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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)


Hingen nun aller Blicke an dem Fürsten mit Vertrauen und Neigung, mit bewundernder Lust aber an der glänzenden neuen Erscheinung neben ihm, so war es ein ganz eigenes Hochgefühl, dem sich bei jedem Einzelnen etwas wie zärtlicher Stolz beimischte, mit welchem Alt und Jung den dem Fürstenpaare zur Seite reitenden Knaben, den „Sohn des Landes“ betrachtete. Der schien einem Jeden von ihnen anzugehören: Einer zeigte dem Anderen den herrlichen Jungen; man freute sich, wie er dem Vater und, nach der Behauptung der ältesten Leute, auch seinem kräftigen Ahn, dem Freunde des Doktor Martin Luther, wie aus dem Gesicht geschnitten war. Die Luft erbebte von dem immer erneuten Jubelgeschrei, mit dem die Menge den fürstlichen Zug begleitete, bis derselbe bei der am Eingange der Schloßgasse errichteten Ehrenpforte zuerst Halt machte.

(Fortsetzung folgt.)




Hilfe bei Ohnmachten.

Von Geheimrath von Nußbaum in München.


Unter einer Ohnmacht versteht man einen Schwächezustand, der mehr oder weniger schnell und unerwartet eintritt. Alle schwächenden Einflüsse, Blutverluste, Schrecken, Ueberreizung der Nerven etc. können eine Ohnmacht hervorrufen. Bei Ohnmachten tritt immer eine Blutarmuth im Gehirne auf, und wenn jener Centralnervenapparat, welcher im Hinterkopfe liegt, nicht mehr genügend mit Blut versorgt wird, so erlischt die Funktion der Lunge und des Herzens, worin auch bei starken Ohnmachten die Gefahr liegt. Wenn eine Ohnmacht naht, wird plötzlich das vorher vielleicht recht frisch geröthete Gesicht ganz blaß, die Lippen. werden weiß, die Augen verlieren ihren Glanz, die Pupillen werden weit, und obwohl die Augen noch offen stehen, wird den Erkrankten Alles schwarz vor den Augen, nachdem sich das ganze Zimmer um sie herum zu drehen schien. Alsbald verschwindet das Sehen gänzlich. Die hervorragenden Körpertheile: Nasenspitze, Stirn, Ohren, Hände und Füße werden kalt. Im Gesichte und dann auch auf der ganzen Körperoberfläche tritt kalter Schweiß aus, während die Erkrankten manchmal tief gähnen. Endlich geht die Kraft, sich aufrecht zu erhalten, verloren, sie sinken auf ein Sofa hin oder stürzen plötzlich auf dem Boden zusammen.[1] Je nach dem Grade der Ohnmacht verschwinden mehrere, ja sogar alle fünf Sinne, sodaß auch die Gefühlsnerven gelähmt sind und ein absichtlich auf die Haut angebrachter Reiz keinen Schmerz mehr hervorruft. Das Gehör bleibt manchmal allein recht lange erhalten, sodaß die Kranken nach ihrem Erwachen manches Gesprochene erzählen können. In schweren Fällen geht das Bewußtsein gänzlich verloren.

Wenn aber auch das Athmen aufhört und der Puls am Vorderarme nicht mehr fühlbar ist, dann hat die Ohnmacht einen sehr hohen Grad erreicht, und wenn der Puls sogar an den großen Halsgefäßen nicht mehr gefunden und beim Anlegen des Ohres an die linke Brust der Herzschlag nicht mehr gehört wird, dann ist der Zustand jedenfalls ein bedenklicher, gleichgültig, was die Veranlassung zur Ohnmacht war.

Man liest oft lustige Geschichten, daß boshafte Damen, um irgend einen Effekt zu erhaschen oder um sich aus einer Verlegenheit zu ziehen, in Ohnmacht zu fallen verstehen und unwissende und verstandesarme Männer damit einschüchtern. Erreichen solche Damen das Beabsichtigte nicht, so beenden sie meist schnell ihr garstiges Spiel. Wer nur einigen gesunden Hausverstand besitzt und ein einziges Mal eine wahre Ohnmacht sah oder auch nur die Beschreibung einer solchen las, wird Verstellung von Wahrheit sehr leicht unterscheiden. Stürzt Jemand auch noch so geschickt zusammen und verdreht Jemand die Augen noch so schauerlich, es fehlt doch die Blässe des Gesichtes und der Lippen, die von kaltem Schweiße bedeckte Stirn, die gefühllose Haut, der schwache Athem und Herzschlag.

