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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

herunter streichend, darüber ihr rundliches, stets heiteres Gesicht mit den blitzenden dunklen Augen – so sehe ich sie noch und höre noch immer die bekannten Redensarten, die sie von Preußen mit herüber gebracht hatte: ‚Wie geht’s, Frau Meier? Papa mobil? Kinder mobil?‘ Alles mobil? Womit sie sagen wollte, ob die Familie gesund sei?

Auch eine andere Redensart hatte sie, die mich manche Thräne gekostet und manch heimliches Fäusteballen veranlaßte. ‚Es ist kein’ Schneid darin,‘ sagte sie, wenn ihr eine Sache nicht gefiel; ach, und wie oft hat sie es von mir gesagt! – Meine Mutter! Aber gut war sie doch, sie verstand es nur nicht anders, und der sonderbar stille, immer verträumte kleine Gesell mußte ihr wie ein recht unnützes Etwas in der Welt erscheinen. Besonders neben dem Friz; der war ein Bengel, so roth und weiß, mit den blizenden Augen der Mutter und dem dunklen Kraushaare, und so voll des übermüthigsten Lebens, daß es sich nicht zu lassen wußte in Seele und Leib und im unbändigsten Gebahren nach außen trieb. ‚Da ist Schneid drin!‘ sagte die Mutter zum Vater, wenn sie den Buben nach Herzenslust abgeprügelt hatte für irgend einen dummen Streich, und ihre Augen lachten vor Seligkeit.

Jungen und Prügel gehören zusammen, denn wenn so ein Bub nicht im Stande ist, sich eine Tracht Schläge zu verdienen, ist er ein Waschlappen und bleibt es – so war ihre Meinung; und ich – ich verdiente keine Prügel, absolut nicht; man konnte doch unmöglich den Jungen dafür strafen, daß er so mäuschenstill mit seinem Spielzeug einhersaß oder, was ihm das Allerliebste, auf den Stufen der Hausthür über seinem Bilderbuch träumte, nur dann und wann einmal einen fremden Blick thuend in die lärmende Schaar, die unter Anführung des Bruders im lautesten Gejohle um den steinernen immer sprudelnden Brunnen und über den Marktplatz stürmte, wenn sie, wie üblich, Franzosen spielten oder Räuber und Gensd’arm.

In der Schule hielten wir uns aber tapferlich neben einander, der Fritz und ich, obgleich ich drei Jahre jünger war. Eines Abends, als wir nach geschlossenem Geschäft in der Ladenstube saßen, an dem runden Tisch mit unseren Schulaufgaben beschäftigt, sagte der Vater, der schweigend und nachdenklich seine Pfeife ge- raucht: ‚So wird’s am besten, Karoline; der Friedrich wird ein Kaufmann unserer Branche, und der Hans mag studiren.‘

‚Ich meine, das Geschäft nährt Zwei,‘ erwiderte die Mutter, ihm einen ärgerlichen Blick zuwerfend.

‚Hat vorläufig noch keine Eile, Lienchen!‘ Und der Vater im geblümten Zitzschlafrock, mit dem langen Weichselrohr im Munde und dem gestickten Hauskäppchen auf dem Kopfe, schlug freundlich die Mutter auf die Schulter und ging in die Sonne zum Abendbier, just in das Stüblein, wo wir heute gesessen. Auf der Mutter Gesicht aber wechselte Röthe und Blässe, es mußte sie mächtig erregt haben.

‚Kommt einmal her, Ihr Jungen!‘ rief sie. Und als wir vor ihr standen, da zog sie uns nahe heran und hielt jeden von uns mit einem Arme umfaßt, nur daß der Friedrich auf der Herzensseite stand.

‚Sagt einmal an, was wollt Ihr werden? Du zuerst, Friedrich!‘

Der Fritz wiegte den Lockenkopf, sah zu den Balken empor, um den Augen der Mutter auszuweichen, schlug mit den Hacken aus wie ein übermüthiges Füllen und that, als ob er sich sehr besinnen müsse. Endlich erklärte er: ‚Wenn es so Räuber geben thäte wie der Rinaldini, am liebsten dann ein solcher; wenn aber das nicht – na, dann Soldat, um die Franzosen über den Kopp zu hauen.‘

‚Dummer Junge!‘ rief meine Mutter und gab ihm eine Ohrfeige, ‚meinst Du, der Mensch ist nur in der Welt, um zu raufen?‘ Aber ihre Augen sahen dennoch mit leidenschaftlich zärtlichem Ausdruck in sein blühendes Gesicht.

‚Na, dann meinetwegen Ellenritter,‘ gab er zu.

