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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Kaiser und vor dem Präsidenten der Vereinigten Staaten erscheinen, und Napoleon III. hat ihn mit Vorliebe getragen.

Gewiß ist, man kann auch von dem Frack mit den Worten des Homer prophezeien:

„Einst wird kommen der Tag, wo verschwindet der schwärzliche Frackrock.“

Einstweilen aber erfreut sich das Kleidungsstück noch einer mächtigen Herrschaft, welche sich über alle fünf Welttheile erstreckt.

Gewiß hat Professor Bruno Meyer Recht: Ein schäbiger Frack ist etwas sehr Schäbiges. Gewiß ist es fast unglaublich, was selbst im amtlichen Verkehr für verwahrloste Fräcke zum Vorschein kommen. Aber die schlimmsten, nämlich die „juristischen Fräcke“ sind ja durch die Talare beseitigt, welche so Vieles „gnädig verhüllen“. Allein, wie ist es denn mit dem Cylinder? Ist etwa ein schäbiger Cylinder weniger schäbig, als ein schäbiger Leibrock?

Ohne Zweifel giebt es auch viel geistreiche Männer, welche den Frack für „sinn- und geschmacklos“ erklären. Allein was beweist das? Seit den Zeiten der alten Griechen und Römer waren die Kleidungsstücke, welche der „gute Ton“ vorschrieb und die in der vornehmen Gesellschaft erfordert wurden, selten sehr sinnreich oder geschmackvoll. Um sich davon zu überzeugen, braucht man nur die großen Kostüme-Werke von J. H. von Hefner-Alteneck, oder von A. von Eye und Jakob von Falke durchzublättern.

Auch Das muß zugegeben werden, daß der Frack einigermaßen „abweicht von den im gewöhnlichen Leben üblichen Kleiderformen“. Allein hat er das nicht gemein mit den Festkleidern aller Zeiten und aller Völker? Und ist das nicht gerade der Beruf und die berechtigte Eigenthümlichkeit des festlichen Gewandes, daß es abweicht von den Arbeits- und Werkeltagskleidern?

Endlich gebe ich bereitwillig zu: der Frack ist vielfach mißliebig, besonders in Deutschland. Dies hat aber seinen Grund weniger in den soeben hervorgehobenen Ausstellungen, als vielmehr darin, daß man bei uns sehr oft in Zweifel geräth, wann man im Frack erscheinen muß und wann nicht. Es hat sich darin eine unzweifelhaft und überall feststehende Lebensgewohnheit noch nicht ausgebildet. Allein daran ist nicht der Frack schuld. Derselbe Mangel zeigt sich auf vielen anderen Gebieten der Sitten und Gepflogenheiten. So ißt bei uns z. B. Jeder zu einer anderen Stunde zu Mittag. Nicht einmal in einer und derselben Stadt und in einer und derselben Gesellschaftsklasse herrscht die nämliche Stunde als Regel. In Berlin muß ich erst Erkundigung einziehen: „wann speist der Mann?“ – wenn ich ihn besuchen will, ohne zu stören. Diese Mannigfaltigkeit erschwert uns das Zusammenleben, während in England das Alles durch einen bei Allen gleichmäßig in Ansehen stehenden, wenngleich ungedruckten Sittenspiegel der Art einheitlich geregelt ist, daß ein Jeder weiß, was er zu thun und zu lassen hat. Jedermann weiß, daß er die Gabel nicht in die Rechte nehmen, daß er den Fisch nicht mit dem Messer traktiren, daß er überhaupt das Messer nicht nach dem Munde führen, und daß er nicht ohne Frack und nicht mit bunter Kravatte in dem Parterre der großen Oper erscheinen darf, ohne zu riskiren, daß er nicht mehr als Gentleman gelte. Vielleicht könnte man durch Vereine für einheitliche Regelung unserer Gesellschaftsgewohnheiten wirken. Aber auch Tausende deutscher Vereine vermögen nicht die Stellung des Fracks zu erschüttern. Denn diese Stellung ist nicht deutsch, sondern international, ja europäisch oder vielleicht gar tellurisch. Pflegt doch selbst King Bell in Kamerun bei großen Feierlichkeiten ausschließlich im Frack zu erscheinen!

