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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

bieten keine Grundlage für wissenschaftliche Betrachtung und Forschung. Hiller’s große Verdienste als Musiker sind bei seinen Lebzeiten nicht immer voll gewürdigt worden, aber wir sind fest überzeugt, sie werden am Rhein unvergeßlich bleiben; seine schriftstellerischen Arbeiten dagegen, die Sammlung seiner Artikel „Aus dem Tonleben“, „Briefe an eine Ungenannte“, „Künstlerleben“ haben immer die günstigste Aufnahme gefunden – Nachwirkung werden sie nicht üben.

Als Mensch war Hiller ein liebenswürdiger Ehrenmann. Sein Gemüth kannte kein Falsch; er war ein verläßlicher Freund; wo seine künstlerischen Ueberzeugungen nicht verletzt waren, konnte jeder tüchtige Musiker auf seine Unterstützung, auf sein Wohlwollen rechnen. Er hatte Schwächen – wer hat sie nicht? die starken Leute, denen keine Schwächen vorzuwerfen sind, haben gefährliche Fehler. Hiller war kein Genie, aber ein edler Künstler und ein guter Mensch. Und so wollen wir sein Andenken in Ehren halten! H. Ehrlich.     




Willkommen den Freunden und Verehrern des Verstorbenen und für alle unsere Leser sicher von großem Interesse wird der nachstehend abgedruckte Brief sein, den Hiller an Emil Rittershaus richtete, als dieser dem Meister in Köln am Ende des vorigen Jahres seine jüngste Gedichtsammlung „Am Rhein und beim Wein“ mit einer poetischen Widmung zusandte:

„An Emil Rittershaus.

Liebster Freund! Das haben Sie gut gemacht, aber es war fast des Schönen zu viel! Die Sonne vergoldet den Rhein, als habe sie auf der ganzen großen weiten Welt nichts Anderes zu thun als ihm zu schmeicheln! Ich vergaß mich in dem Anblicke (sich zu vergessen, gehört bekanntlich zu den besten Dingen) und da kommt Ihr holdseliges Büchlein ‚Am Rhein und beim Wein‘ mit der Aufschrift ‚Respekt! Es kommt der Jubilar, der Wein von 84‘. Sie sind der Jubilar, lieber Rittershaus; ich weiß nicht, von welchem Jahrgang, aber sicherlich von jedem, der uns am Rhein etwas Gutes und Schönes gebracht hat. Die gepriesensten Weine sind nicht erfrischender, belebender, männlich stärkender als die Lieder, die Sie mit zauberhafter Schnelle Ihrem Geiste entschlagen, wie der Stahl dem Kiesel seine Funken. Wieviel Herrliches enthält Ihr neues Büchlein! Was es Schönes, Gutes und Großes in dem Leben von uns gemeineren Sterblichen giebt, kommt an die Reihe. Freilich keine Descendenztheorie, keine Komma-Bacillen, keine ägyptische Weisheit, weder alte noch moderne, keine chinesische Diplomatie! Aber alle die alten und doch nie veraltenden Neigungen, Wünsche, Freuden, welche das Menschengeschlecht gewohnt ist mit einem Worte Glück zu nennen: der trauliche Freundeskreis, das Erwachen des Frühlings und der Liebe, das Athmen im Freien, die Treue den Genossen, die Brüderschaft in seinem Volke – und durch dies Alles windet sich die herrliche deutsche Rebe – ein Symbol begeisterter Einigkeit! Ich gestehe es, als mein Blick auf Ihr Büchlein fiel und ich ihn dann wendete auf die vorüberströmenden Wogen des Rheins, da mußte ich mir eine Thräne im Auge zerdrücken, – ich griff jedoch zur Homöopathie und ein Becher alten Weines machte wieder gut, was der Anblick des guten alten Vaters zu verderben im Begriff gewesen war. Nun aber macht Euch auf, Freunde und Genossen, und legt die Hand auf die neue Spende Emil’s. Schwört auch Mancher von Euch auf andere Farben, als auf die, die der goldenen Rebe entsprießen, in der Hauptsache sind wir einig: der Rheinberger und der Reinthaler und der Reinecke und der Bruch und der Brahms und der Brambach und so viele Andere innerhalb und außerhalb unserer ‚sogenannten‘ Grenze – sie Alle werden sich einstellen, wie ihre Namen auch klingen mögen, ihre Töne klingen ja gut und das ist die Hauptsache.