‚Ich werde gleich die Elle auf Deinem Rücken tanzen lassen, Du nichtsnutziger Spottvogel!‘ Und sie strich ihm mit der Hand die Haare aus der Stirn und gab ihm einen Kuß. ‚’s ist ein guter Stand und ein nobler Stand,‘ fuhr sie lobend fort; ‚ein Soldat ist ein Unding im Frieden, und der Napoleon ist todt, – kann lange dauern, bis der zweite kommt. Und nun Du, Hans?‘ Sie wandte mir ihr ernst gewordenes Antlitz zu; ‚sieh, nun sag’ ’mal was recht Gescheidtes!‘

Mein Herz war zum Ueberlaufen voll und pochte in raschen Schlägen. Unwillkürlich faltete ich die Hände in einander; wie in purpurrothem Nebel sah ich nur noch das ernste Frauengesicht vor mir. Ich wollte eine Bitte stammeln, eine Bitte, die mein ganzes Sein erfüllte, aber ich brachte nur stockend und leise die Worte heraus: ‚Magister Schröder –‘

Ein schallendes Gelächter der beiden Geschwister tönte mir in die Ohren, und die schreiende Stimme des Bruders hob an:

‚Schnipp, schnapp Magisterlein
Hat zwei Stelzen statt der Bein;
Magister zieh die Strümpfe stramm,
Weil wir heute Wäsche han.‘

Die Mutter aber hatte mich mit einem Ruck losgelassen, war aufgestanden und kehrte mit der Elle aus dem Laden zurück, die sie uns Kindern drohend wies. ‚Ruhe!‘ gebot sie, ‚oder –‘; und sie setzte sich wieder und zog mich noch näher zu sich.

‚Also ein Tagedieb möchtest Du werden, Hans?‘ fragte sie. Seltsam unheimlich klang mir ihre Stimme. ‚Ein Mensch, der sich den Kopf mit lauter gelehrtem Kram vollstopft, der Keinem auf der Welt etwas nützt! So ein armes überstudirtes Gespenst zu sein, scheint Dir begehrenswerth?‘ – Und da ich schwieg, fuhr sie fort: ‚Statt frischer, gedeihlicher Arbeit – das Brüten über staubigen Büchern in dumpfer Stube; statt eines gesunden Körpers – abgemagerte Glieder! Bengel, woher hast Du die unglückliche Idee? Aber, nicht wahr, ’s ist nicht Dein Ernst?‘ schmeichelte sie, ‚Du hast Dein Mütterchen foppen wollen, wie es der Fritz gethan mit den Räubern?‘

Ich schüttelte den Kopf und sah sie an, und die Thränen liefen mir über die Wangen.

‚Ich hatt’ immer gemeint – da draußen über der Hausthür – sollte einmal stehen: ‚Gebrüder Rüdiger‘,‘ flüsterte sie vor sich hin.

‚Plärre nicht, Junge!‘ fuhr sie mich dann plötzlich an und stieß mich zurück; ‚hätt ich Dir die Elle zur rechten Zeit zu kosten gegeben, wahrscheinlich hättest Du mehr Schneid’ in Dir. Vorwärts, geht zu Bette; das Weitere wird sich finden!‘ Und marsch, mußten wir hinaus.

Wir gingen, und ich warf mich auf mein Lager; der Kopf brannte mir vor tausend Gedanken, und die Sehnsucht wollte schier überhand nehmen nach – ja, ich konnte kaum Namen dafür finden.

Wie ich auf den ‚Magister‘ gekommen? Ach, das ist ja das beglückendste Geheimniß meiner Kinderzeit! Er war eines Tages in den Laden getreten und hatte in seiner gewöhnlichen freundlichen Art ein Stück des feinsten Tuches zu einem damals modischen Frack gekauft, und ich hatte das Paket eine halbe Stunde später nach der Zimmergasse in sein Haus tragen müssen.

Der Magister war ein alter Herr dazumal schon; er vertrat die Stelle eines Vorlesers bei der Fürstin Anna Katharine, die zu jener Zeit ein freudenloses, einsames Wittwenleben im Schlosse drüben führte. Eine hochgebildete Frau, mit dem geistreichen Hofe zu Weimar stets nahe liirt gewesen und Freundin Goethe’s, hatte sie ein fast schwärmerisches Interesse für Literatur und Kunst, einen starken Hang zur Philosophie, und ihr treuer Führer bei diesen Streifzügen auf das Gebiet des Schönen und Erhabenen war der Magister Schröder. Aeußerlich spielte er eine wunderliche Figur; er war mit seiner Toilette noch halb in dem verwichenen Jahrhundert verblieben, denn seine dürren Beine steckte er noch immer in schwarzseidene Strümpfe und Schnallenschuhe, während sein Obertheil den unkleidsamen Frack mit den hochgepolsterten Aermeln und blanken Knöpfen der neuesten Mode acceptirt hatte. Weil dies nun gar komisch zusammenpaßte und weil die schwarzseidenen Strümpfe in allerlei traurigen Falten herabhingen, so fehlte es nicht an mancherlei Neckereien. Mein Ideal aber war und blieb er; was kümmerten mich die bespotteten Strümpfe? Ich sah nur das feine blasse Antlitz und jene zwei großen nachdenklichen Augen, aus denen seine schöne Seele sprach. Er ist mein Wohlthäter geworden, denn ohne ihn –“ Der Erzähler stockte plötzlich. „Doch ich wollte ja berichten, wie ich seine Bekanntschaft machte.

Ich war mit meinem Paket bei glühender Sommerhitze durch die Straßen getrabt und in das kühle Haus des Magisters getreten; ein prächtiger weißer Pudel war mir da entgegen gekommen, sonst Niemand. Ich ging durch den Hausflur, über den Hof und,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 819. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_819.jpg&oldid=- (Version vom 18.12.2022)