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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

„Hübsch ist dieser Linden,“ bemerkte die junge Frau, ohne von dem heftigen Weinen Notiz zu nehmen. „Himmel, was wird diese Geschichte für Aufsehen machen in der Stadt! Sie hätte wahrhaftig noch einen Andern bekommen! Aber habe ich es nicht gleich gesagt, Mama, sie macht noch ’mal einen ganz thörichten Streich. Arthur!“ rief sie dann dem Eintretenden entgegen, „denke doch, Trudchcn hat sich ja verlobt mit diesem – Linden!“

„Donnerwetter!“ entfuhr es Herrn Arthur Fredrich.

„Sage doch, lieber Sohn, was weißt Du von ihm? Du hast doch sicher dieses und jenes gehört im Klub, oder –“

Frau Baumhagen hatte das Taschentuch sinken lassen und sah tief bekümmert den Schwiegersohn an.

„Ist ein charmanter Junge, aber hier –“ er machte die Bewegung des Geldzählens – „faul, oberfaul! Er weiß schon, was er thut, wenn er die Trudchen nimmt. Der Tausend – hätte ich so etwas geahnt, es wäre mir nicht eingefallen, ihn einzuladen. Daß Dich! Daß Dich!“

„Ja, und sie erklärt, sie läßt nicht von ihm,“ berichtete Jenny.

„Das glaube ich, ohne daß Du es versicherst, sie ist ja Deine Schwester; was Ihr Euch einmal in den Kopf gesetzt habt – na, ich weiß Bescheid!“

„Arthur!“ schluchzte vorwurfsvoll die ältere Dame.

„Ich verbitte mir, Arthur, daß Du immer von Trotz und Eigensinn sprichst in Bezug auf mich!“ schmollte die kleine Frau.

„Aber, liebes Kind, es ist die reine Wahr –“

„Widersprich nicht immer!“ rief Frau Jenny energisch, trat mit dem Fuße auf und zog das Taschentuch hervor, jeden Augenblick bereit zu weinen. Er kannte dieses Manöver und fuhr sich hastig durch die blonden Haare.

„Schön! Was soll ich denn eigentlich?“ fragte er, „was wollt Ihr von mir?“

„Deinen Rath, Arthur,“ stöhnte die Schwiegermama.

„Meinen Rath? Na – sagt Ja und Amen!“

„Aber er ist so ganz ohne Vermögen, wie ich neulich hörte,“ wandte Frau Baumhagen ein.

Er zuckte die Achseln. „Pah! Trudchen kann ja einen Mann ernähren. Nebenbei – ich kenne Niendorf zwar nicht näher, aber ich glaube, bei rationeller Bewirthschaftung kann etwas daraus werden. Er scheint ja der Mann dafür zu sein, und Wolff erzählte neulich von einer großen Schafzucht, die Linden anlegen will.“

„Das Letztere dürfte allerdings den Ausschlag geben,“ bemerkte Frau Jenny ironisch.

„Nein! nein!“ erklärte die Mutter schluchzend aufs Neue, „Ihr nehmt das Alles viel zu leicht; ich kann mich nicht entschließen, ich habe ja kaum ein paar Worte gesprochen mit diesem Linden. O, die unerhörte Dreistigkeit!“ Sie verließ den Lehnstuhl und warf sich, dunkelroth vor Erregung, auf die Chaiselongue.

„Da wird wieder eine stimmungsvolle Migraine perfekt,“ flüsterte Arthur und nahm gelassen eine Cigarre aus seinem Etui.

Jenny antwortete nur mit einem Blick, aber der war niederschmetternd. Sie nahm die Schleppe ihrer Robe in die Hand und rauschte an dem verwunderten Gemahl vorüber.

„Nimm mich doch mit!“ sagte er belustigt.

„Jenny, bleib bei mir!“ rief die Mutter, „verlaß mich jetzt nicht!“ Und die junge Frau kehrte um, begegnete ihrem Gatten in der Thür und ging mit hochgehobenem Näschen an ihm vorüber, um sich neben die Mutter zu setzen. O, er hatte schon noch mehr auf seinem Konto, sie würde sich schon noch revanchiren für sein absprechendes Urtheil heute früh am Theetisch, als sie ganz harmlos den Rittmeister von Brelow lobte. Er war sich auch nichts Gutes gewärtig, das sah sie ihm gleich an; „Warte nur!“

„Wie, Mama?“ fragte sie dann, „ob ich mit Arthur etwas habe? Bah – er ist ein Othello – ein Blonder, das sind die Schlimmsten!“

„Ach Jenny, dies Unglückskind, dies Trudchen –“

„Ja richtig,“ nickte die junge Frau, „die dumme Geschichte mit Trudchen.“ – –

Indessen stand das junge Mädchen vor dem Bilde des Vaters; ihr ganzes Sein war aufgewühlt in Schmerz und Glück. Sie hatte kein Auge geschlossen in der Nacht, seitdem sie ihm verstohlen die Hand gereicht mit dem kaum geflüsterten: Ja! Sie wußte, er liebte sie; sie hatte es sich tausendmal vorgestellt, wie es sein würde, wenn er ihr das sagte, und nun war es ihr doch so unerwartet rasch gekommen. Lieb hatte sie ihn schon lange, schon seit sie ihn das erste Mal gesehen; und seit der Zeit war ihr nichts geschenkt worden von all den Thränen und Freuden einer heimlichen Neigung. Sie nahm nichts leicht, nichts halb, und voll und ganz hatte sie sich dem Zauber hingegeben. Wer es nun versuchen wollte, ihn ihr zu nehmen, der mußte ihr das Herz mit herausreißen aus der Brust.

