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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

im „Schwabenspiegel“ (aus den sechsziger oder siebenziger Jahren des 13. Jahrhunderts), wo außerdem noch den wegen Raub, Diebstahl oder Falschmünzerei zum zweiten Mal Angeklagten der Reinigungseid verweigert und dafür die Wahl gelassen wird, das Wasserurtheil zu bestehen oder das heiße Eisen zu trage oder in einen wallenden Kessel zu greifen bis an den Ellenbogen.

Von einer Anwendung der Wasserprobe gegen Zauberer und Hexen im Mittelalter ist, in Europa wenigstens, nichts überliefert. Aus Indien berichtet der arabische Reisende Mohammed ibn Batuta, daß im Jahre 1330 eine Frau, die im Verdacht stand, einem Jüngling durch den bösen Blick das Herz in der Brust verzehrt zu haben, mit vier Tonnen voll Wasser an Händen und Füßen in einen Fluß geworfen und, da sie nicht untersank, verbrannt wurde. Erst im 16. Jahrhundert lassen sich Fälle dieser Art in Deutschland nachweisen, die frühesten in Westfalen, dann in Lothringen, den Niederlanden, Frankreich und England.

Das Hexenbad geschah meist öffentlich. Die Angeklagte wurde entkleidet und kreuzweis gebunden, so daß der rechte Daumen an der linken großen Zehe, der linke Daumen an der rechten großen Zehe festgeknüpft war. So wurde sie an einem Seil mit dem Rücken auf das Wasser hinabgelassen; war sie eine Hexe, so schwamm sie „wie Pantoffelholz“. Häufig findet sich in den Acten die Angabe, der Teufel habe der Hexe versprochen, ihr bei der Wasserprobe mit einer Eisenstange zum Sinken zu verhelfen; er habe ihr aber im entscheidenden Augenblick zum Hohne nur eine Nähnadel gebracht. Auch hier hatte wieder der Henker in der Art, wie er die Gebundene auf das Wasser legte, den Erfolg der Probe in der Hand. Theologen und Juristen aber bewiesen die Unfehlbarkeit dieser Procedur mit der Heiligkeit, welche dem Wasser durch seine Verwendung bei der Taufe verliehen werde, sodaß es Alles, was durch die Berührung des Teufels befleckt sei, von sich stoße. Es ist offenbar, schrieb der gekrönte Hexenhenker Jacob I. von England, Gott hat als ein übernatürliches Zeichen von der ungeheuerlichen Gottlosigkeit der Hexen angeordnet, daß das Wasser diejenigen in seinen Schoß aufzunehmen widerstrebt, welche das heilige Wasser der Taufe von sich geschüttelt haben. Dazu kam, daß man den Zauberern überhaupt wegen ihrer angeblichen Fähigkeit, durch die Luft zu fliegen, ein geringeres specifisches Gewicht zuschrieb. Schon die alten Griechen hatten den wegen ihrer Zauberkünste berüchtigten Thibiern am Schwarzen Meere nachgesagt, daß sie im Wasser nicht untersinken könnten.

Lange nachdem die Gottesurtheile im Civil- und Criminalproceß abgeschafft waren, erhielt sich die Wasserprobe als vorläufige Prüfung im Hexenproceß, obgleich sich früh schon gewichtige Stimmen dagegen erhoben. Die Universität Leyden gab schon im Jahre 1594 ihr Gutachten dahin ab, daß die Wasserprobe in keiner Weise als Beweismittel gelten könne; das häufige Obenschwimmen der Angeschuldigten erkläre sich aus der Art, wie sie kreuzweis gebunden gleich kleinen Schiffchen mit dem Rücken auf das Wasser zu liegen kommen. Auch in Frankreich wurde dieses Ordal, das man dort gegen geringe Leute in einer Kufe voll Wasser anzuwenden pflegte, durch einen Beschluß des Parlaments von Paris im Jahre 1601 verboten. Dennoch unterwarfen sich noch 1696 einige Verdächtige zu Montigny bei Auxerre freiwillig der Wasserprobe und ließen sich darüber eine notarielle Urkunde ausstellen. In den österreichischen Gesetzen wurde gleichfalls schon im 17. Jahrhundert die Wasserprobe „als eine verborgene, ungewisse, teuflische, Gott versuchende Anzeige“ ausgeschlossen. Dafür ließ aber der bayerische Oberst Hans Sporck im Jahre 1644 zu Schwäbisch-Hall eine Reihe von Soldatenweibern binden und zur Probe in den Kocher werfen! In Westpreußen fanden die amtlichen Hexenproben noch im ersten Drittel des vorigen Jahrhunderts statt. Damals kam eine ehrliche Frau aus Bischofswerder in den Ruf der Zauberei, weil ihr Vieh durch ihren Fleiß auffallend wohl gedieh. Im Gefühle ihrer Unschuld beredete sie ihren Mann, mit ihr nach Grunau im Kreise Flatow zu fahren, und unterzog sich dort mit anderen Verdächtigen der Wasserprobe. Allein zu ihrer größten Scham und Bestürzung schwamm sie sammt den übrigen und kam beim Volke erst recht in’s Geschrei. Die Herrschaft aber war verständig genug, trotzdem an ihre Unschuld zu glauben und sie unbehelligt zu lassen.

