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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Bewegung des Kanoes genau beobachtet. Der geängstigte Mann hat mittlerweile wilde Blicke über die Schulter geworfen; er bemerkt, wie das Ungethüm, das seiner aufgeregten Phantasie immer größer erscheint, rasch herankommt, und er hört das schreckliche Geräusch der Räder, das Aechzen der Maschine und das Puffen des Dampfers. Noch einen Blick wirft er hinter sich, aber derselbe scheint ihn vollständig zu überwältigen; im nächsten Augenblicke springt er, ‚ach Gott!‘ über Bord und wir jagen an dem leeren Kanoe vorbei.

‚Uledi, Dualla! Wir wollen um die Stelle herumkehren, wo er über Bord sprang; wenn er wieder auftaucht, springt über Bord und fangt ihn.‘

Wir wandten den Dampfer um und fuhren langsam nach dem leeren Kanoe zurück, in dessen Nähe der Schwarze schwamm. Als wir in die Nähe kamen, tauchte er plötzlich unter, doch waren unsere beiden Matrosen wie der Blitz hinter ihm her. Es war ein hübscher Anblick, als die beiden graziösen Gestalten wie Haifische auf ihre Beute losstürzten; sie brachten ihn bald herauf und schwammen, ein Jeder einen Arm des Eingeborenen haltend, nach dem Dampfer. Wir hoben ihn sanft herauf und setzten ihn auf das Segel, geduldig wartend, bis sein Puls weniger wild schlage und seine fürchterliche Aufregung sich beruhigte.

‚Komm, Ankoli, sprich milde mit dem armen Mann.‘

Die liebegirrenden Worte und klagenden Töne Ankoli’s erhalten keine Antwort.

‚Versuche es noch einmal – noch sanfter, Ankoli.‘

Und wieder fragt Ankoli ihn in beruhigendem, flüsterndem Tone, wie sein Name sei.

‚Was habt Ihr mit mir vor? Es sind in unserem Dorfe viele bessere Leute als ich.‘

‚Wieso bessere Leute?‘ frage ich. ‚Was meint er?‘

‚Er meint,‘ sagte Ankoli, ‚es seien bessere Sklaven im Dorfe als er.‘

‚Ah, es sind also Sklavenfänger hier gewesen. Woher sind sie gekommen?‘

‚Wie kann ich das wissen? Ich habe diesen See nie vorher gesehen; vielleicht Gankabi oder Ingja von Ngete.‘

Nachdem wir offenbar alle Informationen erhalten hatten, die der arme Teufel uns geben konnte, nahm Dualla zwei Hände voll glänzende Perlen und ein Dutzend Tücher, holte dann das Kanoe längsseits und ersuchte den Eingeborenen, sein Boot zu besteigen, worauf er Letzterem die Tücher, Perlen und ein kleines Päckchen Kauries (Muschelgeld) ins Boot gab. Sobald der Eingeborene begriffen hatte, daß er ein freier und reicher Mann sei, brachte er eine solche Distanz zwischen sich und uns, daß es uns zur Unmöglichkeit wurde, ihn wieder zu fangen, selbst wenn wir dies gewollt hätten. Als das Boot noch wie ein kleiner Punkt erschien, richtete er sich zu seiner vollen Höhe auf, ein Zeichen, daß er nun erst sicher war, sein altes Leben wieder beginnen zu können.“

Doch genug der Auszüge! Das, was wir berichtet haben, beweist ja deutlich, daß Stanley bei der Abfassung seines Buches nicht ausschließlich die Gelehrten als seine Leser im Auge hatte. Sollte seine Geschichte der Gründung des Kongostaates jemals volksthümlich werden, so mußten in dieselbe auch alle jene kleinen Züge aufgenommen werden, die den Charakter der Eingeborenen wiedergeben, alle jene kleinen Erlebnisse, die für sich einzeln genommen als lustige Abenteuer erscheinen, in ihrer Gesammtheit aber eine Kette lästigster Hemmnisse bilden, die nur durch Klugheit und Geduld überwunden werden konnten. Mit vielen Gleichnissen und Beispielen hat Stanley sein Werk ausgeschmückt, und er hat damit das Richtige getroffen – er wird nicht allein von den Weisen, sondern auch von den Völkern der civilisirten Welt verstanden werden. Das Buch wird wandern von Haus zu Haus und Sympathien werben allüberall für den „Felsenbrecher“ am Kongo und für den jungen Staat, dem noch viele Kämpfe beschieden sind, über den aber die Götter des Friedens und Glückes wachen mögen. St. J.     


Unter der Ehrenpforte.

Von Sophie Junghans.
(Fortsetzung.)


An der Ehrenpforte, mehrere Stufen über dem Boden erhöht, befand sich eine weite, ganz in Scharlach und Gold ausgeschlagene Estrade und darauf standen prächtige Sitze für das fürstliche Brautpaar und ihre vornehmsten Gäste; hier war es, wo, nachdem die erlauchte Gesellschaft Platz genommen hatte, die Ueberreichung der Geschenke der Stadt an die Landgrafenbraut stattfand.

