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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

„O wie entzückend!“ hätte bei der jetzigen Morgenfrische und Beleuchtung Fräulein Lili mit noch mehr Berechtigung als gestern Abend ausrufen dürfen: Kein ander Bauwerk der Erde hätte so hübsch ‚zum Küssen‘ da in den letzten Nebelhauch aus dem Hochwalde und in das Sonnengeflimmer der Wiese hingepaßt, wie diese Rasen- und Schindelhütte mit dem dünnen blauen Rauchwölkchen über ihrer Spitze.

Von ihren Bewohnern war nur das kleine Mädchen zu sehen, als Veit und Phöbe die Vierlingswiese betraten. Es stand an die Thürstangen gelehnt, und als es die Kommenden erblickte, hielt es erst einen Augenblick die Hand über die Augen und wendete sich dann, um, wie es schien, in das Innere der Köthe etwas hineinzusprechen. Dann wurde es wahrscheinlich von drinnen gerufen; – es verschwand rasch in dem düstern Raume, ehe man ihm zuwinken konnte; aber Niemand hinderte auch das junge Mädchen und ihren Begleiter, dieser seltsamen Verstörung so nahe es ihnen beliebte zu gehen und nun ihrerseits den Kampf mit ihr aufzunehmen.

Noch einmal, zehn Schritte von der Fieberhütte, blieb Phöbe Hahnemeyer stehen und sah den Mann neben ihr ängstlich, fragend, bittend aber stumm an; als er jedoch nur freundlich, ruhig den Kopf schüttelte, sagte sie laut: „Im Namen Gottes!“

Auf ihrem feinen Gesichte regte sich nun nichts mehr. Sie zögerte keinen Moment auf der unheimlichen Schwelle; sie zog ihre Kleider nicht fester an sich, und der Gastfreund trat ihr nach, nun doch mit dem Herzen in der Kehle, nicht aus Scheu vor dem Schrecken da drinnen, nicht aus Besorgniß um das eigene Dasein, sondern in Ehrfurcht und aus Freude. Aus stolzer menschlicher Freude an dem selbstlosen, unbewußten Heldenmuth, der ihm hier den Weg zeigte. –

Wir waren mit Prudens Hahnemeyer gestern um Mitternacht im Innern der Hütte und haben schon erfahren, wie Licht und Luft von allen Seiten Zutritt hatten. War bei der Nacht die Luft in dem schlimmen Raume rein und frisch gewesen, so war sie jetzt völlig berauschend; und daran war die wunderliche Arbeit und Thätigkeit des Räkels und seiner Jungen seit Sonnenaufgang schuld.

Trotz aller Merkwürdigkeiten, die Herr Veit von Bielow auf seinen Reisen in fernen Ländern, unter fremden Völkern gesehen haben mochte, mußte ihm doch der erste Rundblick in diesem Zeitraum inmitten der höchsten Civilisation der gegenwärtigen Menschenwelt überraschend sein.

Noch lag die Leiche der Fee eingewickelt in das schlechte, übel zusammengenähte Leintuch ihres letzten Lagers; aber der Fuchs und seine Kinder waren auch noch bei der Arbeit an ihrem allerletzten Schmuck. Auf weitentlegenen barbarischen Inseln mochten wilde Indianer so die letzte Hülle für ihre Todten, aus tropischem Rohr und aus Palmblättern und dergleichen flechten! Der wilde Mann im Bann der Natur und Kultur Europas nahm, was ihm um sein indianerhaftes Dach und Gestänge wuchs, Tannenzweige aus dem Forste, Binsen aus dem Sumpfe, Blätter und Blumen aus den Waldthälern und von der Vierlingswiese. Die Vierlingswiese hatten die Waisen der Fee um Sonnenaufgang schon halb kahl gerupft und blühende Haide und gelben Fingerhut in Strängen zu Leichenbinden für die todte Mutter gewunden. Und sie waren noch immer in dem überwältigenden Duft- und Farbenüberschwang am Geschäfte, und weder der Vater noch die Kinder wollten sich durch irgend Jemand in der Arbeit stören lassen. Es machte auch einen ganz eigenen Eindruck, daß Volkmar Fuchs, nur den fremden Herrn mißtrauisch von unten auf anschielend, ruhig, freundlich und gelassen von seinem Sitz am Herde der Besucherin zunickte und ohne eine Spur von Trotz und Widerspenstigkeit sagte:

„Sieh, sieh! Guten Morgen, Fräulein Phöbe!“

„Guten Morgen, lieber Freund,“ sagte Phöbe Hahnemeyer. „Sie müssen es aber mehr als den gewöhnlichen Gruß sein lassen, Volkmar, und Frieden mit uns machen. Sie haben mir eben keine guten Stunden zu so gutem Wunsche bereitet. Zu dem Vorsteher haben Sie gestern Abend böse Worte gesprochen, zu meinem Bruder in der Nacht noch viel bösere, und auch den Herrn Doktor Hanff, der doch ebenfalls immer Ihr Freund gewesen ist, haben Sie höhnisch angelassen, Herr Fuchs. O bitte, thun Sie nun so nicht zu mir!“

„Gewiß nicht, Fräulein; – habe ich denn das je gethan?“

„Nein. Und deßhalb habe ich auch keine zu große Angst bei den Nachrichten der Männer gehabt, die Sie von dieser Stelle weggeschickt haben. Die haben es nur nicht recht anzufangen gewußt, habe ich mir gedacht, und deßhalb bin ich jetzt auch zu Ihnen gekommen, um mit Ihnen zu sprechen.“

„Es wird aber auch Ihnen nichts helfen, Fräulein Phöbe, wenn es über das alte Thema ist. Und dann – dann weiß ich auch nicht, wer der Herr da bei Ihnen ist, und weßhalb er mir die Ehre bei so gefährlichen Umständen schenkt, oder was er sonst beim Räkel zu suchen hat. Kommt er vielleicht schon vom Amte?“

Phöbe sah auf den Begleiter, wie um ihn zu bitten, sie zuerst reden zu lassen.

