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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

No. 46.   1884.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


„Fanfaro.“
Novelle von Stefanie Keyser.
(Schluß.)


Während Melanie in behaglicher Ruhe beim Summen des Theekessels ihren Gedanken nachhing, erklang ein Stapfen auf dem Corridor. Die Zofe öffnete die Thür und meldete die Frau Pröbstin.

„Ich wollte Sie davon avertiren, liebes Fräulein von Seebergen,“ sagte sie hereinkrückend, „daß wir den vierten Herrn zur Aufschwörung häben. Der Oberceremonienmeister des Herzogs kommt selbst. Der feierliche Act soll morgen vor sich gehen.“

Melanie wußte, daß die Pröbstin dieser Mittheilung wegen nicht selbst zu ihr herüber kam. Da mußte noch eine andere Absicht vorliegen. Mit einem leisen Bangen sah sie, wie die alte Dame sich auf dem Sopha niederließ.

Ihre Ahnung hatte sie nicht betrogen. Wie ein Bischof seinen Krummstab lehnte die Pröbstin ihre Krücke neben sich, und wie ein solcher einen jungen Geistlichen abkanzelt, der nicht auf dem rechten Wege geblieben ist, sprach sie zu Melanie: „Ich halte es für meine Pflicht, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß Sie etwas vorsichtiger im Umgange mit den Herren sein müssen. Eh, eh,“ wehrte sie mit der Krücke, als Melanie sich aufrichtete, „wenden Sie mir nicht ein, daß man in Ihren Jahren sans consequence mit denselben verkehren könne. Au contraire! Sie sind im gefährlichsten Alter und sehr gut conservirt. Man flüstert sich im Stifte zu, daß der junge Mann auffallend viel vor unserem Garten promenirt, sogar noch im Mondenschein unter den Bäumen der Allee steht, um von Weitem Ihr Fenster zu observiren. Und als ich gestern in dem Stiftswagen Visiten fuhr, lief er förmlich, um in das Fenster zu sehen. Da er mich erblickte, war er ganz stupéfait. Das Alles ist mauvais genre. Aber was kann man von einem jungen Manne erwarten, der so etwas ist wie ein Hofmeister, die zwar mit am Tische aßen in unseren Familien, aber zum Beispiel beim Hasenbraten das sogenannte Informatorstückchen – wissen Sie, das Schwarze, Verschrumpfte am Halse – erhielten. Ich weiß, daß Sie nicht an eine Mesalliance denken. Es flattirt nur, von einem jungen Manne adorirt zu werden. Aber auch schon, wenn eine Seebergen einem Informator einen Korb ertheilte, würde das ridicule sein. Und ich wünsche nicht, daß dem Stifte etwas Ridicules anhafte.“

Melanie war blaß geworden. „Gnädigste Frau,“ antwortete sie, „Sie können ganz ruhig sein. Durch mich wird dem Stift nichts Lächerliches angeheftet werden. Ich kann die niedrige Gesinnung nur bedauern, die Ihnen über meine Beziehung zu dem Doctor Gerhard, dem viel jüngeren Mann, in so entstellter Weise berichtet hat. Die Empfindungen und Eitelkeiten der Jugend liegen gleich weit hinter mir, und ich erachte es in jedem Falle als schlechtes Zeichen für das Zartgefühl einer Frau, wenn sie es bis zu einer wirklichen Abweisung kommen läßt. Aber im Namen des Fortschrittes, der die Menschheit über morsche Vorurtheile hinausführt, protestire ich gegen die Auffassung, als sei es nicht auch für eine Freiin von Seebergen eine Ehre, wenn ein deutscher Gelehrter um sie wirbt.“

„Eh, eh,“ klapperte die Pröbstin, „Fortschritt, Menschheit! Das sind demokratische Schlagworte, welche die augenblickliche Zeitströmung mit sich bringt, und die binnen Kurzem ihre Bedeutung wieder verloren haben werden.“

„Eher wird das Stift seine Bedeutung verloren haben,“ entgegnete Melanie.

„Nous verrons,“ sagte die achtzigjährige Greisin, mit einer Zuversicht, als habe sie noch eine Ewigkeit zu leben, und empfahl sich.

Melanie blieb in großer Aufregung zurück. Aber bevor sie noch die Demüthigung, die ihr widerfahren war, nach allen Seiten hatte ermessen können, schlüpfte schon wieder die Zofe herein und überreichte einen Brief, der soeben abgegeben worden war. Der Diener, der ihn gebracht hatte, wartete auf Antwort.

Melanie erkannte nicht ohne Beklemmung die Handschrift des Doctor Gerhard. Sie entfaltete den Brief und las:

 „Gnädiges Fräulein!
Das lang erstrebte Ziel ist erreicht. Ich bin als ordentlicher Professor der Philosophie an jene süddeutsche Universität berufen, von der ich Ihnen immer sprach. Und zwar habe ich diesen Ruf dem Erfolg zu danken, den meine Broschüre ‚Die Wahrheit über das Wesen der Liebe‘ gehabt hat. Die Ironie des Schicksals hat es so gefügt, daß ich für meine Arbeit Anerkennung in dem Augenblick ernte, in welchem ich einsehe, daß ich von falschen Voraussetzungen ausging und zu falschem Schluß gelangte. Ich weiß jetzt aus Erfahrung, daß kein Forschen und Wissen uns gegen die Macht der Liebe schützt. Und einmal unsicher geworden in meinen Combinationen, traue ich mir nicht mehr zu, eine Frage allein lösen zu können, die jetzt mein ganzes Sein erfüllt, und bitte Sie, mir hierin beizustehen.

Glauben Sie, daß man die Hoffnung hegen darf, von einer Frau geliebt zu werden, wenn diese sich stets selbstlos in unsere Interessen mitversenkt? Die Natur des Weibes bedingt ja, sich für den Mann, den sie liebt, zu opfern, während wir bestrebt sind, der Geliebten die Signatur unseres Geistes aufzuprägen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 749. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_749.jpg&oldid=- (Version vom 14.12.2022)