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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Etage in jener Sturmnacht gesagt. Ja, heftigen Auftritten hatte er in der That entgegensehen müssen. Nun, der Tod hatte ihm diesen Zusammenstoß mit den Vorurtheilen der von ihm so sehr gefürchteten vornehmen Welt erspart, aber um welchen Preis! –

„Sie haben keine schriftlichen Beweise in Händen, sagten Sie nicht so?“ fragte sie mit halberstickter Stimme.

„Keine,“ erwiderte der alte Maler tonlos, und eine bittere Enttäuschung sprach aus dem Blicke, den er auf die plötzliche Frage hin der jungen Dame zuwarf. „Wenigstens keine solchen, die vor dem Gesetze gelten. Diese hat der Verstorbene beim Tode meiner Tochter an sich genommen; aber sie sind in seinem Nachlasse nicht zu finden gewesen, sie sind spurlos verschwunden.“

„Sie müssen und werden sich finden,“ sprach sie fest. Damit ging sie nach der Küche und kam gleich darauf, den kleinen Max an der Hand, wieder herein. „Er soll mir zeitlebens ein lieber Bruder sein,“ sagte sie bewegt, indem sie den rechten Arm um den Knaben schlang und ihre Linke wie zum Schutze auf seinen Lockenkopf legte. „Das Kind ist ein Vermächtniß meines Vaters für mich – ein heiliges! … Niemand hat einen Einblick in das Geheimniß seiner letzten Lebensjahre gehabt; nur seiner Aeltesten hat er zuletzt Andeutungen gemacht. Sie waren freilich räthselhaft für mich; aber jetzt weiß ich die Lösung. Hätte mein Vater nur noch zwei Tage gelebt, dann trüge diese arme Waise hier längst unseren Namen. … Aber ich werde nicht ruhen noch rasten, bis sein entschiedener letzter Wille, der ihm vor seinem Tode ausschließlich Kopf und Herz erfüllt hat, zur Geltung kommt. … Nein, sprechen Sie nicht mehr!“ rief sie, die Hand abwehrend gegen die kranke Frau ausstreckend, die mit dem Ausdruck des Glückes in den Zügen die Lippen öffnen wollte. „Sie müssen jetzt ruhen! Gelt, Max, die Großmama muß schlafen, damit sie bald wieder gesund wird?“

Der Knabe nickte und streichelte die Hand der Großmama. Er nahm seinen Platz am Fußende des Bettes wieder ein, während die junge Dame, gefolgt von Herrn Lenz, in die Wohnstube ging. Hier in dem tiefen Fensterbogen theilte er ihr zur Orientirung noch Näheres leise, in flüchtigen Umrissen mit, und sie weinte dabei still in ihr Taschentuch hinein. Die Nervenerschütterung war zu heftig gewesen, und um der Kranken willen hatte Margarete standhaft die innere Bewegung beherrscht; nun aber kam die Reaktion, und die erleichternden Thränen ließen sich nicht mehr zurückdrängen.

Ehe sie ging, sah sie noch einmal in die Schlafstube. Der kleine Max deutete auf die Kranke und legte den Finger auf den Mund – sie schlief augenscheinlich süß und fest; sie hatte die Last von der Seele gewälzt, und eine Jüngere, Starke hatte sie auf ihre Schultern genommen. –

Wenige Minuten später stieg Margarete die Bodentreppe im Packhause wieder hinauf. Sie ging wie im Traume, aber in einem sturmvollen. Es war nicht viel mehr als eine halbe Stunde vergangen, seit sie ahnungslos diese Stufen hinabgehuscht war, aber welchen Umschwung aller Verhältnisse schloß diese eine halbe Stunde in sich! … Nun war es ja klar geworden, weßhalb der Papa an ihre Kraft und Treue appellirt hatte! Einer unseligen Schwäche hatte er sich angeklagt – ja, diese Schwäche, die Furcht, daß ihn die vornehme Gesellschaft um seiner zweiten Heirath willen in Bann und Acht thun werde, sie war es gewesen, die ihm das Leben vergiftet hatte!

Sie blieb unwillkürlich stehen und sah nach dem Vorderhaus hinüber. Ein schneidender Wind pfiff durch die offene Dachluke und glitzernde Eiszapfen umstarrten wie Drachenzähne den schmalen Rundbogen. Margarete schauerte in sich zusammen, aber nicht vor der Winterkälte, die kühlte ihr wohlthuend das glühende Gesicht – ihr traten die Kämpfe vor die Seele, die sich in dem alten Hause dort abspielen mußten, bis das Recht triumphiren und der Jüngstgeborene in das väterliche Haus einziehen durfte. Und hatte die kranke Frau nicht Recht? War dieser schöne, kräftige Knabe nicht ein wahres Himmelsgeschenk für das Haus Lamprecht, das nur noch auf zwei Augen stand? – Aber was kümmerte die kaltherzige, hochmüthige alte Dame im oberen Stocke der gesicherte Fortbestand der stolzen geliebten Firma? Das Kind war der Enkel der mißachteten „Malersleute“, und das genügte, um ihr jeden Blutstropfen zu empören und sie anzuspornen, die Anerkennung der Waise so lange wie möglich zu hintertreiben. Und Reinhold, der sparsame Kaufmann, der beide Hände fest auf den ererbten Geldkasten gelegt hatte, er gab sicher keinen Groschen heraus ohne die heftigste Gegenwehr! –