Werde ich aber noch mitthun dürfen? Der Himmel weiß es. Aber etwas Besseres will ich thun, was ich eigentlich nicht thun dürfte, doch wenn der Zweck ein guter und das Mittel ein unschuldig-unerlaubtes, so wird mir wohl Absolution gewährt werden, und derjenige, der mich strafen oder mir verzeihen kann – vor dem ängstige ich mich nicht, es ist mein vortrefflicher Freund Rittershaus! Zu stolz machen mich die Verse, die er mir gewidmet, zu viele Freude werden sie Anderen machen, als daß ich sie nicht dem ‚offenen Briefe‘ zugesellen sollte. Mag man mich darum beneiden oder schelten – im Grunde des Herzens wird man mir Recht geben.


An Ferdinand Hiller.

Was beim Wein mir in den Sinn
Kam in manchen Jahren,
Was ich von der Winzerin
Beim Pokal erfahren,
Was in duft’ger Frühlingspracht
Aufging in der Seele,
Was in froh durchschwärmter Nacht
Klang aus meiner Kehle,
Was mir an des Rheines Strand
Sagten luft’ge Geister,
Leg’ ich heut in Deine Hand,
Theurer, würd’ger Meister!

Bist ja selbst des Weinlands Kind,
Stammst aus Rebengauen!
Wolle freundlich, mild gesinnt
Auf die Verslein schauen,
Die gesungen frisch und keck
Hinter’m Glas der Zecher! –
Philosophisch’ schwer’ Gepäck
Paßt nicht zu dem Becher,
Paßt nicht, wenn zur Weinlandsfahrt
Wir das Ränzel schnüren –
Doch ich denk’, die Rheinlandsart
Wirst Du drin verspüren! –

Aber willst Du recht erfreu’n
Den, der sang die Reime,
Eh’ die Wolken Flocken streu’n,
Komm’ zu meinem Heime,
Setz’ Dich auf den Ehrenplatz,
Freund, an meinem Tische!
Meines Kellers schönster Schatz,
Meister, Dich erfrische!
Fröhlich soll dann sonnenwärts
Unser Sinn sich kehren –
Und empfinden soll’s Dein Herz,
Wie wir Dich verehren!

Und nun Ade, verehrter Freund! Wenn Ihnen Ihre neuen Lieder vorgesungen werden in neuen Weisen und wohl auch von neuen Menschen, dann gedenken Sie Ihres getreuen

Ferdinand Hiller.”     

Köln, den 27. November 1884.




Blätter und Blüthen.


Fronleichnamsprocession zu München im 18. Jahrhundert. (Mit Illustration S. 356 und 357.) München war bis in unser Jahrhundert herein eine ausschließlich katholische Stadt, und so konnte es nicht fehlen, daß auch das öffentliche Leben nach dieser Richtung hin ein streng ausgesprochenes Gepräge trug. Den ersten Platz unter den zahlreichen kirchlichen Festen, an denen sich die Bevölkerung massenhaft betheiligte, nahm die Fronleichnamsprocession ein, namentlich seit die Jesuiten in München ein prächtiges Kollegium besaßen. Sie waren es auch, welche der Fronleichnamsprocession einen stark theatralischen Charakter gaben. Außer einer Schar weißgekleideter Engel mit goldenen Flügeln sah man im Zuge auch den leibhaftigen Gottseibeiuns mit Hörnern, Schwanz und Klauen, der durch allerlei Späße die Andächtigen im Gebete zu stören suchte, dafür aber auf dem Schrannenplatze von den Engeln angegriffen und schließlich durch den Rathbogen ins „Thal” hinab gejagt wurde.

Gleichzeitige Aufschreibungen lehren uns, wie große Mühe und Sorgfalt auf die Inscenirung der Fronleichnamsprocession verwendet ward. So bestimmte eine bezügliche Vorschrift vom Jahre 1580, daß die Person des Gottvaters lang, gerade, stark und wohlgeformt sein müsse, „fast einer solchen Gestalt, wie der alte Doktor Six seligen Andenkens ausgesehen“. Er mußte „einen stetigen Gang an sich nehmen, wenig umsehen und nicht sauer, noch lächerlich, sondern fein sittsam aussehen”. In Betreff der Person Christi mußte man vierzehn Tage zuvor auf den Straßen, in den Kirchen etc. fleißig Obacht haben, um Personen zu wählen „von gehöriger Manneslänge, nicht zu dicke, von guter gesunder Farbe, wohlgebildetem, länglichem Angesichte, ohne unförmliche Nasen, Schielen und Zahnlücken, von feinen Physiognomien, nicht langen grauen, sondern ziemlich kurzen kastanienbraunen oder doch etwas lichteren Bärten mit zwei Spitzen und sonst am Leibe nicht tadelhaftig, insonderheit aber sittsam und gottesfürchtig”. Marien erschienen 16 im Zuge; die schönste kam zuletzt, fuhr auf Wolken und setzte den Fuß auf einen „Mondschein”.

