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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Von der Weinflasche war das dunkle Auge des jungen Mannes hinausgeschweift; er sprang plötzlich empor und trat in die Thür.

„Und trotz alledem, Richard, es ist ein reizendes Fleckchen Erde,“ sagte er warm, „ich habe für Norddeutschland immer große Sympathien gehabt. Glaube nur, der Faust liest sich hier noch einmal so gut, wo der Brocken dort herüber schaut. Ich bitte Dich, krächze nicht mehr wie ein Unglücksrabe! Ich werde Frankfurt nie vergessen, aber auch nicht allzusehr vermissen – hoffe ich.“

„Na, Gott bewahre!“ scherzte der Kleine, noch immer mit dem leeren Weinglase spielend, „Du willst mir doch nicht weismachen –“

Aber Linden unterbrach ihn: „Ich will Dir gar nichts weismachen, ich will versuchen ein Landwirth zu werden, und ich will dies nicht nur, weil ich muß, Richard, mir ist wirklich in dem alten Neste ganz behaglich; ergo höre auf, mein Alterchen!“

„Na, Glück zu!“ erwiderte der Andere, neben den Freund tretend und fast zärtlich in das hübsche Männergesicht schauend. „Ich habe ja im Allgemeinen nichts einzuwenden gegen dieses Gutsbesitzerspiel, wenn ich nur wüßte wie und wo –. Siehst Du, Franz. wäre ich nicht solch ein armer Schlucker, ich sagte Dir sofort: ‚hier, mein Junge, hast Du ein Kapital von so und so viel; nun fange einmal an, das veraltete lotterige Ding in Zug zu bringen.‘ So, wie es jetzt ist, kann’s nicht bleiben. Aber – na, Du weißt,“ schloß er mit einem Seufzer.

Franz Linden hatte abermals keine Antwort, aber er pfiff leise eine lustige Melodie, wie er immer that, wenn er unangenehme Gedanken verscheuchen wollte.

„Ja, pfeife nur,“ murmelte der Kleine, „es wird die einzige Musik sein, die Du hier zu hören bekommst, oder etwa noch eine knarrende Stubenthür, oder das Koncert einer höchst respektablen Mäusefamilie, die sich in Deinem Zimmer angesiedelt hat. Brr – Franz! Jetzt denke Dir dieses einsame Nest im Winter – auf den Bergen Schnee, auf der Straße Schnee, im Garten Schnee und in der Luft weißes Gewimmel; – Herr Gott, was willst Du die langen Abende hindurch machen, an denen wir sonst im Taunus auf der Bockenheimer Gasse saßen, oder im Theater? Wer soll hier Skat mit Dir spielen? Für wen willst Du Deine vielbewunderten Gedichte machen? In der Dorfschenke werden sie sicher nicht verstanden. Ach, wenn ich Dich so ansehe, Du hier allein, versauernd, und Sorgen dazu!“

Er seufzte.

„Ich will Dir etwas sagen, Franz, Scherz in die Ecke,“ fuhr er fort. „Du wirst heirathen müssen! Und da gebe ich Dir den Rath, thue bei dieser Angelegenheit Deinen Idealen ein wenig Zwang an, sieh einmal ab von elfengleichem Wuchs, sinnigen Augen und holdester Weiblichkeit – zu Gunsten eines anderen Vorzuges, der durch nichts zu ersetzen ist in unserem prosaischen Leben; bringe mir kein armes Mädchen, Franz, und wäre sie die Perle aller Welttheile. In Deiner Lage würde es einfach Thorheit sein, eine Sünde an Dir, ihr und allen Deinen Nachkommen. Es schadet rein gar nichts, wenn Deine hübschen Reime nicht auf sie passen. Du wirst auch die Schönste nicht ewig andichten. Ja, lache nur!“

Er stiebte die Asche seiner Cigarre ab. „In Frankfurt – hättest Du ernstlich gewollt – war was zu machen. Aber Du hast Dich von den koketten Augen der kleinen Thea völlig blenden lassen. Wie oft habe ich mich damals geärgert! Wenn der Mensch über die Fünfundzwanzig hinaus ist, sollte er wahrhaftig vernünftiger werden!“

Franz Linden schwieg beharrlich, und der Kleine wußte sofort, daß er, wie er sich auszudrücken pflegte, in den Fetttopf getreten hatte bei ihm.

„Na, Franz, laß gut sein,“ scherzte er, „hier giebt’s vielleicht auch reiche Mädchen.“

„Ei gewiß, mein Herr, ei gewiß,“ klang es hinter ihnen, „reiche Mädchen und hübsche Mädchen; unsere alte Stadt ist von jeher dafür berühmt gewesen.“

Beide Herren wandten sich nach dem Sprecher um; der Amtsrichter nur um mit einem ärgerlichen Achselzucken sofort wieder in die Gegend hinaus zu schauen, Franz Linden um ihn höflich zu begrüßen.

