Seite:Die Gartenlaube (1884) 634.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Formen verrieth; ein goldener Gürtel raffte dasselbe zusammen. Und nun dies wunderbare Angesicht! Die großen Strahlenaugen, die reizvollen Züge, das kindliche Lächeln, ja das alles lebte, regte sich, athmete Schönheit und Liebe!

Frau Venus richtete sich von ihrem Lager auf und trat einen Schritt vor, sie warf das reiche Haar zurück; welch ein Arm, wie anmuthig jede Bewegung! Dann hob sie bittend die Hände, flehend streckte sie dieselben vor, drückte sie auf ihr Herz, endlich sogar warf sie sich auf die Kniee und breitete weit die Arme dem ganz im Schauen aufgehende jungen Fürsten entgegen.

Dieser brach in einen hellen Freudenlaut aus, der wie ein Jubelruf durch die dunklen Wölbungen hallte, und wäre in’s Wasser gesprungen, um zu der sinnbethörenden Erscheinung hinüber zu gelangen, wenn der Graf ihn nicht zurückgehalten hätte.

Kaum ertönte jener Aufschrei von den Lippen des Herzogs, so warf sich Frau Venus mit verhülltem Angesicht auf ihr Lager zurück, und ein donnerähnlicher Laut rollte durch die Felsengänge.

„Rasch, entfliehen wir!“ flüsterte der Graf. „Folgen Sie mir, eilen Sie, es gilt Hackelberg, dem wilden Jäger, zu entkommen!“

In stürmischer Hast riß er den fast besinnungslosen Gefährten, der noch einen letzten glühenden Blick auf das schöne Weib warf, hinter sich her, stülpte ihm in der vorderen Höhle die Kapuze über, drängte ihn vor sich die Leiter hinauf und stieg mit ihm in die Höhe.

Oben angelangt und die freie Luft spürend, athmete der Herzog tief auf.

„Gerettet!“ sagte der Graf. „Nun rasch zu Pferde und davon!“

Man saß auf, wie beim Komnen und kehrte in ganz derselben Weise zurück.

Vor der Seitenpforte des Barchfelder Schloßparks entfernte Saint Germain die Hülle, welche des Herzogs Haupt bedeckte; heller Mondschein lag wie vorhin auf den Kieswegen, den Rasenstecken und zartbegrünten Bosquets des Gartens, nur stand der Mond höher als vorhin, und jetzt schlug es zehn Uhr vom Thurm des Schlosses.

„Sie sind wirklich ein Wundermann, Graf, in einer einzigem Stunde mich das erleben zu lassen!“ rief der Herzog tief erschüttert. „Wenn ich sie, dies entzückendste Weib, das mein Auge je geschaut, nicht jetzt noch deutlich, unauslöschlich, unvergeßlich vor mir sähe, ich könnte mir einbilden, ich habe hier auf der Gartenbank gelegen und im Mondschein geträumt, so wunderbar war dies Erlebniß!“

Als die beiden Männer wieder in das von Tabakswolken erfüllte Spielzimmer traten, erkannten sie aus der andern Herren Anrede, daß man ihre längere Abwesenheit gar nicht bemerkt habe.

Der Herzog ging zur Seite; verdrossen schlug er die Arme unter, winkte Saint Germain zu sich und sagte:

„Jetzt fordern Sie, bestimmen Sie, machen Sie mit mir, was Sie wollen; alles Andere widert mich an, nichts hat Reiz als sie! Schaffen Sie mir jene Huldgöttin, Ihre Venus!“

„Durchlaucht müssen Geduld haben,“ erwiderte der Wundermann kühl. „Ich erlaubte mir schon früher die Bemerkung, daß dies ein sehr schwieriges, weitaussehendes Unternehmen sein würde.“


23.

Ganz erfüllt von dem Abenteuer in Barchfeld, das er sich immer auf’s Neue vergeblich als auf natürlichem Wege zugegangen vorzustellen versuchte, kam der Herzog, wenige Tage später, wieder in Weimar an.

Saint Germain hatte sich während ihres weiteren dortigen Zusammenseins von ihm fern gehalten, hatte dem Drängen und den ungeduldigen Fragen des erregten jungen Fürsten Ablehnung und ein Vertrösten auf später entgegengesetzt, und war endlich mit den anderen Herren nach Kassel zurückgekehrt.

Jetzt war auch Goethe von Ilmenau heimgekommen, und nun ertrug Karl August es doch nicht länger, sein wunderbares Erlebniß vor dem Freunde zu verbergen; er suchte ihn, ganz erfüllt von jenen wunderlichen Dingen, in seinem Gartenhause auf. Sie saßen mit einander auf dem Altan, und der Herzog erzählte ganz genau seine Erlebnisse; sowohl das am Morgen der Auerhahnjagd auf dem Kohlberge bei der Wartburg, wie auch den seltsamen Ritt von Barchfeld aus und sein köstliches Begegniß mit der Huldgöttin.

