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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

mich vor Tändeleien. Ich hatte nur Herz und Sinn für das Eine: groß zu werden in meiner Kunst!

Mein Vater fand ein anderes günstiges Engagement und zog mit der Familie fort, ich blieb, für die Collcerte angestellt, in Leipzig. - Sie werden es nicht für eitle Prahlerei halten, lieber Freund, wenn ich erwähne, daß mir von manchen Seiten gehuldigt wurde. Der Enthusiasinus des Jünglings und das ernstgemeinte Werben des Mannes kam mir entgegen, aber mein Herz schwieg, ich hielt mich selbst für kühl, für unfähig, mich dem vielgepriesenen Gefühl der Liebe zu erschließen. Wieder war es meine Kunst, von der ich überzeugt war, daß sie mich ganz ausfülle.

Da, kaum ein Jahr vor meinem Scheiden aus Leipzig, fiel mir in einem Concert ein schlanker Mann in schwarzer Salmmetkleidung auf, der mich mit seinen dunklen Augen unablässig verfolgte. Die Angst und Pein, welche ich unter seinen Blicken litt, steigerte sich derartig, daß es mir schwer wurde, meine zweite Arie zu Ende zu singen.

Noch beklommen von jenem Eindruck, schloß ich mich zum Nachhausewege einer bekannten Familie an und hatte, als die Frerunde mich verließen, nur noch ein kurzes Gäßchen bis zu meiner Wohnung zu durchschreiten. Als ich hier einbog, trat eine Gestalt ans mich zu, in der ich zu meinein unaussprechlichen Schrecken den imponirenden Fremden erkannte.

Er redete mich an und lobte meinen Gesang; ich verstand anfänglich in großer Verwirrung kaum, was er sagte, und erschrak zugleich über dies mir so fremde Gefühl von Angst und Scheu.

Er begleitete mich, ohne daß ich es ihm zu wehren vermochte, bis zu meinem Hause und bat beim Abschied, mich morgen besuchen zu dürfen. Obwohl ich überzeugt war, daß ich die Bitte nicht gewährt, wußte ich doch, daß er kommen würde.

Die Nacht verbrachte ich schlaflos und unter dem Druck einer beklemmenden Spannung, wie in Erwartung eines großen und folgenschweren Ereignisses, eines über mir schwebenden Verhängnisses. O, wie haben sich meine damaligen bösen Ahnungen bestätigt! Am andern Morgen wartete ich mit Zittern auf seinen Besuch und sah ihn gegen Mittag bei mir eintreten.

Es entspann sich nun ein ganz wunderbares Verhältniß. Mir ward nie wohl in seiner Nähe, ich sehnte mich nie nach seinem Kommen, aber ich mußte seine Nähe dulden, denn die Kraft ihn abzuweisen besaß ich nicht.

Zergrübelt habe ich mir den Kopf, um herauszufinden, worin seine Macht bestehe, die er vom ersten Augenblick an über mich gewonnen hatte.

Er war weder jung noch schön, aber alles an ihm trug das Gepräge der Vornehmheit, Sicherheit, Herrschgewißheit. Ich, sonst nicht ohne Selbstgefühl, kam mir in diesem Verhältniß vor, wie die Sclavin dem Sultan gegenüber, wie der Vogel im Bann der Schlange, kurz wie ein ganz willenloses und hülfloses Wesen.

Er sagte mir nach einigen Wochen - nichts von Liebe oder Leidenschaft - nein, nur, daß er wünsche, mich sein zu nennen. Und ich, erschrocken, aber nicht überrascht, ich - willigte ein!

Weshalb ich’s that, das blieb mir selbst ein Räthsel. Als er gegangen war, regte sich meine alte Selbstständigkeit, ich schalt mich, ich zürnte mir, ich beschloß mein Jawort zurückzunehmen, ihn nie mehr zu empfangen, keine Ueberredung zu dulden; als er aber kam, Pläne entwarf und mich seine ‚verehrte Braut‘ nannte, schwieg ich und bemühte mich, seinen Wünschen nachzukommen.

Ist es Ihnen nie geschehen, Hildebrand, daß Sie schier unwillkürlich Dinge thaten, Worte sprachen, die Sie eigentlich nicht thun, nicht sagen wollten? Mir ist dies Mißgeschick oder diese Schwachheit dem Grafen gegenüber oft begegnet. Ich weiß nicht zu sagen, was mich trieb oder hinriß, aber ich ging immer weiter, als meine Absicht war. Soll ich’s Furcht nennen? War’s Eitelkeit, die ihm genügen wollte? Oder war es Beides und der zwingende Einfluß seiner Persönlichkeit dazu?

Der merkwürdige Mann besaß ein fast übernatürliches Wissen. Er kannte alle Länder und vermochte auf das Lebhafteste von bedeutenden Menschen und fernliegenden Verhältnissen zu erzählen; ja manchmal schien sein genaues, persönliches Kennen sich auf längst Vergangenes zu beziehen, sodaß ich ihm mit starrem Schrecken zuhörte. Die Gedanken las er mir von der Stirn, beantwortete Fragen, die ich noch nicht ausgesprochen, war plötzlich dicht neben mir, ohne daß ich sein Kommen gehört, und beschäftigte so ausschließlich meine Gedanken, daß ich doch manchmal glaubte, ich liebe ihn.

