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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)


„Du wirst mich auslachen, an ein Bild denke ich, welches ich als kleines Mädchen gesehen und nie vergessen habe. Es war in herrlichen Farben an die Wand gemalt, im Stadthause in Mecheln, das früher der Palast des Erzbischofs gewesen und deßhalb so herrlich verziert war.“

„Nun?“ fragte er lächelnd, da sie innegehalten und ihn wieder nachdenklich angesehen hatte.

„Ein feuriger Wagen, von vier Rossen gezogen, obwohl ihn das Gewölk zu tragen schien. Die Pferde bäumten sich und schnoben heißen Dampf aus, wie lebend, alles so wild. Aber ganz ruhig, hell und schön stand oben auf dem Wagen derjenige, der sie lenkte, das Haupt ganz von Strahlen umglänzt, wie wohl die Heiligen auf den Bildern der Kirche, aber viel schöner, als je ein solcher gemalt worden ist. Und das war, so sagten sie mir damals, der Sonnenjüngling, die liebe Sonne selber – und so, Georg, so siehst Du aus!“

Georg vergalt ihr das Kompliment mit einem warmen Kusse. „Ja,“ sagte sie, sich sanft los machend, „Du die Sonne und ich –“

„Nun, und Du?“ fragte er scherzend. „Die holde Selene, die keusche Mondgöttin? meinetwegen.“

Sie sah ihn betroffen an, als ob er ihr die Worte aus dem Munde nehme. „Ja, ein anderes Bild war auch noch da,“ sagte sie. „Am dunklen Himmel, zwischen Sternen, stand ein umschleiertes Mädchen, mit verhülltem Haupte, über dem es wie eine kleine goldene Sichel glänzte. Nicht weiß ich, sollte sie den Mond oder die stille Nacht bedeuten.“

Er hatte sie wieder an sich gezogen, um sie zu küssen. „Du mein Mond, meine stille, süße Nacht, meine Erquickung,“ flüsterte er verliebt. Aber Hilde war noch nicht fertig und verweigerte sanft den Kuß. „Und wie sie gegen den strahlenden Sonnenjüngling, so, dünkte mich, sehe ich gegen Euch aus. Denn, Georg, sie gefiel mir gar nicht ... Der Maler hatte es mit ihr verfehlt“ – hier lachte Hilde schalkhaft. „steif und böse erschien sie, eine rechte alte Jungfer!“

Nun schalt Georg, in halb verwundertem Entzücken über eine Anmuth der Rede, die er noch bei keinem Weibe kennen gelernt hatte. „Laß Sonne und Mond, Hilde,“ rief er; „die beiden wären schlechte Schutzgötter für unsere Liebe! Der ganze weite Himmel trennt sie, sie kommen nimmermehr zusammen. Und ich meine, Dein lieber Mund, Du Böse, sollte zu dieser Stunde besseres zu thun finden, als Dich selber zu verunglimpfen.“

Er wollte sie wieder an sich ziehen, als der Schritt eines draußen, dicht am Fenster, Vorübergehenden sich vernehmen ließ. Georg horchte, während seine Hand herabsank. „Sollte das Dein Vater sein, Hilde?“ fragte er.

„Nein. Draußen geht es vorbei. Aber es ist jetzt um die Zeit, daß er heimkehren muß.“ Hilde war ganz ruhig geblieben, aber das Licht schwand aus ihrem Angesicht, als sie Unruhe und Hast sich ihres Freundes bemächtigen sah. Ihm war endlich das Verstreichen der Zeit zum Bewußtsein gekommen, und wie lästig, wenn ihn der Alte hier gefunden hätte!

„Ich muß fort, Hilde!“ Damit ergriff er sie bei den Händen und zog sie mit sich hinaus in den Flur. Nicht in der Stube, an deren Fenster Meister Lukas jetzt jeden Augenblick vorüber kommen konnte, wollte er seinen Abschied nehmen. Hilde war ihm schweigend gefolgt. Draußen fand sie sich noch einmal in seinen Armen, sie hörte sein von Leidenschaft gebrochenes Flüstern an ihrem Ohr. „Mein bist Du – mein –“ und dann war sie allein. Mit heißen Wangen und mit rasch klopfendem Herzen stand sie da, athemlos, wie Jemand, den ein mächtiger Sturm geschüttelt hat. Und jetzt streckte sie die Hand aus und griff nach der Wand neben sich, zur Stütze. So schwankte sie in die Stube hinein und dort saß sie wie halb betäubt auf der Bank nieder.

Aber der Vater kam jetzt wirklich heim. Hilde erkannte seinen Schritt draußen und stand auf, um ihm die Thüre zu öffnen. Dem Eingetretenen nahm sie Hut und Stab ab, während er ihre Hand behielt. Die Beiden trennten sich so selten, selbst nur für kurze Zeit, daß solch ein Heimkommen schon ein Ereigniß war.