Im Jahre 1721 verbot der König Friedrich Wilhelm I. alle Hexenprocesse. Dennoch spukte der Unsinn noch lange und nicht blos in den Köpfen des niederen Volks. Von jeher haben die meisten Menschen an den Vorstellungen, welche ihnen in der Kindheit beigebracht worden sind, mit einer Pietät festgehalten, die alle Kritik ausschließt. Gewiß sind darunter jederzeit sehr ehrenwerthe, sehr wohlmeinende, oft auch sehr geistreiche Männer gewesen, und die von ihnen vertretene Tendenz des Beharrens hat als mäßigendes Element auf den Gang der menschlichen Entwickelung im Ganzen vortheilhaft gewirkt. Aber ebenso sicher ist, daß, wenn sie einzig maßgebend wären, die Menschheit noch nicht einmal die Culturstufe des Australnegers erreicht hätte. Jeder Fortschritt, und handelte es sich auch um die Abschaffung der elendesten Mißbräuche, mußte diesem conservativen Theile der Menschheit in heißem Kampfe abgerungen werden. Es darf uns daher nicht wundern, daß selbst die Hexenprocesse, die Tortur und die Wasserprobe noch lange ihre überzeugungstreuen Vertheidiger gefunden haben.

Noch im Jahre 1787 machte der katholische Pfarrer von Parchow bei Bütow in Pommern eine Eingabe an den König Friedrich Wilhelm II., in welcher er über die bedrohliche Zunahme der Hexerei und Besessenheit in dortiger Gegend klagte und die allerunterthänigste Bitte stellte, Seine königliche Majestät möchte „ohne Verzug denen Besitzern des Dorfes Zukowke wie auch zu Parchow gnädigst schwimmen befehlen“; denn dieses sei das einzige allerbeste Mittel, die Zauberer, als welche wie die Enten schwimmen und nie zu Grunde gehen, zu erkennen. Der Eingabe war ein Namensverzeichniß der Hexen und Zauberer beigelegt. Unter Parchow stand der Vermerk: „Es werden sich aber allhier noch mehrere Zaubere und Zauberer finden; nur muß das ganze Dorf geschwommen werden.“

Diese Bitte wiederholte im September desselben Jahres ein benachbarter Edelmann, der in seinem seltsamen Deutsch dem Könige folgendes traurige Erlebniß zu klagen hatte: „Ew. Majestät werden es zu Gnade halten; ich bin dieses Jahr den 3. Mai bei einem Freimann (einem freien Bauern) Namens Michel N. N. auf die Hochzeit invitieret, da nicht hingehen wollte. Der Mann hat nicht abgelassen, da endlich hingangen. Wie ich zum Essen aus einem Spitzglas Branntwein trunk, kam mir was in den Hals, ging aber herunter. Um ein Weilchen nahm ich wieder einen Schluck aus demselbigen Spitzglas; da kam mir wieder was in den Hals und blieb stehen, und das Vorige, was heruntergangen, kam auch wieder in die Höhe und conjungierten sich recht im Schlucks, und das habe ich vorerst nicht ‚effomiret‘ (evomirt); aber nach und nach ward das immer schlimmer, und habe im Hals Brennen und Reißen und theils in der Brust und eine sehr große Beängstigung und eine erstaunende Plage. Also nach aller Absicht weiß ich nicht anders, als daß mir in dem Branntwein angeflogen, einen bösen Geist einzutrinken. Der Geist ist wie ein Nebel. Der Teufel thut sonst keinem Menschen nichts; aber die Leute, so mit dem Teufel Pacta haben, die befehlen ihm, daß er das thun muß. – Ich bin ein Mann 68 Jahr alt und habe das Unglück erlebet und die Plage. Als komme mit flehender Bitte an Ihro Majestäten, ob der Michel N. N. nicht wegen der bösen That, die mir geschehen, in seinem Hause die Freiheit und die Erlaubniß bekommen kann, zu untersuchen. Das Wasser ist heilig, die Wasserprobe ist gerecht. Kein Zauberer wird nicht ersaufen, noch zu Grunde gehen. Ein Zauberer hat Teufelszeichen am Leibe wie ein Schwamm; wenn er bestochen wird, hat keine Fühlung. Ein guter Mensch, ein Gotteskind, wenn das auf’s Wasser geschmissen wird, geht gleich unter. Seliger Andenken hoher Monarchen, hochseligen König Majestäten Friedrich Wilhelm Regierung sind noch Protocolla vorhanden, daraus deutlich zu ersehen, was das für eine Beschaffenheit damit hat.“

Solches schrieb der gute Freiherr im Jahre, da Goethe die „Iphigenie“, Schiller den „Don Carlos“ vollendete, sechs Jahre nach Lessing’s Tod und nach Kant’s „Kritik der reinen Vernunft“!

Aber leider hat unser culturstolzes 19. Jahrhundert kein Recht, auf die Thorheit des 18. pharisäisch herabzusehen. Die Gluth der Hexenbrände glimmt noch immer unter der Asche fort. Der Teufelswahn hat noch zahllose Anhänger. Von den Dämonen des Aberglaubens vor Allem gilt Schiller’s Wort:

„Leicht aufzuritzen ist das Reich der Geister;
Sie liegen wartend unter dünner Decke,
Und leise hörend stürmen sie herauf.“

Daß bei den Serben und andere halbcivilisirten Völkern noch immer Frauen als Hexen geschwemmt werden, darf uns nicht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 858. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_858.jpg&oldid=- (Version vom 4.3.2023)