Es nahm dieser Theil der Festlichkeiten, wie man denken kann, keine geringe Zeit in Anspruch, besonders da die Fürstin zwischendurch mit lateinischen sowohl als deutschen Reden und Gedichten, die keineswegs alle kurz waren, angesprochen wurde. Doch war man in jener Zeit an starke Dosen in Spiel und Scherz wie im Ernst, im Genießen sowohl als im Ertragen gewöhnt, und die hohe Frau hielt bewundernswürdig Stand; sie soll sogar zuguterletzt, das heißt nach Verlauf von mehr als drei Stunden, dem würdigen Doktor Avenarius für sein lateinisches Carmen mit ein paar wohlgesetzten Worten in der Sprache des Cicero, und zwar aus dem Stegreif, und dazu mit dem frischesten Lächeln, gedankt haben!

Die Herzen der Zünftler gewann Gräfin Sabine sämmtlich, wo dies nicht schon vorher geschehen war, durch die Art, wie sie eine jede Gabe aufnahm, ihrem Staunen und ihrer Freude darüber unverhohlen Ausdruck gab und zugleich sehr wohl merken ließ, wie sie den besonderen Werth eines jeden einzelnen Gegenstandes zu schätzen wisse. Ganz besonders gewinnend erwies sie sich auch gegen ihr eigenes Geschlecht, wo ihr dasselbe huldigend sich nahte, gegen die blumenspendenden jungen Städterinnen und die Töchter der fremden Weber, welche das Festgeschenk dieser Schutzbefohlenen ihres Gatten ihr überbrachten. Da hatte sie eine franke und zugleich mütterliche Art, welche alle Schüchternheit verbannte. Kosend fuhr sie der hübschen Rosine Külwetter, einer der Blumenspenderinnen, um das weiche Kinn und klopfte ihr die Wange, hieß auch die Mädchen in ihrer Nähe bleiben, diese sowohl wie die Webertöchter, die letzteren als halbe Landsmänninnen von ihr, wie sie freundlich sagte. Und so umgab denn dieser anmuthige Kranz die Stufen der Estrade, auf deren oberster die Fürstin noch immer unermüdlich verharrte, der Landgraf etwas hinter ihr.

Sogar das rechnete der allgemeine gute Wille der Gräfin hoch an, daß sie ihre helle Stirn, das fürstlich zarte Weiß und Roth ihres Angesichtes so lange der Sonne aussetzte und des Schutzes der weiter hinten über der Estrade aufgespannten seidenen Decken, sowie des hoch über allem aufsteigenden Ehrenbogens sich begab, um recht nahe an die Huldigenden herantreten zu können. Es war aber auch, als wenn die Sonne ihr das Dank wüßte und mit rechter Lust ein Bild bestrahlte, so reich und prächtig, so voll von heiterem kräftigen Leben, wie es ihr feuriges Auge selten begrüßen mochte – ein Bild, an dem nur Eines, nur die unabwendbare Vergänglichkeit, zu beklagen war.

Und schon jetzt nahte der Zeitpunkt, wo dies Bild sich auflösen und gleichsam zerrinnen sollte. Die Geschenke waren dargebracht und die Reden gehalten worden; eine Bewegung that sich kund, als ob nun bald ein anderer Akt dieses prächtigen Schauspiels beginnen werde. Nur Derjenige, von welchem erst der Anstoß für eine Veränderung der Scene ausgehen mußte, der Landgraf selber, zögerte noch.

Die Wahrheit zu berichten, war der hohe Herr, so wenig man dies seinem ruhigen, sogar etwas schwerfälligen Aeußeren ansehen mochte, innerlich in ungewöhnlicher Bewegung. Es war nämlich dieser Empfang durch die Bürgerschaft der wichtigsten Stadt des Landes, es waren diese Geschenke an die landgräfliche Braut so überraschend prächtig ausgefallen, und es überstieg das Alles soweit die Erwartung, daß es ihn förmlich aus dem Gleichgewicht gebracht hatte. Doch kam ihm jetzt seine ruhige, schweigsame Art zu Hilfe: man war es an ihm gewohnt, daß er nicht viele Worte machte. Ein Mann war es, gegen welchen er seiner Bewegung, zum Theil wenigstens, in kurz hervorgestoßenen Sätzen, halben Ausrufen, Luft machte, ein Mann, der dieselben trotzdem wohl verstand und welchen sie mit frohem Stolze erfüllte, und dieser eine war der Bürgermeister der Stadt, der Doktor Tiedemars.

Der Landgraf hatte den Doktor die ganze Zeit über neben sich gehalten, hatte ihm bald zugenickt, bald, die Ueberreicher der Geschenke betreffend, eine kurze Frage an ihn gerichtet, hatte, mit einem Worte, vor allem Volk dargethan, daß er den Bürgermeister mit all diesem in Verbindung brachte. Denn das fühlte der Fürst wohl: insofern gerade der Werth und die Pracht der dargereichten Hochzeitsgaben die allgemeine Billigung seiner Wahl zum Ausdruck brachte, hatte er Niemand so sehr dafür zu danken, als dem klugen Manne neben sich. So fand er sich denn auch im weiteren, glänzenden Verlauf dieser Huldigungen von einem immer lebhafteren Gefühl überraschter Dankbarkeit gegen den Bürgermeister erfüllt, und gerne hätte er dieser Empfindung vor aller Welt einen so recht bedeutsamen Ausdruck verliehen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 334. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_334.jpg&oldid=- (Version vom 25.3.2024)