Seite:Die Gartenlaube (1885) 179.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

nächsten Jahrhunderten sind die Begriffe Stadt und Veste identisch.

Man beschränkte sich aber nicht mehr auf den Bau möglichst unzugänglicher Bollwerke, sondern befestigte solche Plätze, deren Sicherung sich aus irgend einem Grunde besonders empfahl und die sich zugleich zum Betriebe von Handel und Gewerk gut eigneten.

Schon im Alterthum waren die Kultusstätten zuerst Mittelpunkte lebhaften Handelsverkehrs geworden, die Festversammlungen auf geweihtem Boden sahen die ersten Märkte. Hier lernten die von allen Seiten Zusammenströmenden die erfreuliche Mannigfaltigkeit der Naturprodukte und der gewerblichen Erzeugnisse kennen, hier vollzog sich der Umtausch mit Sicherheit und Ordnung. Das Heiligthum von Delphi, der Apollotempel zu Delos, das Artemision zu Ephesos waren Ausgangspunkte bedeutenden Handels, denn zumal bei den Griechen durchdrangen sich religiöser Sinn und Handelsgeist in merkwürdiger Mischung.

Ebenso verdanken im Mittelalter dem Zusammenwirken dieser heterogenen Elemente viele Städte Ursprung und Wachsthum. Um Kirchen und Klöster, zumal Bischofssitze, sammelte sich zuerst wieder eine gewerbsfleißige Bevölkerung; wunderthätige Reliquien zogen gläubige Wallfahrer und diese hinwieder Handwerker aller Art und Kaufleute herbei. So wurde die Kirche oder das Kloster Mittelpunkt von Frohnhöfen, Kaufhäusern und Handwerkerwohnungen, auch Felder, Wiesen und Nutzgärten gehörten noch zum Weichbild. Der Spruch: „Unterm Krummstab ist gut wohnen!“ kann nicht für die Zeiten eines verlotterten Partikularismus und der dadurch verschuldeten politischen Stagnation, wohl aber für die frischen Anfänge des deutschen Städtelebens Geltung beanspruchen.

Auch bei den Burgen der Fürsten, insbesondere den königlichen Pfalzen, entfaltete sich ein reger friedlicher Verkehr. Hier gingen und kamen Gäste, Gesandte, Beamte, Domänenpächter, Bittsteller, hierher kamen auch, angelockt durch Aussicht auf Beschäftigung und Gewinn, Künstler und Handwerker, damit war die Grundlage städtischen Wesens geboten, und der Wunsch der Fürsten, ihrer Umgebung besondere Vortheile einzuräumen, kam der eigenthümlichen Neugestaltung zu Gute.

Anderer Städte Entstehung ist lediglich auf die Bedeutung des Platzes für den mehr und mehr gesteigerten Handelsverkehr zurückzuführen. Die vortheilhaft gelegenen Stationen der wichtigeren Handelsstraßen wurden naturgemäß im Laufe der Jahrhunderte merkantile und politische Centralpunkte. Zu den ältesten Ansiedlungen gehören die vielen Furtstädte (Furt = trajectum), zu den am raschesten entwickelten die Brückenstädte. Wo man aus der Ebene ins Gebirge trat, wo man in sicherer Bucht die Schiffe ans Land ziehen konnte, wo eine Isthmusbildung den Verkehr herbeilockte, wo werthvolle Naturprodukte in reicher Fülle gefunden wurden, drängte das Bedürfniß zur Anlage von Städten, deren volkswirthschaftliche Bedeutung in eben dem Maße wuchs, wie die geographische Lage zugleich Sicherheit und Verkehr begünstigte.

Ein wesentliches Moment für Erhebung einer Niederlassung zur Stadt war die Verleihung des Marktrechts. Das Wort Stadt selbst scheint durch Ellipse aus Kauf-Statt hervorgegangen zu sein.

Ursprünglich war die Verleihung des Marktrechts den Königen vorbehalten, später nahmen auch Fürsten und Bischöfe die Berechtigung in Anspruch. Insbesondere die vielen Kirchenfeste gaben Anlaß zu Handelschaft, das Wort Messe selbst wurde identisch mit Markt, auch das in Bayern übliche „Dult“ (ahd. tuld) bedeutete ursprünglich Kirchenfest. Die durch die Marktprivilegien eingeräumten Vortheile bestanden in gewissen Zollfreiheiten und in Aufhebung der sonst den Verkehr beschränkenden Verbote und Maßregeln. Um zu beweisen, welchen Einfluß auf die Entwickelung des Städtewesens solche periodische Zusammenkünfte der Kaufmannschaft ausübten, braucht nur an die Namen Frankfurt und Leipzig erinnert zu werden.

Anfänglich waren noch viele Handwerker Leibeigene, aber bald verwischten sich die Unterschiede der Geburt, und im schirmenden Bann der „heiligen Mauern“ fanden die Germanen wieder, was mit der Ausbildung des Feudalwesens fast untergegangen war: die Freiheit. Aus Adeligen, die von ihren Burgen niederstiegen und sich gewinnbringenden Handels- und Wechselgeschäften zuwandten, aus fürstlichen Ministerialen, freien Handwerkern und ehedem von Hof oder Kirche abhängigen Hörigen entwickelte sich ein freies, selbständiges Bürgerthum. Der zum Schutz von Hab’ und Gut von Allen geforderte Waffendienst ließ Selbstbewußtsein und Kraftgefühl erstarken, Selbstverwaltung und Selbstbesteuerung wurden von den Landesherren erkauft oder erkämpft, für jede Art von Betriebsamkeit, Kunst und Bildung bot städtisches Wesen Zuflucht und Förderung.