Das Bild einer wahren Ohnmacht ist ein so ernstes und macht einen solchen Eindruck, daß es nicht schnell vergessen und nicht leicht verwechselt wird. Je länger eine Ohnmacht dauert, desto höher steigt die Gefahr, und gerade deßhalb ist es recht nützlich, daß auch Laien wissen, welche Hilfe bei Ohnmachten die beste und nöthigste ist, denn bis ein herbeigeholter Arzt erscheint, dürfte es manchmal schon zu spät sein. Man hört oft die Behauptung aussprechen, die gütige Natur habe in jede Krankheit auch schon das Heilmittel gelegt, und für viele Zustände läßt sich dieser Satz recht gut aufrecht erhalten. Die Indigestion bringt z. B. Erbrechen und Appetitlosigkeit, was gewiß auch für dieselbe schon die besten Heilmittel sind; denn wenn das Unverdaute aus dem Magen weggeschafft und einige Tage recht wenig gegessen wird, so erholt sich der erkrankte Magen schnell wieder.

Ein anderes Beispiel bildet eine Blutung. Verletzt sich Jemand die Blutgefäße des Vorderarmes und der Blutverlust wird bedenklich groß, so tritt Schwäche des Herzens ein und die Blutung steht still, weil ein geschwächtes Herz das Blut nicht mehr bis zum Vorderarme hinaustreibt. Noch manches Beispiel könnte man diesen beiden anreihen, und auch die Ohnmacht bildet keine Ausnahme. Der Ohnmächtige stürzt zusammen, kann nicht mehr aufrecht stehen und sitzen. Gerade aber die tiefere Lage seines Kopfes ist das beste Rettungsmittel aus Gefahren. Der mangelnde Puls und die unterdrückte Athmung sind bei Ohnmachten die zwei ernstesten Symptome und können, wenn sie lange andauern, das Leben in Gefahr bringen. Durch das Niedersinken der Ohnmächtigen wird aber der Kopf meist so tief gelegt, daß nach dem Gesetze der Schwere das belebende Blut wieder zu dem wichtigsten Centralnervenapparate in das Gehirn läuft und die Lebensgefahr beseitigt. Man sieht also auch hier, daß das Heilmittel in der Krankheit verborgen liegt.

Leider reicht aber die Lage der Ohnmächtigen nicht immer aus, um einen genügenden Blutzufluß zu den wichtigen Hirntheilen hervorzurufen.

Jeder Laie, der darüber unterrichtet ist, kann aber bei diesem ernsten Zustande Hilfe bringen und soll sie auch bringen, denn Alles hängt davon ab, daß die Funktion des Herzens und der Lunge nicht ganz erlischt.

Das Gefäßspstem im Körper gleicht einem Röhrennetze, dessen Inhalt das belebende Blut ist und welches, sobald die pumpende und saugende Kraft des Herzens erlahmt, nur mehr dem Gesetze der Schwere unterliegt und der tiefsten Stelle zufließt. Deßhalb sei die erste Sorge der Umstehenden, an den bereits gekennzeichneten wichtigsten Hirntheil möglichst rasch wieder belebendes Blut hinzuleiten. Man lege den Kopf recht tief und halte die Füße recht hoch, sodaß das im Körper vorhandene Blut gemäß dem Gesetze der Schwere nach dem Kopfe hinunter gedrängt wird. Legt man Ohnmächtige auf den Boden und hebt ihre beiden Füße in die Höhe, so tritt meist augenblicklich die erwünschte Wiederbelebung ein.

Ich erinnere mich an viele Fälle, wo ohnmächtige Frauen, die bereits alle Zeichen des Scheintodes boten, weder Puls noch Athem hatten und das brennende Siegellack auf der zarten Brusthaut nicht mehr fühlten, sofort die Augen aufschlugen, erstaunt um sich sahen, gähnten und zu athmen anfingen, als ich sie auf den Boden gelegt und ihre Füße hoch in die Höhe gehalten hatte. Freilich darf ich nicht zu erzählen vergessen, daß diese hoffnungsvollen Erscheinungen sogleich wieder aufhörten, als ich die Füße wieder auf den Boden niederlegte.

Der berühmte französische Chirurg Nelaton ließ ohnmächtige Kranke vollständig stürzenu, daß die Füße den höchsten, der Kopf den niedrigsten Punkt bildete. Man nennt dies heute noch Nelatonisiren, und es giebt wohl nichts, was rascher hilft.

Interessant ist, daß Nelaton durch ein Spiel seines siebenjährigen Knaben auf dieses Stürzen geführt wurde. Nelaton wohnte am Quai der Seine in Paris, und sein Haus war mit unzähligen Ratten geplagt. Dem siebenjährigen Knaben kam es

zu grausam vor, daß jeden Morgen die in der Falle gefangenen Ratten von den Bedienten erschlagen wurden; er bereitete den Ratten einen sanfteren Tod, indem er über die Rattenfalle ein dickes Tuch legte, welches er ganz mit Chloroform benetzt

  1. Es kommt wohl vor, daß auch andere Kranke, Apoplektiker und Epileptiker, plötzlich zusammenstürzen, aber solche Kranke unterscheiden sich auf den ersten Blick durch ihr stark geröthetes Gesicht, ihr röchelndes Athmen und ihren starken Puls von Ohnmächtigen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 316. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_316.jpg&oldid=- (Version vom 15.7.2021)