Er hatte mir gesagt, daß er in Dresden wohne, aber Franzose sei, Graf Saint Germain heiße, und daß er wünsche, da ich hier weder eine eigene, noch eine seinem Range ebenbürtige Familie besitze, die uns eine Hochzeit rüsten könne, sich still mit mir in Dresden zu vermählen. Ich solle vorläufig meinen Contract nicht lösen, sondern, bis er sein Haus eingerichtet und gewisse Hindernisse beseitigt habe, wieder nach Leipzig zurückkehren.

Ich ging in meiner Bezauberung und Willenlosigkeit auf seine Vorschläge ein und reiste mit ihm nach Dresden.

Wir kamen gegen Abend an und stiegen vor einem düsteren Hause der Vorstadt ab. Pierre, sein französischer Kammerdiener, den ich schon früher mit ihm in Leipzig gesehen hatte, empfing uns. Wir fanden in einem großen Zimmer mit weißgetünchten Wänden einen blumengeschmückten Altar, aus dem reiche Armleuchter mit brennenden Kerzen standen, Vorkehrungen, die, obwohl sie mir nicht unerwartet kommen konnten, mich mit plötzlicher Angst erfüllten.

Der Graf führte mich in ein anstoßendes Cabinet, wo ich meine Toilette ordnete; der Brautkranz lag für mich bereit.

Als ich in das große Zimmer zurückkehrte, standen ein Geistlicher am Altar und zwei würdige, mir fremde Herren als Zeugen bereit. Die heilige Ceremonie begann sogleich; ich ward dem Grafen angetraut und fand, trotz innersten Widerstrebend auch hier, in der letzten Minute, nur das von mir verlangte Ja!

Nach der Trauung geleitete mich mein Gemahl in das Cabinet zurück, umarmte mich, bat mich, da ich zitterte und tief ergriffen war, der Ruhe zu pflegen, die Reise habe mich angestrengt, er wolle sich dem geistlichen Herrn und seinen Freunden, den Zeugen, empfehlen, ich solle, wenn ich mich erholt habe, ihn im anstoßenden Zimmer erwarten, wo wir mit einander soupiren würden.

Nach kurzer Zeit kehrte ich in das große Zimmer zurück. Der Altar mit den Armleuchtern war fortgenommen, dafür stand ein Eßtisch mit zwei Converts inmitten des Raums, ein Paar Lehnsessel daneben und irgendwo zur Seite ein mattbrennendes Licht. Ermüdet wie ich war, setzte ich mich in einen der Sessel und wartete.

Ich befand mich in zu großer Erregung um schlafen zu können, aber ein Gefühl von Schwindel kam über mich.

Mein Blick war starr auf die große, weiße Wand vor mir gerichtet, und mechanisch verfolgte ich die schwebenden Schatten, welche bei dem schwachen Licht jener einen herabgebrannten Kerze darüber hinfuhren.

Plötzlich dichteten sich jene Schatten, ich erkannte die Umrisse einer Gestalt – sie glitt, mit schleppendem Kleide aus dem Estrich wandelnd, heran. Es war eine Frau, doch in fremder Tracht. Als sie mir gegenüber stand, sah sie mich bekümmert an, hob die Hände wie klagend und sagte mit Jammertönen:

‚Armes Weib! Armes Weib!‘ - damit schritt sie vorüber.

Ich wollte aufspringen, schreien, aber ein kaltes Entsetzen lähmte meine Glieder.

Schon folgte der Ersten eine Andere. Sie war nicht wie ihre Vorgängerin gekleidet, mich sahen mich noch bleichere Gesichtszüge an, dunkles Haar fiel über ihre Schultern.

‚Auch Du verloren?‘ sagte sie mit schneidendem Ton. ‚Auch Du von ihm verlockt?‘ Sie riß ihr Tuch herunter und ich sah ein rothes Mal an ihrem Halse.

Mit einem Angstschrei, der mich selbst entsetzte, schlug ich vom Stuhl zu Boden.“

Einsiedel war aufgesprungen und stand ihr gegenüber; er hatte die Arme untergeschlagen, um sein laut pochendes Herz, seine zitternden Nerven zusammenzupressen, jetzt rief er:

„Du träumtest, Corona! Dies war keine Wirklichkeit!“

„Höre nur weiter,“ sagte sie matt. „Als ich die Augen wieder öffnete, stand er, mit seinen gespannten Mienen, seinem eisigen Blick, über mich geneigt.

Ich sprang auf, wehrte ihn ab und warf mich ihm, von Todesangst getrieben, um Gnade stehend, zu Füßen.

Er verschränkte die Arme und sah mit einem spöttischen Ausdruck des Triumphes auf mich nieder.

‚Gräfin Saint Germain bist und bleibst Du,‘ sagte er kühl. ‚Das Wie, darüber läßt sich handeln.‘

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 682. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_682.jpg&oldid=- (Version vom 15.1.2023)