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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

des Augenblicks und bei der plötzlich herrschenden Stille ganz wohl verständlich Luisens Ohr traf. Sie trat eben von den Thürstufen in den Garten, ihrer Schwiegermutter die Hand reichend.

Dies eine harte Wort hieß: „Medusa!“

Erschreckt von seiner eigenen Stimme, wandte Karl August sich um; seine fragenden Augen begegneten denen seiner Gemahlin, in welchen eine Welt von Schreck, von Angst und Jammer lag. Es ward ihm sofort klar: sie hatte ihn verstanden! Aber er war bei aller Wärme und Güte ein viel zu arger Trotzkopf, um ihr zu weichen, um sein Unrecht einzusehen, wohl gar zu bereuen. Er grüßte sie kalt und sagte:

„Eure Liebden haben uns ein bischen gar zu lange schmachten lassen! Die armen Kinder würden vor Ungeduld in Krämpfe gefallen sein, wenn sie auf das Erscheinen meiner hohen Gattin hätten warten sollen. Es war gut, daß die Herzogin ein mitleidiges Einsehen hatte und ihr Fest inzwischen begann.“

Luise preßte die Lippen zusammen, öffnete sie, brachte aber kein Wort hervor; Graf Görtz dagegen rief:

„Verzeihung, Durchlaucht! Ein kleines Malheur mit dem Wagen, der fortgeschickt werden mußte.“

„So konnte man den kurzen Weg zu Fuß gehen!“ murrte der Herzog.

Luisens Damen traten auch in den Garten, und eine allgemeine Gesellschaftsunterhaltung begann, die fast den Charakter einer Hofcour annahm; man stand ehrfurchtsvoll im Kreise und die Herzogin beglückte Einen nach dem Andern mit ihrer Anrede.

Auf Anna Amaliens naturwüchsige Fröhlichkeit schien ein Rauhfrost gefallen zu sein; die herbe Berührung zwischen dem fürstlichen Paare war auch ihr nicht verborgen geblieben. Sie saß jetzt neben Wieland, den sie sich herangewinkt hatte, im Gartensaal und erwog mit dem Getreuen, dem Ex-Mentor des „Tollkopfes“, wie man aus Karl August einwirken, wie man das Ehepaar einander näher führen, wie man aussöhnen, verbinden könne.

Während Luise noch einen großen Kreis loyaler Seelen um sich versammelt hielt und mit innerlichem Weh den äußeren Formen genügte, bewegte sich ein anderer Theil der Gesellschaft wieder zwanglos im Garten.

Lange schon schritt Corona am Arme des ihr treu ergebenen Hildebrand von Einsiedel in einem halbversteckten Gange auf und ab.

„Wir sind nun so weit, herrliche, geliebte Krone der Schöpfung!“ sagte er bewegt, indem er seine schwarzen Augen mit durstiger Liebesgluth auf ihre regelmäßigen Züge heftete, „daß ich endlich offen, offen fragen darf: ist alles Dies, was mich hoffen und aufjubeln läßt, Schein und Selbstbetrug? Oder, Corona, soll ich es glauben, daß ich der glückliche Mensch bin, dem Sie Ihr Herz geben?“

„Wie oft habe ich Sie schon gebeten, Hildebrand, nicht in mich zu dringen!“ entgegnete sie stockend und versuchte ihren Arm aus dem seinigen zu ziehen.

„Ich kann Sie, die Edle, Reine, nicht für eine Kokette halten. Aber wo finde ich eine Erklärung für Ihr wechselndes Betragen? Bin ich ein eitler Narr, wenn ich zu sehen glaube, daß Sie gern, daß Sie am liebsten mit mir verkehren? Daß Ihre schönen Augen mir freudig entgegen leuchten? Wenn ich fühle, welch ein seltener Gleichklang zwischen unseren Ansichten, unseren Neigungen besteht? Wenn unsere fesselnden Erörterungen kaum ein Ende finden können? Sag’, Corona, ist dies Alles eitle, tolle Einbildung von mir? Sag’ es offen, demüthige mich, wenn es sein muß, aber laß uns Klarheit finden.“

„Ich kann es nicht, Einsiedel, ich kann nicht: nein sagen – Sie quälen mich entsetzlich!“

Der Weg endete in einer Laube, die, mit Tannen umstanden, ein verstecktes Plätzchen bot, hier trat das Paar ein und ließ sich auf der Bank nieder.

Goethe hatte den ganzen Nachmittag vergebens ein gutes Wort von der geliebten Frau zu erhaschen getrachtet, aber Frau von Stein hielt sich im Kreise der Kinder oder spazierte mit andern Damen umher. Jetzt, nachdem Luise sie einer huldvollen Anrede gewürdigt und dann sich weiter gewandt hatte, versuchte er es, hinter ihr stehend, sie für sich zu gewinnen. Er flüsterte ihr viele gute Worte zu, erlangte, daß sie, sich umwendend, antwortete, und lockte sie, in ein Gespräch verwickelt, mit sich den Hauptweg entlang, dem Bassin und Gartenhause zu.

