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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Ehe man sich dessen versieht, stürmt sie zum Angriffe heran, und wehe Dem, auf welchen die langen scharfen Hufe herniederschlagen! Einem Forstaufseher zerstampfte eine solche Elchkuh den ihm werthen Hund in wenigen Augenblicken zu einer formlosen Masse. Der Verwalter des Ibenhorster Reviers, Oberförster Axt, fuhr einst im Revier auf einem beiderseitig von tiefen breiten Gräben begrenzten Wege, als plötzlich eine Elchkuh erschien, deren zurückgelegte Ohren nichts Gutes verhießen; der sofort bewirkte schnelle Trab der Pferde half nichts, denn die langen Beine des Elchs jenseit des Grabens schafften noch besser; Zuruf und Peitsche brachten die Pferde bald in langen Galopp – auch umsonst: das Elch galoppirte mit; die Gefahr wuchs bedenklich, denn nach kurzer Strecke mußte das Elch den Weg erreichen, da sprang der Lehrling während schnellster Fahrt vom Wagen und mit starkem Peitschenknalle dem boshaften Thiere entgegen: das half, es stutzte und trabte zu seinem Kalbe zurück.

Mondscheinnacht auf dem Kurischen Haff.

Wie schon angedeutet, bedient sich das Elch als äußerst wirksamer und gefährlicher Waffen seiner Vorderläufe, und nicht nur die Kuh, sondern auch der Hirsch, wenngleich dieser auch von seinem Geweih Gebrauch macht. In welcher Weise die Elche sich ihrer grimmigsten Feinde, der Wölfe entledigen, veranschaulicht das von Fr. Specht naturwahr gezeichnete Bild auf S. 625. Wüthend zerstampft die Kuh den am Boden liegenden hinterlistigen Angreifer, während dessen feiger Geselle vor den drohenden Geweihhieben des Hirsches Reißaus nimmt. Die schweren, mit sehr scharfen Kanten versehenen Hufe verursachen furchtbare Verwundungen, und noch nach dem Tode des Gegners trampelt und stampft das wüthende Thier auf dessen Cadaver herum. Zum Stoße nach vorn, wie der Edelhirsch, kann der Elchhirsch sein seitwärts abstehendes Geweih zwar nicht gebrauchen, aber umsomehr zu furchtbaren Schlägen durch Schwenken des Kopfes.

Das Elchwild entnimmt seine Nahrung viel weniger dem Boden, als dem Baum- und Strauchwuchs, denn infolge seiner hohen Füße, des hohen Widerrists und kurzen Halses kann es mit dem Maul nur schwer an den Boden gelangen; von Bodengewächsen liebt es ganz besonders die Kuhblume (caltha palustris Lin.), seine Lieblingsnahrung aber ist und bleibt die Werftweide, nach welcher es meilenweit wandert; sonst nimmt es auch andere Weiden und Weichhölzer an und von Nadelhölzern lieber die Kiefer als die Fichte. Es folgt hieraus, daß das Elchwild der Landwirthschaft weniger schädlich ist und, wenn es in ein Roggenfeld geräth, weit mehr durch Zertreten der Saat schadet als durch Abfressen, dagegen im Ganzen und Großen mit der modernen Forstwirthschaft sich schlechterdings nicht verträgt.

Fahrt von der Weide.

Was seinem Maul an Zweigen und Blättern der ihm angenehmen Nahrungsgewächse erreichbar ist, frißt es ab und verschrotet daumenstarke Laubholzzweige mit Wohlbehagen; daß es bei seiner Höhe sehr weit hinaufreichen kann, bedarf keiner Betonung, und dabei leistet ihm die unförmlich große Oberlippe, so ungeeignet sie zum Grasen am Boden ist, zum Fassen von Zweigen vortreffliche Dienste, da sie sich rüsselähnlich verlängert, und will auch diese nicht mehr ausreichen, auch wenn sich das Elch auf den Hinterfüßen erhebt, so reitet es die jüngeren Stämme nieder, frißt sie zu Stumpfen ab und bricht sie natürlich oft ganz um. Die Nadelhölzer verbeißt es rundum, und welche wunderlichen Formen diese dadurch annehmen, zeigt unser Bild auf S. 625.

Daß solche urwüchsige Thiere entsprechende Oertlichkeiten erheischen, liegt auf der Hand, und solche bietet das Ibenhorster Revier, wie schwerlich ein anders; es liegt auf dem Delta, welches die Ausflußströme der Memel, hauptsächlich Ruß und Gilge, bilden; auf dem Höhenboden vorherrschend mit kräftigem Nadelholz bestanden, schließen sie sich an weit auf der Niederung ausgedehnte Erlenbrüche, auf welche bis in’s Haff hinein große Weiden- und Rohrwerder folgen, während nach dem Nordosten sich meilenweit öde Hochmoore erstrecken. Auch die angrenzenden Forstreviere Dingken und Tawellningken haben ähnliche Verhältnisse, und ihre große räumliche Ausdehnung könnte Hunderten von Elchen sichere Heimstätten gewähren – wenn es eben keine Menschen dort gäbe; denn mag die Bevölkerung immerhin dünn sein, für die Ansprüche der Elche ist sie schon viel zu dicht.

Die Zunahme der Bevölkerung und die mit ihr verwachsene intensivere Cultur, das heißt eingehendere Ausnutzung des Bodens, werden den Elchen immer mehr Raum abgewinnen, und tritt über kurz oder lang die Ansiedelung der großen Hochmoore in’s Leben, wie z. B. auf dem Rupkalwer Moor, so ist von Stund an das Schicksal der Elche besiegelt, denn ohne diese können sie nicht bestehen. Man denke sich unter diesen Hochmooren keine schönen, grünen Weideflächen, es sind mit sehr kärglichen Torfgewächsen, Flechten und Moosen bedeckte Einöden, welche selbst im Sommer eine mehr graubräunliche als grüne Färbung zeigen; stellenweise ist der Boden fest, stellenweise tief versumpft, daher nur mit Vorsicht zugänglich, und selbst den Naturfreund vermögen sie kaum zu erwärmen, denn Alles auf ihnen und um sie, Pflanzen- und Thierwelt, ist ärmlich und eintönig. Aber diese Moore sind im Spätherbst und Winter die Vorrathskammern und Tummelplätze der Elche; dort finden sie die ihnen erhaltene und zusagende

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 626. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_626.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)