Die Thränen liefen ihr, während sie so dastand, in großen vollen Tropfen über das blasse Gesicht, aber um den kleinen trotzigen Mund zog sich ein Lächeln.

„Ich weiß es ja,“ nickte sie flüsternd zu dem Bilde des Vaters hinüber, „Dir würde er gefallen, Papa!“ Und in seliger Erinnerung klangen ihr die Worte nach, die er gestern gesprochen, von seinem einsamen Hause draußen, von seiner Sehnsucht nach ihr und daß er ihr nichts bieten könne, als eben diese einsame arme Heimath und ein ehrliches Herz. Sein einziger Reichthum wären augenblicklich viele Sorgen.

„Laß mich die Sorgen mit Dir tragen, es giebt kein Glück auf der Welt, das größer wäre als dieses,“ so hatte sie sprechen wollen; aber sie hatte doch die Augen niedergeschlagen und ihm nur verstohlen die Hand gereicht. Es wollte kein Wort über ihre Lippen.

Als wäre sie bis jetzt im kalten tiefen Schatten gewandelt und nun plötzlich hinausgetreten in belebenden köstlichen Sonnenschein, unter blauen Himmel, so blühte und klang es in ihrem Herzen. „Es ist zu viel, zu viel Glück!“ hatte sie heut früh beim Aufstehen gedacht; sie dachte es auch jetzt noch und die Thränen, die sie weinte, erschienen ihr als gerechtfertigter Tribut einer allzugroßen Seligkeit. Wenn jetzt Mama gleich „Ja und Amen!“ gesagt, wenn sie gesagt: „Er soll mir ein lieber Sohn sein, bringe ihn mir,“ das wäre zu viel gewesen; dieses Weigern, dieses Mißtrauen; war es nicht eigens geschaffen, damit sie vor Glück nicht übermüthig wurde? Es war der Schneesturm, der im Frühling daherbraust und Blatt und Blüthen überschauert; aber wenn es vorüber, blüht es nicht doppelt schön?

Im Nebenzimmer wurde das Gespräch jetzt wieder lebhafter. Trudchen hörte die klagende weinende Stimme der Mutter deutlicher als zuvor; es berührte sie aufs Neue peinlich und unwillkürlich flog ein Blick zu dem Bilde des Vaters, als könne er auch jetzt noch hören, was ehedem seines Lebens Qual gewesen. Trudchen erinnerte sich ja so vieler Wein- und Jammerscenen in dem nämlichen Zimmer dort. Wie oft war dann des Vaters beschwichtigende Stimme in ihr Ohr gedrungen: „Gut, Ottilie, ja, Du sollst Deinen Willen haben, aber – schone mich!“ Und wie oft war dann durch jene Thür ein blasser Mann getreten und hatte stumm in dem Sofa gesessen, als fände er hier bei seinem Kinde eine Freistatt. Ach! so war es auch gewesen an jenem Tage, an jenem fürchterlichen Tage, worauf es nachher so stille ward, so todtenstill.

Ja, da erscholl es wieder, das laute Weinen, die Anklagen gegen den Himmel, der sie zur unglücklichsten Frau gemacht und sie nun in ihren Kindern noch strafe. Dann war ein Thürenklappen, ein Laufen der Dienerschaft, Trudchen meinte sogar den scharfen Geruch der Baldriantropfen zu spüren, die Frau Ottilie Baumhagen bei ihren Nervenanfällen zu nehmen pflegte. Und nun flog die Thür auf und Frau Jenny kam herein.

„Mama ist ganz elend,“ sagte sie vorwurfsvoll; „zum Arzt habe ich schicken müssen, und Sophie legt ihr Kompressen auf die Stirn. Ein schöner Tag, wahrhaftig!“

„Es thut mir so leid, Jenny,“ bedauerte das junge Mädchen.

„Ja, es kam aber auch wie aus der Pistole geschossen. Ich muß Dir ehrlich gestehen, ich begreife Dich nicht, Gertrud; zehn Körbe reichen nicht, die Du schon ausgetheilt hast, es war ein Mäkeln und Wählen, und jetzt nimmst Du den Ersten Besten.“

„Den Besten jedenfalls,“ dachte Trudchen, aber sie schwieg.

Die kleine Frau hielt dies irrthümlich für eine Wirkung ihrer Worte.

„Sieh mal, Kind,“ fuhr sie fort, „überlege es doch noch recht, Du –“

„Jenny, halt ein!“ bat das Mädchen mit fester Stimme. „Was giebt Dir das Recht, so zu sprechen? Habe ich mir erlaubt, ein Wort über Deine Wahl zu sagen? Bin ich nicht Arthur freundlich entgegen gekommen? Was hat er vor Linden voraus, worin steht er ihm nach? Ich allein habe mir Rechenschaft zu geben über diesen Schritt, denn ich allein trage die Folgen. Es ist unrecht, einen Menschen beeinflussen zu wollen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 372. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_372.jpg&oldid=- (Version vom 19.1.2021)