„Er hat, da er von Ihrem Schicksal und Verlust gehört hat, Mitleiden mit Ihnen wie so viele Andere. Auch er möchte gern Ihnen und uns zu Hilfe kommen. Er hat auf der Reise zufällig bei uns vorgesprochen und meinen Bruder als seinen Jugendfreund von der Universität her besucht und die Nacht bei uns zugebracht. Da hat er Alles von Ihrem großen Unglück gehört, und gestern, als Anna gestorben ist und ich zu spät gekommen bin, hat er vor Ihrer Thür gesessen und ist mit mir nach Hause gegangen und kennt Ihre ganze Geschichte. Und da der Vorsteher, wie Sie ja wissen, Volkmar, in allen Geschäften das Herz auf dem Aermel hat, so weiß dieser Herr, der Herr Professor von Bielow, auch in unseren Geldsachen Bescheid und weiß, daß mein Bruder und ich wohl so arm sind wie Sie, Herr Fuchs. Und so hat er aus mildem Herzen seine Aushilfe uns und Ihnen angeboten. Und nun komme ich mit ihm und bitte, daß Sie ihm erlauben wollen, daß ich meine arme liebe Anna in den Sarg legen helfe, den er für sein Geld uns anschaffen möchte.“

Der Bewohner der Köthe, ohne seine Arbeit an seiner europäischen Todtenmatte einzuhalten, betrachtete sich den Gast von Neuem von oben bis unten und wieder von unten bis oben; dann murmelte er:

„Das ist auch nur ein Reisespaß! Als mich der Herr Graf meines schönen Bartes wegen aufs Probejahr mit in die Residenz nahm, habe ich dergleichen wohl erfahren und auch selber ein paar Male dabei mithelfen müssen. Das ist mir nichts Neues, welche Späße sich die Herrschaften aus Langerweile zu machen belieben. Das hilft der Anna und mir und den Kindern gar nicht aus der Aergerniß! … Daß er, der Herr, sich auch vor der Ansteckung vom Fieber durch uns nicht fürchtet, das wäre schon etwas mehr; aber es ist doch auch nichts. So kouragierte Herren giebt es viele in der Welt. Ist Einer und bedeutet Einer in der Welt was, so macht sich das, wie ich aus meinen Kriegsherrendienstjahren in Erfahrung habe, ganz von selber. Und – Fräulein, mein liebes Fräulein Phöbe, kouragierte Frauen sind ihrer noch viel mehr. Wenn es hier und dies Mal auf die Kourage ankäme bei Tagen und Nächten, liebstes Fräulein, wen brauchten Sie da noch zur Hilfe, um den Volkmar Fuchs aus seinem Zorn und Gift zu reißen? Schönen Dank, Herr; aber die Fee will ihren Sarg nicht geschenkt.“

Phöbe legte dem Mann, mit dem sich jetzt in seiner Gelassenheit noch viel übler handeln ließ, als in seiner Wuth, die Hand auf die Schulter:

„Volkmar, Volkmar, wie unsere Todte, unsere Anna in ihren letzten schlimmen Träumen gesprochen haben mag, Sie sollen jetzt nicht so ihre armen kranken Worte festhalten und für ihren Willen eintreten. Der Herr, der allmächtige Gott, hat seinen Willen kundgethan; er hat die Gedrückte und Umgetriebene ihrer Ketten entledigt und ihrer Bangigkeit und ihren Schmerzen auf Erden Einhalt gethan: armer Mensch, wer giebt Ihnen das Recht, jetzt noch im Namen Ihrer Frau für diesen armen Staub zu sprechen?“

Der Räkel hatte sich unter der leichten Hand geduckt und den Kopf tiefer auf sein Geschäft gebeugt, nun stand er auf von seinem Sitze und stand mächtig vor den Beiden.

„O Fräulein, ich sage mir das ja selber; aber es hilft mir nichts, selbst wenn Sie es mir sagen. Es ist ja nicht der Sarg und seine Kosten, es ist der Platz! Ich bin ein wilder Mensch gewesen, aber kein Vieh; sie aber haben uns, den Räkel, die Fee und ihre Jungen lange vor dieser Krankheit zu dem Vieh gezählt, und dabei soll es nun verbleiben. Wenn es so ist, wird Ihr Herrgott, bestes Fräulein Phöbe, die Anna Fuchs am jüngsten Gerichtstage auch im Walde finden; und ist’s so nicht, so ist’s so auch recht; – mir vollständig! Und was den Herrn Professor hier

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 496. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_496.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)