Sie schritt weiter auf den Bodendielen, die unter ihren Füßen ächzten. … Ach ja, es waren nicht bloß die groben Sohlen der Packer darüber hingegangen, auch feine, beflügelte Mädchenfüße hatten huschend die ungehobelten Bretter berührt – „eine weiße Taube“ war einst hier aus- und eingeflogen. Bei diesem plötzlichen Gedanken stieg ihr eine heiße Röthe nach dem Gesichte, das sie einen Augenblick in den Händen vergrub; dann schritt sie rascher der Thür zu, die nach dem unheilvollen Gange führte – sie ahnte nicht, daß in der That das Unheil hinter dieser Thür lauere. –


25.

Im Vorderhause hatte sich inzwischen eine aufregende Scene abgespielt. Bärbe hatte den Tapezierern eine Erfrischung hinaufgetragen, und nach einem kurzen Gespräch mit den Leuten hatte sie die Thür geöffnet, um den rothen Salon zu verlassen; aber schmetternd war der Thürflügel sofort wieder zugeflogen, und die alte Köchin war mit einem Aufschrei ins Zimmer zurückgewankt. Sie hatte im ersten Augenblick nicht zu sprechen vermocht; mit der Hand nach der Thür deutend, war sie auf den nächsten Stuhl gesunken und hatte sich die Schürze verhüllend über den Kopf geworfen. Aber draußen war nun absolut nichts Besonderes zu finden gewesen, wie der eine Arbeiter versicherte, der hinausgegangen war, um zu sehen, was der robusten Alten einen solchen Schrecken eingejagt habe.

„Glaub’s gern, nicht Alle sehen’s! Ach, das ist mein Tod!“ hatte Bärbe unter ihrer Schürze hervorgestöhnt. Dann hatte sie versucht, wieder auf die Beine zu kommen; aber die waren so schwach und zitterig gewesen, daß sie eine geraume Weile auf ihrem Stuhl hatte sitzen bleiben müssen. Nur ganz allmählich hatte sie die Schürze fallen lassen und sich scheu umgesehen, und ihre gesunde braunrothe Gesichtsfarbe hatte ins Aschgraue gespielt. Aber sie war still gewesen – das waren ja fremde Leute, die Gesellen da, denen durfte man doch den Mund nicht aufsperren, die trugen’s weiter, und dann wußte in ein paar Stunden die ganze Stadt, was bei Lamprecht’s passirt war! –

Zum Glück waren die Arbeiter bald darauf mit ihrer heutigen Aufgabe fertig gewesen. Da hatte sie doch nicht allein den langen Flursaal passiren müssen. Sie war mit den beiden Gesellen gegangen, hatte nicht rechts noch links gesehen und war endlich wieder in ihre Küche geschlichen – ja ,geschlichen‘ hatte der Hausknecht ausgesagt, – wie ein Gespenst sei sie daher gekommen und auf die Aufwaschbank hingesunken. – Hier war aber ihr Mundwerk wieder flotter gegangen. Nun war sie ihr auch erschienen, „die mit den Karfunkelsteinen,“ und nun sollte nur Einer kommen und ihr ausreden wollen, was sie mit ihren eigenen Augen gesehen hatte! Er sollte nur kommen!

Und der Hausknecht sammt der alten Jette hatten „Mund und Nase“ aufgesperrt; der Kutscher war auch dazu gekommen, und just in dem Moment, wo der Friedrich gefragt hatte: „War sie auch im grasgrünen Schleppkleide, wie bei mir dazumal?“ – da war auch ein Lehrling aus der Schreibstube gekommen, um ein Glas Zuckerwasser für den jungen Herrn zu fordern.

„I bewahre – grün nicht!“ hatte Bärbe kurzathmig, aber unter energischem Kopfschütteln verneint. „Weiß, schneeweiß ist’s in dem Gange hin um die Ecke geflogen! Akkurat so muß sie im Sarge gelegen haben.“ Und daran hatte sie eine Schilderung geknüpft, die selbst dem Lehrling das Haar sträuben gemacht.

Durch ihn aber war das Geschehniß bis in die Schreibstube gedrungen. Reinhold war über das lange Ausbleiben des jungen Menschen heftig erzürnt gewesen, und da hatte sich derselbe mit dem Aufstand in der Küche entschuldigt.

Gleich darauf war der junge Herr herübergekommen. Er hatte in einem dicken Pelzrock gesteckt und seine warme Ottermütze auf dem Kopfe gehabt. „Du gehst jetzt mit mir hinauf und zeigst mir die Stelle, wo Du die weiße Frau gesehen haben willst!“ hatte er streng der an allen Gliedern zitternden alten Köchin befohlen. „Ich will doch sehen, ob man dem Gespenst nicht endlich einmal auf den Grund kommen kann! – Ihr Hasenfüße bringt mir das Haus immer mehr in Verruf – wie soll ich da Miether bekommen, wenn ich später einmal alle

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 291. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_291.jpg&oldid=- (Version vom 23.3.2024)