„Ich bringe die gewünschten Notizen,“ fuhr der Eingetretene fort, ein kleiner Mann in den fünfziger Jahren mit einem unglaublich schmalen spitzen Gesichte, auf dem ein süßliches Lächeln spielte, devot in jeder Miene, jeder Bewegung.

„Ich danke sehr, Herr Wölff,“ sagte Franz Linden und nahm die Papiere.

„Wenn ich sonst noch dienen kann – Fräulein Rosalie wird bezeugen, daß ich dem verstorbenen Herrn Onkel stets ein dienstwilliger Freund gewesen.“

„Ich bin völlig fremd hier,“ erwiderte der junge Hausherr, „es kann wohl sein, daß ich Ihrer Hilfe bedarf.“

„Größte Ehre, Herr Linden! Ja, und wie gesagt, sollten Sie in der Stadt Bekanntschaften suchen – da sind die Tubmanns, die Schenks, die Meiers und Hellborns, und vor allem die Baumhagens; reiche und angenehme Häuser, Herr Linden – werden mit offenen Armen aufgenommen, ist immer Mangel an liebenswürdigen Kavalieren in der kleinen Stadt. Die Herren von der Kavallerie – Sie wissen schon – ein wenig oben hinaus, wollen sich lediglich amüsiren; – bin gern erbötig, falls Sie –“

Der Amtsrichter unterbrach ihn mit einem gewaltigen Räuspern. „Franz,“ sagte er trocken, „was ist das für ein Thurm dort drüben auf dem Berge? Du hast ja gestern die Generalstabskarte studirt.“

„Die Hubertushöhe,“ erwiderte der junge Mann, zu ihm tretend.

„Gehört dem Freiherrn von Lobersberg,“ mischte sich Herr Wolff ein.

„Interessirt mich gar nicht,“ murmelte der Amtsrichter und fixirte, in Ermangelung eines Fernrohres, den Thurm durch die hohle Hand.

„Ich habe die Ehre mich zu empfehlen,“ schnarrte Wolff, „muß noch hinüber nach Lobersberg.“

Der Amtsrichter nickte kurz, Linden begleitete den Agenten bis zur Thür und kam dann langsam zurück.

„Nun erkläre mir, bitte,“ fuhr der Freund auf ihn los, „wie kommst Du zu diesem Menschen – was sage ich – zu dieser Ratte, die sich so unaufgefordert in Deine Angelegenheiten drängt?“

Die dunklen Augen Franz Linden's sahen wie erstaunt in das ärgerliche Antlitz des Amtsrichters.

„Je nun, Richard, er ist des verstorbenen Onkels rechte Hand gewesen, so zu sagen, sein Faktotum, und schließlich – er darf wohl ein Wörtchen mitreden, da er leider Gottes eine große Hypothek auf Niendorf stehen hat.“

„Das berechtigt ihn noch nicht zu dem aufdringlichen Gebahren, welches der Mann Dir gegenüber entfaltet,“ sagte der Kleine.

„I, Kreisrichterchen,“ entschuldigte der junge Mann, „er hält mich für einen Neuling, fur einen Ignoranten in dem heiligen Getriebe einer Landwirthschaft. Du –“

„Und ich halte ihn für einen dunklen Ehrenmann! Und wenn wir uns wieder einmal sprechen, Goldsohn. wirst Du mir sagen: ‚Richard, weiß Gott, Du hattest Recht mit diesem Menschen, der Kerl ist ein Spitzbube!‘“

„Weißt Du,“ erklärte Franz Linden, zwischen Scherz und Ernst schwankend, „ich wollt', ich hätte Dich ruhig in Deiner Wohnung am Goethe-Platz gelassen. Du bist im Stande, mir mit Deinen morösen Ansichten Alles, Alles hier zu verekeln. Komm, wir wollen einen Gang machen durch den Garten, dann wird es leider Zeit sein, daß Du zur Bahn mußt, wenn Du allerwegen noch den Kurierzug erreichen willst.“

Er nahm des brummenden Freundes Arm und zog ihn mit sich, hinunter in die verschlungenen Wege, auf denen schon das welke Laub der Bäume lag.

„Ich bin überzeugt, der Kerl hat ein Heirathsbureau,“ murmelte ingrimmig der Amtsrichter.

Als sie um die Ecke eines verwilderten Bosketts gingen, sahen sie jenseit des kleinen ganz mit Wasserlinsen bedeckten Teiches eine alte Frau langsam dahin schreiten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 338. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_338.jpg&oldid=- (Version vom 21.12.2020)