„Näher gerückt ist der Mensch an den Menschen, enger wird um ihn,
0 Reger erwacht, es umwälzt rascher sich in ihm die Welt;
Sieh, da entbrennen im feurigen Kampf die eifernden Kräfte,
0 Großes wirket ihr Streit, Größeres wirket ihr Bund!“

Die Epoche großartiger kulturhistorischer Bedeutung der Städte beginnt mit der Hohenstaufenzeit. Nicht durch den Schutz, sondern geradezu gegen den Willen der mächtigen Kaiser! Denn diese übertrugen die Abneigung gegen ihre hartnäckigsten Widersacher, die nach unbeschränkter Autonomie strebenden italienischen Kommunen, auf das Städtewesen überhaupt. Friedrich Barbarossa erleichterte zwar die Emancipation der Städte von den Territorialherren, strebte aber, durch Verbot von Bündnissen der Gemeinden unter einander und mit Fürsten ihre politische Kräftigung niederzuhalten. Der dem staufischen Hause nahverwandte große Geschichtschreiber Bischof Otto von Freising spricht mit höhnischer Geringschätzung von den unsauberen Volkselementen, die zum Bürgerverband, ja sogar zur Ehre ritterlichen Waffendienstes Zutritt verlangten. Wenn endlich unter Friedrich II. die Republikanisirung der hervorragendsten Gemeinwesen völlig zum Durchbruch kam, so glückte dies nur in Folge der Ohnmacht des Kaiserthums, das vergeblich bemüht war, die Einwirkung des italienischen Vorbilds auf die deutschen Verhältnisse zu hindern.

Im Gegensatz zur staufischen Politik waren die Welfen eifrige und einflußreiche Freunde des Städtewesens. Insbesondere Heinrich’s des Löwen Kolonisirungsthätigkeit in den an Sachsen anstoßenden slavischen Elb- und Odergebieten ging mit Anlage von Städten Hand in Hand. Vor Allen überflügelte Lübeck, Heinrich’s Schöpfung, alle germanischen und slavischen Kulturstätten des Nordens.

Auch im Süden ist die Geschichte einer der angesehensten Städte mit dem Namen des Welfen verknüpft: einem Akt trotziger Selbsthilfe des mächtigsten Vertreters des deutschen Partikularismus verdankt München seine Entstehung.

Bei Veringen (Oberföhring) an der Isar, eine Stunde von der heutigen Hauptstadt Bayerns entfernt, hatte der Bischof von Freising eine Zollstatt, die besonders reiche Einkünfte gewährte, weil alle von den Soolen und Salzbergwerken der bayrischen Voralpen kommenden Fuhrwerke auf der Föhringer Brücke die Isar überschreiten mußten. Auch Markt- und Münzrecht nahm der Kirchenfürst für sich in Anspruch. Herzog Heinrich aber erblickte in so selbständigem Auftreten eines Bischofs innerhalb seines Herzogthums eine Beeinträchtigung seiner landesherrlichen Rechte. Er überfiel und zerstörte die bischöfliche Niederlassung und legte – nach Riezler’s Berechnung zwischen dem letzten Viertel des Jahres 1156 und dem ersten des Jahres 1158 – flußabwärts am Gehänge des linken Isarufers Brücke, Markt und Münzstätte an. Ein Dorf Münichen, das heißt „zu den Mönchen“, bestand hier schon seit Jahrhunderten, vermuthlich von Angehörigen des Klosters Tegernsee, die dem Fischfang oblagen, bewohnt. Jetzt wurde der Ort mit Mauer und Graben umzogen; bald darauf erscheint urkundlich ein herzoglicher Mauerkommandant (Ortolf, qui praeest muro).

Auch ein Dechant und ein Richter von „Munichen“, Kaufleute, insbesondere Salzhändler, und Handwerksgenossen aller Art finden in den ältesten Schenkungs- und Stiftungsbriefen Erwähnung – ein beredtes Zeugniß raschen Wachsthums der neuen Ansiedlung! Am besten kam ihr zu Statten, daß damals noch möglichst innige Verbindung von Staufern und Welfen die Grundlage der deutschen Politik Friedrich’s I. bildete und deßhalb der Kaiser, um sich dem Herzog willfährig zu erweisen, trotz der Beschwerden seines nächsten Verwandten, Bischof Otto’s, die Aufhebung von Markt und Zoll in Föhring verfügte, dadurch also selbst das eigenmächtige Vorgehen des Herzogs sanktionirte.

Freilich änderte sich die Haltung des Kaisers, nachdem er die Erfahrung gemacht hatte, daß der übermächtige Lehensmann durchaus nicht Willens, zur Durchführung der Cäsarenpläne seines Gönners uneigennützig Opfer zu bringen. Als über den Widerspenstigen,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_179.jpg&oldid=- (Version vom 18.6.2020)