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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

No. 41.   1884.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


„Fanfaro.“
Novelle von Stefanie Keyser.
(Fortsetzung.)


Indem Bartenstein Melanie begrüßte, sagte er: „Ueberzeugen Sie sich, wie man dem Zufall zu Hülfe kommen kann.“

„Ich verstehe,“ lächelte Melanie, „wie die Franzosen dahin gekommen sind, zu glauben, die Ulanen stünden mit einer über- oder vielmehr unterirdischen Macht im Bunde.“

„Im Kriege bilden sich immer Mythen,“ sagte er. „Unsere Mannschaften haben sich indessen doch gegen die Annahme, daß sie unverwundbar seien, durch den schönen Vers gewehrt:

‚Ulanen werden in der Schlacht
Wie andre Leute umgebracht.‘

Aber gestatten Sie, gnädiges Fräulein,“ wandte er sich wieder an Ereme, „daß ich mir einmal den Cameraden dort ansehe.“ Er drehte sich nach der Statue um und rief überrascht: „Eine Minerva! Nun, ich hätte es mir eigentlich denken können.“

„Pallas Athene,“ verbesserte Ereme, ihm langsam folgend. „Der Versuch eines jungen Künstlers, eine Athene nach der Beschreibung von der ehernen des Pheidias, die man die Athene Promachos nannte, zu schaffen.“

„Promachos?“ wiederholte Bartenstein.

„Ja, Vorkämpferin,“ erklärte Ereme.

„Für eine Kämpferin hat sie den Helm zu weit nach hinten gesetzt, ohne das Sturmband herunter zu schlagen,“ kritisirte er. „Sie steht überhaupt da, als habe Vater Zeus ‚ohne Tritt‘ commandirt. Und ihre Uniform sitzt auch nicht reglementmäßig.“

„Vom Standpunkte des Ulanen,“ erwiderte Ereme spöttisch.

Er schien den Spott zu überhören. „Gewiß, vom Standpunkte des Ulanen, der als deutscher Soldat sich bewußt ist, daß Wort, Raum, Kleid und Zeit ihm knapp zugemessen sind. Von dem Standpunkte des deutschen Soldaten aus muß ich Ihnen auch sagen, daß mir diese antike Jungfrau von Orleans sehr mißfällt, und noch mehr das Volk, das Frauen darzustellen beliebte, die mit eingelegter Lanze zu Felde ziehen.“

Ereme sah ihn hochmüthig an. „Es war das edelste Culturvolk der Erde. Und es ist eine hohe Genugthuung für uns Frauen, daß es einem Mädchen die einzig unbesiegbare Waffe verlieh, vor der die größten Helden zurückwichen.“

„Die Lanze,“ neckte er muthwillig, „die wir Ulanen führen.“

„Nein, den Gedanken,“ entgegnete sie schroff, „der ihr so hohe Kraft giebt, daß es ihr ein Leichtes ist, auch den Kriegsgott im Kampfe zu besiegen.“

Eine helle Röthe flog bei ihren Worten über seine Stirn. Er strich sich das kurzgelockte braune Haar zurück, als werde es ihm plötzlich heiß. „In welchem Kampfe?“

„In dem, welchen die Iliade schildert.“

„Sie müssen meinem Gedächtnisse noch weiter zu Hülfe kommen,“ sagte er. „Es ist lange her, seit ich die Iliade gelesen habe. Mir ist nur die Erinnerung geblieben, daß Achilles um einer Sclavin willen seinem Kriegsherrn den Gehorsam verweigert und dennoch nicht vor ein Kriegsgericht gestellt wird. Das ging mir schon über den Spahn. Also dann besiegt auch noch eine Dame den Kriegsgott?“

Ereme neigte bestätigend das Haupt. „Sie verschmäht dem Ungeberdigen gegenüber die feinen Waffen. Mit einem Feldsteine schlägt sie ihn zu Boden, und mit jauchzendem Laute spricht sie die geflügelten Worte: ‚Thörichter, nie wohl hast Du bedacht, wie sehr ich an Kraft Dir vorzugehen mich rühme, daß Du voll Trotz mir begegnest.‘“ Es lag etwas wie eine strenge Warnung in dem Blicke, der ihre Worte begleitete.

Auch seine Augen verdunkelten sich, und er rief ungestüm: „Das ist stark - von der Pallas Athene,“ setzte er in leichtem Tone hinzu. „Der griechische Kriegsgott würde bei uns für untauglich zum Militärdienst erklärt worden sein.“ Er streifte den weißen Handschuh ab und legte seine schön geformte kräftige Hand neben die der Pallas, welche plötzlich puppenhaft erschien. „Ich bezweifle,“ fuhr er fort, „daß dieses Händchen es mit meiner deutschen Faust aufnehmen könnte; aber ich weiß, daß es mir selbst einer so ausgezeichneten Dame gegenüber,“ – dabei hob er die Hand zu der Statue empor – „mitten im Kampfe ein Leichtes sein würde, zu gebieten: Bis hierher und nicht weiter. Sie würde trotz aller holden Gedanken meiner schlichten Willensäußerung sich unterordnen.“ Damit senkte er die erhobene Rechte und bot sie mit einer Bewegung voll Eleganz Ereme, um diese nach dem Sopha zu geleiten, wo Melanie saß.

Obgleich Ereme der Zorn siedend heiß zum Herzen stieg, blieb ihr doch nichts übrig, als auf dem Sopha Platz zu nehmen.

Melanie hatte rothe Wangen und glänzende Augen vor Schreck über die Scene bekommen. Sie suchte zu vermitteln. „Sie würden den Griechen unrecht thun, Herr von Bartenstein, wenn Sie glaubten, daß dieselben nicht verstanden hätten, in ihren Dichtungen der Frau die rechte Stellung zu geben. Kann das Wesen einer solchen schöner bezeichnet werden, als in den Worten der Antigone: ‚Ich bin ein Weib, zum Hassen nicht geboren; nur mitzulieben zwingt mich die Natur.‘“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 669. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_669.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2022)