„Nun, Vater, wie ist es ergangen?“ fragte Hilde. „Habt Ihr den Bürgermeister angetroffen?“

Meister Lukas hatte sich in seinen Lehnstuhl an den Tisch gesetzt, denn es war nun bald Zeit für das Abendbrot. „Freilich, und einen umgänglichen, braven und gescheiten Herrn habe ich an ihm gefunden, wie immer,“ sagte er behaglich. „Wir sind gut mit einander fertig geworden, denn wie ein kluger Regent weiß er jedem seine Ehre zu gönnen und sieht darauf, daß auch dem kleinen Manne seiner Zeit ein billiger Vortheil zugewendet werde.“

„Du sagst ja immer,“ meinte Hilde, „so lange er im Rathe der Stadt etwas zu sagen habe, werde es der Gemeinde an einem verständigen Fürsprecher nicht fehlen.“

Meister Lukas nickte. „Hast Du auch die Frau Bürgermeisterin gesehen, Vater?“ fragte Hilde, etwas leiser als zuvor. Ihr war heute jedes Wort kostbar, mit dessen Hilfe sie sich die Menschen besser vorstellen konnte, die mit einem Male eine solche Wichtigkeit für ihr Leben erlangt hatten.

„In die Stube kam sie nicht,“ erwiderte der alte Weber, „oder vielmehr, sie fuhr mit dem Kopfe zur Thür hinein, da dann ihr Herr und Gemahl sie, ein wenig herrisch wie mich dünkte, zurückwinkte. Die Frau hatte eine hastige übergeschäftige Art. Auf dem Flur hielt sie mich dann noch an, um mir zu verkünden, daß sie uns nächstens heimsuchen werde, da sie die Aussteuer beschaffen müsse. Und sie wisse, ein Gebild, wie wir es wirkten, für die großen Tafeltücher, finde man so leicht nicht noch einmal.“

Hilde hatte auf die letzten Worte nicht Acht gehabt; sie war von ihren eignen Gedanken zu sehr hingenommen. Der Vater fuhr fort: „Auch den Sohn sah ich nicht. Der Bürgermeister schickte nach ihm, als ich kam, denn er läßt, wie er mir sagte, den jungen Menschen, der ihm wohl viel Geld auf Schulen gekostet haben mag, an den Geschäften Antheil nehmen. Auch mir schien es billig, daß der Herr Georg den Verlauf unserer Sache höre, da er sich derselben neulich hier so verständig angenommen hatte. Wie es sich aber traf, hatte er gerade einen Ausgang gethan; den alten Herrn hat der Zufall recht verdrossen.“

Hilde, die eben das Tischtuch ausbreitete, hielt verwundert inne. „Sein Vater hatte ihn ja aber selber zu Dir geschickt,“ sagte sie. „Er kam und verlangte Dich zu sehen. Im Auftrage des Bürgermeisters.“

„Herr Georg Tiedemars war hier?“ Meister Lukas sah seine Tochter betroffen an.

„Ja, Vater.“

Dem alten Manne wurde das Herz schwer, als er seine Tochter bei den Worten langsam erröthen sah. „Das ist sonderbar ... im Bürgermeisterhause wußte Niemand ein Wort davon. Vielleicht –“ der Greis hatte mit den auffallend klaren, forschenden Augen noch einmal in das Gesicht seiner Tochter gesehen und fuhr nun bedächtig fort: „vielleicht kam er als ungeduldiger Bräutigam, in derselben Angelegenheit, von der seine Mutter zu mir sprach ... obwohl man freilich denken sollte, dergleichen wäre Sache der Weiber.“

„Was meint Ihr, Vater?“ fragte Hilde, mit einem qualvollen Bewußtsein davon, daß ihr heute das Verständniß ganz gewöhnlicher Worte fehle.

„Hast Du mich vorhin nicht sagen hören, Kind, daß er bald Hochzeit machen wird?“ fragte Meister Lukas dagegen. „Die Bürgermeisterin will ein paar Gedecke für den jungen Haushalt hier in der Gemeinde weben lassen. Nun, sie kann ein Stück Geld draufgehen lassen, denn da kommen viele Batzen zusammen. Des alten Külwetter einzige Tochter ist die Braut ... des reichen Kaufmanns, der Laden und Gewölbe am Schloßplatze hat.“

„Nein, Vater, die Braut bin ich!“ – Hilden war es, als müsse sie diese Worte überlaut hinausschreien – und im nächsten Augenblick schwamm und drehte sich Stube und Geräth um sie, und es brauste in ihren Ohren wie ein mächtiges Wasser. Als sie nach einigen Sekunden den Gebrauch ihrer Sinne wieder erlangt hatte, wußte sie nicht, ob sie jene Worte wirklich laut gerufen habe oder nicht. Aber ein Blick auf den Vater zeigte ihr, daß sie, Gottlob, nichts Ungewöhnliches gethan haben müsse. Er saß ruhig, wie zuvor, jetzt aber sah er sie an ... und der besorgte, forschende Blick enthielt eine Warnung für Hilden, sich zusammen zu nehmen. Mit unerhörter Anstrengung beschickte sie an jenem Abend alles, was ihr oblag, und wechselte Rede und Antwort mit dem Vater. Erst als sich, glücklicher Weise zu ziemlich früher Stunde, wie es in diesem Hause Sitte war, die Thür ihrer Kammer für die Nacht hinter ihr geschlossen hatte, da brach sie, hart an der Thür, auf den Dielen zusammen.

(Fortsetzung folgt.)


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 215. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_215.jpg&oldid=- (Version vom 15.3.2024)