Zum heiligen Georg nahm man den schönsten und stärksten Mann der ganzen Stadt. Er hatte den die heilige Margaretha bedrohenden Lindwurm „stark und richtig zu durchbohren, daß die darin verborgene riesige Blutwurst das zuschauende Frauenzimmer selbst in den zweiten Häuserstöcken und alles Volk unter ungemeinem Hin- und Herflüchten und Gelächter mit dunklem Blut übergösse”. Andererseits mußten die Hohenpriester Melchisedek, Aaron, Kaiphas etc. theils „lange dicke, graue Bärte, theils gar kurze Knebelbärtchen zwei kleine Zipfel am Kinnbacken, dicke aufgeblasene Gesichter haben, auch sonst von Leib dick sein“. Der Teufel spie Feuer und erhielt einen halben Gulden und Schwefel, Branntwein und Baumwolle. Und neben Adam und Eva fehlten auch die Götter des Olymp nicht.

Von diesem Gepränge war um die Mitte des vorigen Jahrhunderts so manches in Ausfall gekommen, aber immerhin noch vieles Eigenartige und Auffällige geblieben, dem wir auf L. von Hagn’s trefflichem Bilde im Repräsentationssaale des von Meister Hauberisser erbauten neuen Rathauses begegnen. Da wandelten geflügelte Genien in reich gestickter Kleidung hinter mächtigen Fahnen drein; da schleppten sich Juden mit den Weintrauben aus Kanaan und führte der heilige Mauritius eine Schar prunkhaft einherschreitender Ritter. Auch der alttestamentarische goldene Tisch mit den Schaubroten fehlte nicht, noch die Arche Noah’s, und ein Wagen trug den Saal mit sieben Säulen, in welchem Christus mit seinen Jüngern das Abendmahl einnahm. Die Bruderschaft des heiligen Georg trug das spitz zulaufende Zelt mit sich, unter dem ihr Patron der Sage nach die Feldmesse gehört, und zwölf Schweizer führten dessen Roß, während Alexandra, die bekehrte Gemahlin des Kaisers Diocletianus, auf einem Triumphwagen einherfuhr. Und zwölf Türken mit gewaltigen Turbanen zogen nicht minder die Augen auf sich als der alte Jakob mit seinen zwölf Söhnen und einer Schar israelitischen Volkes. Den Schluß des Zuges aber bildete, unter kostbarem Baldachine, dicht hinter dem Sanktissimum wandelnd, der Kurfürst mit seinem Hofstaat, Beamten, Trabanten und Hartschieren.

Der Feststimmung jener Zeit hat Mathias Etenhueber, „privilegirt unbezahlter Hofpoet”, wie er sich in bitterer Selbstironie nannte, in einem seiner zahllosen Gedichte – er gab von 1759 bis 1773 ein „Münchnerisches Wochenblatt” in Versen heraus – charakteristischen Ausdruck gegeben:

„Ich höre schon den Klang der Paucken und Trompeten,
     Man giebet das Signal zu der Procession.
Die Häuser sind behengt mit persischen Tapeten,
     Von denen Thürmen schallt der Gloggen munterer Thon.

Die Bürgerschaft zu Fuß und Pferd steht in Parade,
     Recht glänzet im Gewöhr der Bayrische Soldat.
Auf denen Wällen kracht eine Freudenkanonade,
     In einen Mayenwald verwandelt sich die Stadt u. s. f.

Karl Albert Regnet.     



Inhalt: [Inhaltsverzeichnis dieses Heftess, z.Zt. nicht übertragen.]


Verantwortlicher Herausgeber Adolf Kröner in Stuttgart. Redacteur Dr. Fr. Hofmann, Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger, Druck von A. Wiede, sämmtlich in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 368. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_368.jpg&oldid=- (Version vom 1.4.2024)