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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Von der hansischen Flanderfahrt.

Von Karl Braun-Wiesbaden. Mit Illustrationen von H. Schlittgen.
II. Amsterdam. Antwerpen. Gent.

An der Schelde in Antwerpen

Amsterdam hat einen ganz specifisch holländischen Charakter, durch den es sich namentlich von den belgischen Städten unterscheidet, welche wir später besuchten. Dieser Charakter spricht sich weniger aus in den öffentlichen Gebäuden, als vielmehr in den Privathäusern, in den Canälen, den Alleen und in den Straßen.

Wir sehen hier in denjenigen Stadttheilen, welche so recht die Eigenthümlichkeiten der Handelsmetropole zur Anschauung bringen, weder Paläste, noch Miethcasernen (oder wie man in Wien sagt „Zinshäuser“), noch Villen, sondern ein eigenthümlich construirtes Wohn- und Geschäftshaus. Ich will es zu beschreiben versuchen:

Dasselbe verfolgt die Tendenz, sich möglichst schmal zu machen. Was es dadurch an Breite verliert, sucht es an Höhe zu ersehen. Das Haus ist hoch und schmal und die Fenster sind hoch und schmal. Es wendet der Straße die Giebelseite zu, und auch der Giebel ist hoch und schmal, gleich den Stockwerken. Die meisten dieser Häuser haben nur zwei Fenster Front, das heißt zu ebener Erde ein Fenster und die Thür. Die behäbigsten nur drei, die Thür mitgerechnet.

Man sieht daraus, wie theuer der Raum war, schon damals, als man diese Häuser gebaut hat; wie sehr man darauf bedacht war, den Verkehrsstraßen zu Wasser und zu Lande den Platz nicht zu verkürzen; wie man zwar für das Licht und die Luft in den vorderen Räumen eifrig besorgt war, wie man aber über dieser Vorsorge für Gesundheit und Behäbigkeit der Menschen die Bedürfnisse des Handels und die Räume für die Waaren nicht vergaß. Jedes Haus hat, oder hatte wenigstens, seine Waarenlager, seine Speicher, seine Vorrichtung zum Hinaufwinden der Waaren. Die Packhäuser und die Geschäftslocale außerhalb des Hauses sind neueren Datums. Dann hat jedes Haus irgend eine Decoration, mit welcher der Giebel plastisch abschließt. Hier ist es eine Blume, dort eine Guirlande, da eine Schnecke, hier eine Wulst oder irgend eine jener altmodischen Verzierungen, wie sie unsere deutschen Bücher aus dem vorigen Jahrhundert als Vignetten aufweisen. Vor den Häusern findet man vielfach noch jene Vorterrassen, welche man bei uns „Beischläge“ nennt, und die man in Danzig beseitigt hat, um mehr Straßenfläche zu gewinnen. Die hohen hellen Fenster werden sehr häufig, und zwar von außen mit einer Art von Feuerspritze gereinigt, was man „Glazen-Wasschen“ nennt. Es sind alles Fallfenster, das heißt, sie sind nicht vertical, sondern horizontal in zwei Theile zerlegt, von welchen man den unteren Theil aufschieben und herunter fallen lassen kann. Die hinaufgeschobene Hälfte schien uns, wenn wir den Kopf unten hinausstreckten, wie eine Guillotine zu bedrohen; natürlich beruhte das auf Täuschung, denn die Einrichtung ist sehr solide und hat insofern einen Vorzug, als solche Fenster, die weder nach innen noch nach außen vorstehen, den Raum nicht versperren. Ueber dem Haus ragen Kamine empor in den mannigfachsten Formen. Die Häuser sind, wie ein Hanseat sagte, „alle schwarz-weiß, wie die preußischen Fahnen“. Sie bestehen aus Ziegel und Holz. Der Ziegel ist dunkel gebrannt, oft auch zum Zweck der Conservirung mit einer dunklen Masse überstrichen, sodaß die Wand in der Nähe dunkelroth oder dunkelbraun, aus der Ferne aber wie schwarz aussieht. Die Einfassungen von Thür und Fenster und alles sonstige Holzwerk ist weiß oder hellgelb. Die Thüren sind bunt angestrichen und meistens geschnitzt. Jede hat ihren blinkenden messingenen Klopfer.

Keine dieser Einzelheiten entspricht irgend einem unserer Schönheitsideale. Aber es ist Leben und Bewegung und eine Fülle von Farben und Formen in einer solchen Häuserflucht, und wenn wir sie mit unseren modernen nach der Schnur gebauten monotonen und uniformen Straßen vergleichen, so können wir nicht leugnen: das Ganze gewährt einen malerischen Anblick, trotz aller barocken, grotesken und schnörkelhaften Einzelheiten, die prima vista Anstoß erregen. Und dann sieht man überall, wie das wahre Bedürfniß richtig erkannt und demselben zweckmäßig entsprochen ist, und auch das macht einen befriedigenden Eindruck.

Die Stadt ruht auf Pfählen wie Venedig; aber „Venedig liegt nur noch im Reich der Träume“, und seine Canäle sind verödet. Hier dagegen pulsirt überall das lebhafte Leben. Da wimmelt es von Menschen und Masten, und nirgends ist Ruhe oder Erstarrung.

Und doch giebt es neben diesen belebten Stadttheilen auch andere, welche in einer stolzen und stillen Vornehmheit und Zurückgezogenheit leben, und an der Außen-Amstel baut man in neuerer Zeit auch frei und einzeln stehende Häuser und Villen. Man kann deutlich erkennen, wie die Stadt und mit ihr deren Wohlstand gewachsen, und wie man dann später angefangen hat, die verschiedenen Functionen zu differenziren, das heißt die Geschäfts- und die Wohnräume zu trennen und diese wie jene ihren verschiedenen Zwecken entsprechend zu vervollkommnen. Aber für den Cultur- und Wirthschafts-Historiker haben jene alten, schmalen, hochbeinigen schwarz-weißen Giebelhäuser doch mehr Interesse, weil hier der Grund zu dem Reichthum der Stadt gelegt worden ist, weil sie uns durch ihren bloßen Anblick belehren.

Soviel von den Häusern, die auf beiden Seiten der combinirten Canäle und Straßen liegen, welche man „Grachten“ nennt. Ich versuche nun ein Bild dieser Verbindung von Wasser und Landstraße zu geben.

In der Mitte also ist der Canal. Auf jeder der beiden Seiten findet man zunächst die Quaimauer, dann eine Allee, dann den Straßendamm, hierauf das Trottoir und endlich die „Beischläge“, welche man hier mit dem Collectivnamen „stoep“ bezeichnet. In die Quaimauer sind in kurzen Zwischenräumen Treppen eingelassen; auch finden sich zahlreiche Vorrichtungen zum

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 676. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_676.jpg&oldid=- (Version vom 29.10.2022)