Staunend folgte der ruhige, scharfsinnige Hörer diesem langen Bericht. Er warf Fragen dazwischen und rief lachend, daß man doch, trotz vieler scheinbaren Beweise, nicht an übernatürliche Dinge glauben könne!

„Nach und nach sage ich mir das selbst,“ erwiderte der Herzog lebhaft; „wenn ich nun auch bei ruhigem Blut nicht mehr an Saint Germain’s Faxen vom Fliegenkönnen, von Luftvolten, von losgelassener wilder Jagd und dergleichen glaube, so bleibt doch immer noch genug übrig, um meine Phantasie mit dem Tausendkünstler und seinen Leistungen zu erfüllen. Du stehst kühl außerhalb jener Ereignisse, Du blickst darauf, ich blicke hinein; so war und bin ich mit allen Sinnen gefesselt. Es kommt auch viel zusammen, um mich gefangen zu nehmen! Ich kenne ja die Gegend am Hörselloch wie meine Stube, und ich sage Dir: jeder Schritt traf zu! Wie aber willst Du zu Pferde, in kaum einer halbe Stunde, von Barchfeld nach dem Hörselberge gelangen? Du kennst doch auch die Entfernungen und weißt, daß es ein respectabler Ritt von mehreren Stunde ist.“

„So hat der Betrüger sich in der Nähe etwas Passendes gesucht. Sie sagen, er sei Geognost; er schlug zuerst vor, Sie in den Kyffhäuser zu führen, vermuthlich hat irgend eine von ihm entdeckte Schlucht, Höhle oder ein alter Schacht ihm den Plan eingegeben, Sie durch jene Komödie von seiner übernatürlichen Kunst zu überzeugen. Und wohlberechnet war’s, Ihnen als Lockmittel ein schönes Weib zu zeigen.“

„Deutlich sehe ich nur, daß er ein höchst geschickter Improvisator ist, von dem sich viel Hübsches erwarten ließe. Ich wollte doch, man könnte seiner habhaft werden, ihn an Weimar fesseln!“

„Dürfte er nicht ein gefährliches Spielzeug sein?“

„Was willst Du? Soll ich mich vor dem Charlatan fürchten?“ Karl August lachte laut auf. „Er taxirt mich zu billig, wenn er denkt, mir Sand in die Augen zu streuen; aber zu meinem Vergnügen seine Künste nutzen, warum nicht? Und dann, Freund, wie soll ich ohne ihn die Venus finden? Ich sage Dir, daß unter allen Weibern, die ich kenne, kein solch entzückendes Geschöpf existirt, wie ich es gesehen habe! Dieser Mantel sanft gewellten, mattblonden Haares war an sich ein Wunder!“

„Toilettekünste, theatralische Schaustellung, vielleicht ein hübsch ausgestatteter Automat,“ warf der Freund mit Achselzucken ein.

Der Herzog fuhr auf.

„Strafe meine Augen nicht Lügen, es sind die scharfen und wohlgeübten eines Jägers; nicht eine Linie ihres ebenmäßigen Gesichts, kein Blick ihres großes, blaue Auges, kein Lächeln der sanft geschwellten Lippe, kein Athemzug, keine Bewegung des göttliche Leibes, der doch von ebensolchem Fleisch und Bein war wie der unsere, ist mir entgangen. Nie sah ich ihresgleichen und ewig werde ich mich nach ihr sehnen!“

Es half Goethe nichts, dagegen zu streiten. Er gerieth allmählich in Hitze und verdarb es dadurch ganz. Wäre er ruhiger zu Werke gegangen, so würde er sich vielleicht den alten Einfluß auf des Herzogs Stimmung bewahrt haben. Hier trat die Verschiedenheit ihrer Naturanlage aber schroff gegen einander, und so fehlte für den Augenblick von beiden Seiten das richtige Verständniß. Karl August hatte nichts dagegen, sich etwas vorgaukeln zu lassen, wenn es ihn amüsirte und sobald Genuß dabei herauskam. Goethe haßte jede Art von falschem Schein. Hielt er doch vorzugsweise auf Wahrheit. Auch zählte er acht Jahre mehr als der feurige junge Fürst, der in den Brausejahren der Entwickelung stand und noch nicht ernstlich an eine Begrenzung dachte.

(Fortsetzung folgt.)
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 634. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_634.jpg&oldid=- (Version vom 15.1.2023)