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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)


Thüren, daneben aber der hohe venetianische Ankleidespiegel der gnädigen Frau mit großen glänzenden Lampen zu den Seiten und einem weichen Pelzteppich davor. Sie blickte im Vorbeigehen in den Spiegel, und auf dem Rückwege wieder. Die gnädige Frau hat ungefähr meine Statur, dachte sie, aber sie ist lange nicht so hübsch, und ist’s nie gewesen. Ja – wenn sie nicht so schöne Kleider anzuziehen hätte, und den blitzenden Schmuck …

Sie fand nichts zu thun und setzte sich wieder in ihren Lehnstuhl am Ofen. Sie zog den Roman heran, las ein paar Seiten, durchblätterte die Schlußcapitel. Die Augenlider waren ihr so schwer, der Mund verzog sich in immer kürzeren Pausen zum Gähnen. Sie stützte den Kopf in die Hand, nickte ein, raffte sich gewaltsam wieder auf und brachte sich in eine andere Lage. Aber in der nächsten Minute schon – –

Nein! so geht’s nicht weiter. Die Stunden sind nicht herumzubringen. Sylvester! Da will man sich amüsiren. Womit amüsirt man sich, wenn man so mutterseelenallein ist? Ah! man ist nicht allein, wenn man in den Spiegel sieht. Die Toilette der gnädigen Frau. Es ist ein so unschuldiges Vergnügen, sich ein klein wenig mit seinem lieben Ich zu beschäftigen. Kann man in ungefährlicherer Gesellschaft sein?

Sylvesterspuk.
Originalzeichnung von Alexander Zick.

Der Gedanke erfaßte sie so blitzartig, so zwingend – und sie konnte nicht widerstehen. Sie eilte leichten Fußes in’s Schlafzimmer, zündete die Lampen zu beiden Seiten des Spiegels an, trat vor, trat zurück, beugte das blonde Köpschen nach rechts und nach links, hob und senkte das runde Kinn, lachte und zeigte die weißen Perlzähne, blickte schwermüthig und nickte zu ihrem Bilde hinüber. Ein ganz niedliches Gesicht, eine zierliche Figur – ja wohl! wir beide dürfen es einander eingestehen. Wer sonst sieht darnach? Wenn man ein armes Mädchen ist … Ja, wäre ich die gnädige Frau und könnte mich frisiren lassen, wie sie, und mit Blumen putzen und in Seide kleiden und mit Schmuck behängen –! Da solltest du Augen machen – du da!

Und kaum war’s gedacht, so nestelten die spitzen Fingerchen auch schon um Zopf und an dem Scheitel. Wie sie nur so schnell Kamm und Bürste in die Hand bekommen hatte? Wie gefällig sich die Löckchen über der Stirn kräuselten, wie gut die Flechten gelangen, wie stolz die Frisur sich aufbaute! Eine rothe und eine weiße Rose noch! Da stand ja der Carton, in dem die gnädige Frau ihre Blumen aufbewahrte, man braucht den Deckel nur abzuheben. Da! Dieses Sträußchen paßt trefflich – nein, dieses noch besser – und dieses gar … das kleidet entzückend.

Aber das garstige dunkle Wollenkleid dazu, und das einfache glatte Krägelchen –! Dazu gehört eine seidene Robe – hellblau oder weiß, mit luftigen Spitzen garnirt – und die Schultern …

Ob die gnädige Frau den Schrank wirklich verschlossen hat? Sie läßt manchmal den Schlüssel stecken. Wollen einmal sehen. Was thut’s denn? Nur des Spaßes wegen – und weil heut’ Sylvester ist! Sie erfährt ja doch nichts davon. –

Ach –! welche Herrlichkeit! Man merkt’s gar nicht so, wenn die gnädige Frau selbst sich damit geputzt hat. An ihr ist man’s gewohnt. Wenn ich aber … Welche Robe wähle ich nur? Die eine übertrifft immer die andere. Doch kleiden sie sicher nicht gleich gut. Pah! versuchen wir sie nach der Reihe! Das amüsirt am besten – und wir haben ja Zeit.

Dies Feuerroth ist doch zu auffallend … dieser weiße Atlas – wunderschön! aber man muß sich dazu schminken … Das hellblaue Kleid – ! Es sieht so einfach aus, und doch ist der Stoff der kostbarste. Und die Einsätze – und die Spitzen! Ja, das – das! – du gefällst mir, Mariechen – du siehst sehr nobel aus – wirklich sehr nobel …

Und sie verbeugte sich vor dem Spiegel, ließ sich tief nieder und erhob sich in einer Bogenlinie, blickte schelmisch über die weiße Schulter, drapirte sich mit einem luftigen Shawl, spielte mit dem Fächer von geschnitztem Elfenbein und gemalter chinesischer

Seide. Die Toilette ist vollständig – es fehlt nur der Brillantschmuck.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 853. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_853.jpg&oldid=- (Version vom 26.3.2019)