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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

letzterer besonders der Alpensteinbock, welcher in seinem unwirthlichen Heim auf den höchsten Graten starrer Gebirgszüge doch wahrlich die materiellen Interessen der Menschen nicht schädigt, wie es freilich das Elchwild thut, weshalb es nicht ohne Berechtigung angefeindet wird. Beide Wildarten haben ferner einen Feind im Aberglauben, nach welchem gewisse Theile von ihnen als medicinische Heilmittel früher in großem Rufe standen und mehr oder weniger noch stehen; die Erzbischöfe von Salzburg hielten ganze Reihen von Steinwildpräparaten in ihrer Apotheke auf Lager, verwertheten sie zu hohen Preisen und rieben dadurch das Steinwild fast bis zur Vernichtung auf, und noch heute werden in einem geistlichen Berliner Stifte Ibenhorster Elchwildhufe zu Pulver geraspelt und gegen die fallende Sucht angepriesen und verwandt.

Elchwild im Kampfe mit Wölfen.
Originalzeichnung von Friedrich Specht.

Betrachtet man die Gestalt des Elchwilds, so möchte man meinen, sie sei ein Gemisch verschiedenster Thiergestalten, ohne jedoch bestimmte Aehnlichkeit mit einer andern zu haben.

Steht man einer Elchkuh gegenüber (wir vermeiden hier absichtlich alle Jagdausdrücke), so erinnern Kopf und Gesichtsausdruck an ein Kameel, mit dem auch die Farbe sehr übereinstimmt; sieht man den Kopf im Profile, so meint man, ein kolossaler Esel stecke sein würdiges Haupt aus dem Busche; die Stellung der hohen Beine zum Rumpfe erinnert an ein Pferd; erblickt man nur den Rumpf, so ähnelt dessen Farbe täuschend einem Wildschweine; die Stellung der Hörner entspricht der eines Stiers, denn sie schwingen sich seitlich aufwärts. Mustert man aber eingehend das Thier in seiner Gesammterscheinung, so hat es mit keinem Aehnlichkeit, und der starke Hirsch mit seinem kolossalen Schaufelgeweih und dem mächtigen Kinnbarte ist ein Unicum, wohl geeignet zu imponiren und unter Umständen sogar Furcht einzuflößen, denn er steht über zwei Meter hoch auf seinen Hufen, kann eine Schwere von zehn Centnern, selbst darüber erlangen, und es giebt Geweihe, die bis sechszig Pfund wiegen. Es ist ein reckenhaftes Ueberbleibsel der Vergangenheit und paßt in unsere Verhältnisse wie etwa eine Rothhaut in eine europäische Residenz.

Wie die meisten reckenhaft angelegten Individuen der höheren Thierwelt, ist auch das Elch gewöhnlich friedfertig, und man kann ohne Scheu an einem starken Elchhirsche vorübergehen; wird es aber durch Gefahr oder Verwundung gereizt und bedrängt, sind die Hirsche zur Fortpflanzungszeit erregt oder haben die Kühe noch junge und hülflose Kälber, dann sind sie unberechenbar und eine Begegnung mit ihnen ist nicht unbedenklich. Eine Elchkuh mit dem Kalbe, welche nicht Neigung zeigt sich zu trollen, wird man kluger Weise in großem Bogen zu umgehen haben, und erlaubt das die Oertlichkeit nicht, so kehrt man am besten um.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 625. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_625.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)