Auf sein drängendes Fragen nach ihrer Stimmung für ihn, entgegnete sie bekümmert:

„Nun ja, ich gestehe, daß ich ein Schwanken Ihrer Wärme, ein Ab- und Zunehmen schmerzlich empfinde; aber ich weiß es schon und bin resignirt: für mich giebt es kein dauerhaftes Glück!“

„O Zweiflerin!“ rief er innig. „Es ist gut, wenn ich nicht immer gleich stark fühle, wie lieb ich Dich habe! Meine übrigen Leidenschaften, Zeitvertreibe und Miseleien hängen ja mir an dem Faden der Liebe zu Dir; wendest Du den Rücken, fällt alles in den Brunnen.“

„Und dennoch glaube ich, daß seit einiger Zeit Vieles verändert ist,“ erwiderte sie mit einem Seufzer. „Ich will nur einen Namen nennen, der mir – ich gesteh’s offen – schon lange auf der Seele brennt: Corona!“

„O, die ist Dir nicht ähnlich genug, beste Frau; ja wenn sie ein halb Jahr um Dich sein könnte; hat aber auch ihre and’re amour.“

„Corona?“ fragte sie erstaunt.

Er nickte und lachte; zufällig hatte sein scharfes Auge das Paar aus dem Seitenwege in die Laube treten sehen. Er lenkte mit Frau von Stein vom Mittelwege ab, drückte mit schelmischem Blick den Finger auf die Lippen und führte sie still an die Tannen.

„Sieh, Ungläubige!“ raunte er ihr zu und bog einige Zweige zur Seite.

Fürwahr ein überraschendes, ein schönes Bild: Corona saß auf der Bank, Einsiedel lag zu ihren Füßen und bedeckte ihre Hand mit heißen Küssen; sie legte den andern Arm um seinen Hals und neigte sich zu ihm nieder.

„Corona!“ flehte er, „sei offen gegen mich, sage mir alles!“ „Laß mir Zeit, Ueberlegung, Geliebter!“ flüsterte sie dagegen. „Ja ich will, ich muß mich gegen Dich aussprechen, aber nicht jetzt, nicht bald. O, gönne mir nur Sammlung und zweifle nicht an mir!“

Goethe ließ die Zweige leise zusammen fallen und wandte den großen, fragenden Blick auf seine Begleiterin.

„Das ist überzeugend,“ flüsterte diese mit glücklichem Lächeln. Schweigend gingen sie von dannen. „Ich,“ fuhr sie fort, „hätte Dir ja auch ihre Liebe gegönnt. O, gewiß gönne ich Dir alles Gute; alles was ich Dir nicht sein und bieten kann!“

Sie verfolgten den Weg zur Gesellschaft zurück; Charlottens Gedanken richteten sich wieder auf das eben gesehene Paar.

„Kann das eine Heirath geben?“ fragte sie wie im Selbstgespräch. „Er hat nur seine Hofcarriere, sie ist arm und bürgerliche Künstlerin!“

„Sie praktische Rechnerin!“ lachte er. Und da man sich trennen mußte, flüsterte er ihr noch zu:

„Darf ich heut Abend kommen, den Kindern ein Märchen lesen, mit Ihnen essen und an Ihren Augen von mancherlei ausruhen? In einigen Tagen reise ich nach Ilmenau.“

Ein leises Bejahen und ein freundlicher Blick aus ihren schönen, sanften Augen erfüllte seine ganze Seele mit Glücksgefühl.

An dem bestimmten Tage zog man zur Jagd nach der Wartburg.

„Nun, wie steht’s, sind genug Hähne für uns verhört?“ fragte Karl August, mit seinen Begleitern und ein paar Stallknechten Abends vor der Wartburg vom Pferde steigend, wo ihn der Castellan und sein Oberförster, verschiedene Revierförster nebst dem Burgpersonal mit devoter Begrüßung empfingen.

„Durchlaucht zu dienen, jawohl,“ entgegnete der alte Oberförster. „Die Waldläufer und Forstwarte sind jede Nacht draußen gewesen und haben ihrer genug ausgemacht. Und es ist ein Glück für den Forst und die jungen Culturen, wenn Durchlaucht und die andern Herren ein paar Auerhähne abschießen, denn den Saaten haben sie im vorigen Sommer wieder arg zugesetzt, den jungen Herztrieb derart verschnitten, daß wenige von den Sämlingen zum Auspflanzen passen werden.“

„Sie sind und bleiben mehr Forstmann als Waidmann, alter Freund,“ lachte der Herzog. „Nun, das ist mir lieb; unsere Berge hier herum brauchen sorgfältige Pflege des Waldbestandes, und darum – nicht wahr, Wedel, nur darum? – schießen wir Ihnen hoffentlich morgen in der Frühe etliche der mißliebigen Gesellen herunter.“

Man ging in die Burg und begab sich in das Landgrafenhaus.

(Fortsetzung folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 595. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_595.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)