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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Löschen und Laden. Die Allee, welche dann folgt, besteht in der Regel aus Linden und heißt „de boompjes“, die Bäumchen. Dann folgt der Gangsteig, den wir Deutsche Trottoir nennen, die Holländer aber nicht mit einem französischen, sondern mit einem gut germanischen Worte bezeichnen, nämlich „de steenen“, die Steine; denn er ist aus schmalen Klinkers oder hart gebrannten Backsteinen zusammengesetzt, von welchen der eine dem andern als Keil dient, sodaß das Ganze eine große Dauerhaftigkeit und Consistenz hat und weit besser ist, als unsere aus Platten zusammengesetzten Trottoirs, auf welchen man, namentlich im Winter bei Nässe oder Glatteis, keinen sicheren Tritt hat und die schönste Gelegenheit findet, die Arme oder Beine zu brechen. Außer und neben den „Steinchen“ hat man aber häufig zwischen diesen und den Häusern Trottoirs aus Quadersteinen. Endlich folgen jene Terrassen oder Plattformen, welche in einiger Höhe den Häusern entlang laufen, die „stoeps“, welche im Falle einer Ueberschwemmung auch als Nothgang benutzt werden können. In der Regel sind sie mit einem eisernen Gitter umgeben und mit Bänken versehen. Auf diesen sitzt nach gethaner Arbeit der behäbige Hausherr, um in Ruhe sein Pfeifchen oder seine Cigarre zu rauchen. Man nennt das auf Holländisch „stoepen“. Es hat einige Aehnlichkeit mit der Siesta des Türken, welche man Kef nennt, oder mit dem „dolce far niente der Italiener.

Das Wachsthum der Stadt zeigen die beiden Gürtel-Grachten, genannt „Cingel-Gracht“ (von dem lateinischen Worte Cingulum, der Gürtel), nämlich der innere Cingel und der äußere, von welchen jener die alte und dieser die neue Stadt als concentrische Kreise umschlingen, ähnlich wie Wien von dem „Ring“ und von den „Linien“ umfaßt wird. Zwischen beiden Cingel-Grachten im Westen der Stadt liegen die bereits erwähnten vornehmen Quartiere, die „Heeren-Gracht“, die „Keitzers“- und die „Prinsen Gracht“.

„Der Steen“ und Straße in Antwerpen.
Originalzeichnung von H. Schlittgen.

Amsterdam ist eine neue Stadt. Erst nach dem Falle Antwerpens (1585) entfaltete es sich zu seiner höchsten Blüthe. Es hat deshalb wenig alterthümliche oder alte monumentale Gebäude. Die vielthürmige Neumarktwage (de Waag op de Nieumarkt), früher Stadtthor, macht eine Ausnahme. Das ehemalige Stadthaus, welches seit der französischen Zwischenherrschaft konigliches Palais ist (het Paleis van Z. M. den Koning), jedoch wenig oder gar nicht als solches benutzt wird, ist recht imposant, aber im Innern durch den Kunstgeschmack des ersten französischen Kaiserreichs verunstaltet. Ich vermuthe, als es noch Stadthaus war, ist es schöner gewesen. Die Thürme, welche man sonst überall sieht, sind meist reichlich vergoldet, aber ein wenig verschnörkelt. Natürlich hat jeder sein Glockenspiel, auch der auf dem Palaste des Königs.

Jedenfalls aber hinterläßt Amsterdam einen lebhaften und bleibenden Eindenck. Die Grachten mit ihren schönen Alleen und ihren reinlichen Straßen, die zahllosen, zum Theil hochgespannten und hell angestrichenen Brücken und Brückchen, die Erker und Giebel der Häuser, die zwar alle den nämlichen

Grundplan haben, aber in den Einzelheiten auf das Mannigfachste variieren,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 677. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_677.jpg&oldid=- (Version vom 16.10.2022)