maria Stuart.

Neben ihr zeigten sich ihre Töchter Louise und Adolphine. Letztere, geboren 1819, starb 1844 in der Blüthe ihrer Jahre und ihres Könnens. Louise, geboren 1817, wurde noch vor der Mutter in Wien engagirt und zwar im Frühling 1839; sie gehörte dem Burgtheater bis 1856 an, zu welcher Zeit sie sich mit dem Grafen Karl Schönfeld vermählte. In den Jahren 1839, 1842 und 1845 erschien die Mutter abermals als Gast; dann endlich trat sie als Mitglied in den Verband des Burgtheaters ein, dem sie vom Januar 1846 bis an ihr Lebensende angehörte. Bei Gelegenheit ihres dritten Gastspieles zeigte sie sich bereits in dem Fache, in welchem sie dann ein Liebling jenes Publicums geworden, das ihr das letzte Geleite gegeben. Sie theilte mit Laube das Schicksal, daß eine bedeutsame Hälfte ihrer Wirksamkeit vorüber war, als sie sich in Wien dauernd niederließ: bei Laube der Politiker, bei der Haizinger die reizvolle Liebhaberin. Laube haben wir als Dramaturgen kennen gelernt, die Haizinger als Matrone. Aber wir haben uns gern erzählen lassen, wie Laube sich in der Paulskirche in Frankfurt geberdet und wie die Haizinger als Schönheit gefeiert wurde.

Noch mochte die Haizinger eine stattliche Frau gewesen sein, als sie sich in Wien niederließ, aber ihre angeborene Lebensklugheit veranlaßte sie, sich von Anfang an hier als „Mama Haizinger“ zu gehaben. Ihre Collegen nannten sie „Mama“, und sie liebte es, das ganze Personal des Burgtheaters zu bemuttern. In einem ähnlichen Verhältnisse stand sie zu dem Publicum. Sie hatte seit neun Jahren nicht mehr gespielt, und doch betrachtete man sie als vom Burgtheater unzertrennlich. Sie und La Roche wurden weder pensionirt noch zu Ehrenmitgliedern ernannt; eines wie das andere hätte sie bitter gekränkt. Sie blieben eben engagirte Mitglieder, die sich mit Plänen von baldigem Wiederauftreten trugen, bis der Tod sie abberief. Dem alten La Roche schickte die Direction, um ihm eine harmlose Freude zu bereiten, bis in seine letzten Tage Rollen zum Memoriren; er hat sie natürlich nie gelernt, versicherte aber stets, er werde „nächste Woche“ wieder spielen. Die Haizinger trug sich mit der Hoffnung, seinerzeit im neuen Burgtheater bei der festlichen Eröffnung wenigstens stumm zu statiren, wie sie in den Jahren 1876 und 1877 in der melodramatischen Darstellung von Schiller’s “Glocke“ jauchzend bejubelt als Großmutter erschienen war, ohne etwas sprechen zu müssen. Ihre letzte eigentliche Rolle spielte sie am 2. December 1875 als Katharina Ausdorf

in Benedix’ Einacter „Eigensinn“. – Zu den größten Genüssen gehörte es, sie als Partnerin von La Roche zu sehen. Die Beiden hatten auf dem Kothurn begonnen; aber die mit den Jahren wachsende Selbsterkenntniß führte sie auf das Gebiet des Bürgerlichen, auf das Familienstück, auf das Drama des häuslichen Herdes, und innerhalb dieses Gebietes konnten sie mit souveräner Willkür erheitern oder rühren. Ihre Gestalten waren so ziemlich von gleicher Größe; sie sprachen Beide einfach und natürlich, und bei der Haizinger erzeugte das „Schwäbeln“ einen Beigeschmack von naiver Weichheit. In Benedix’ „Störenfried“ hatten die Beiden eines ihrer köstlichsten Duette. Die Haizinger gab die störende Schwiegermutter, La Roche den bei dem Schwiegersohne eingelebten alten Leberecht, der ihr mit seinen ungeschminkten Manieren und mit seiner Tabakspfeife so unangenehm ist. Und wenn sie mit einander spielten, äußerten sich ihre intimen Beziehungen zu dem Auditorium. Jede Wendung, die sich mit Freundlichkeit auf sie deuten ließ, wurde mit Jubel oder mit der Heiterkeit des Einverständnisses aufgenommen. Die Beiden hinwieder setzten sich durch ein Augenzwinkern, durch eine leise Bewegung mit den Zuhörern in Verbindung wie mit der eigenen Familie. Die Haizinger konnte sich vom Burgtheater noch schwerer trennen, als La Roche. So lange es ihr möglich war, kletterte sie die drei steilen Treppen zur Theaterloge allabendlich empor, blieb voll Antheil bis zum Schlusse jeder Vorstellung, und gar manches Mitglied fühlte sich angeeifert, weil es vor der „Burgtheater-Mama“ zu spielen die Ehre hatte. Als es mit dem Steigen ein Ende hatte, wohnte sie hinter den Coulissen den Aufführungen bei, und als sie überhaupt nicht mehr ausgehen konnte, machten die

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