Jedenfalls hat der Frack, wie er jetzt ist, zwei große Vorzüge vor allen seinen Vorgängern: es kostet wenig Geld ihn anzuschaffen, und wenig Zeit, ihn anzuziehen.

In England sagt man: Das Parlament kann Alles, nur nicht aus einer Frau einen Mann machen.

In Deutschland könnte man sagen: Der Reichskanzler kann Alles; aber den Frack abschaffen, das kann auch Er nicht.


Unruhige Gäste.

Ein Roman aus der Gesellschaft.
Von Wilhelm Raabe.
(Fortsetzung.)


11.

Ich meine,“ sagte Veit, „wir lassen nunmehr den Bruder und meinen guten Freund Prudens für die nächsten Wege ebenfalls noch ganz aus dem Spiel; außer daß wir ihm vielleicht eines von diesen Kindern schicken, um ihm zu bestellen, daß auf der Vierlingswiese Alles in Ordnung gebracht sei. Es giebt wohl noch einen anderen Weg zum Vorsteher und dem Meister Schreiner im Dorfe, als den an der Pfarre vorüber?“

Phöbe nickte und sagte:

„Wie Sie wünschen. Ich bin so glücklich und Ihnen so dankbar!“

„Weil ich Ihnen in der Thorheit und im leeren Pathos des Moments eine Grabstelle auf dieser schönen Erde, inmitten dieses holden Sommers und in der Blüthe Ihrer neunzehn Jahre im Voraus mit Beschlag belegt habe?“ murmelte Veit, jetzt mit innerlichstem Selbstvorwurfe das eben im Sturm Vorübergerauschte überdenkend und vergebens versuchend, es sich zum gegenwärtigen und – künftigen Behagen zurechtzulegen.

Doch die Schwester seines Jugendfreundes lächelte:

„Ich bin wohl, wie Sie ja auch schon wissen, etwas älter. Auch das Uebrige wird Gott fügen, wie er will. Was Sie mir geben wollen, wäre nur ein Geschenk wie jedes andere. Es würde wirklich der erste Fleck Landes sein, der mir als Eigenthum gehörte; aber ich weiß ja so wenig wie Sie, ob wir noch Anspruch daran und Gebrauch davon machen können, wenn der Herr gesagt hat: ‚es ist Zeit; kommt!‘“

Sie sprach Dieses bereits vor der Thür der Hütte, mitten im blühenden Leben und Sonnenschein der Sommertagswelt. Viele Menschen hatte ihr Begleiter auf seinen Wanderungen durch die Städte und Länder kennen gelernt und hatte sie reden hören; aber Niemanden gleich dieser Idiotenlehrerin aus Halah. Und wie es um das Eigenthum und den Besitz auf Erden stand, das war ihm auch nie so deutlich geworden, wie jetzt, wo die Aufregung der vorigen Minuten sich gelegt hatte und er sich bei voller Besinnung für alle Zeit als ihr Eigenthumstheilhaber und Grund- und Bodennachbar gebunden empfand.

Er bot ihr nun nochmals seine Hand beim Ueberschreiten des kleinen Wasserlaufes auf der Wiese, und sie nahm sie jetzt und ließ ihm, ohne Scheu, in tiefen Gedanken, die ihrige bis unter die einzelnen Tannen, dem Dorfe zu. Von dort gingen sie, jedes für sich, auf dem andern Wege ins Dorf, um mit dem Vorsteher und dem Meister Tischler zu reden; und fast aus jedem Hause und über jeden Zaun blickten ihnen respektvolle Gesichter von Alt und Jung entgegen und nach, und Einer sprach zum Andern:

„Das ist der fremde Herr, der sich auf der Pläsirreise die Unkosten machen und die Fee begraben will!“

Bei dem Vorsteher trafen sie den Gemeinderath fast vollzählig beisammen; und Veit erfuhr wiederum, aber zu geringer Verwunderung, in welcher übeln Stimmung sich das Dorf gegen seinen Pastor verhielt, und wie der Letztere eigentlich nur durch seine Schwester vor einer offenen Rebellion seiner Gemeinde gegen ihn bewahrt wurde. Aber Alle waren selbstverständlich höchlichst damit einverstanden, wie nunmehr dem Besen ein Stiel gegeben werden und der nichtsnutzigen Affaire mit dem Volkmar Fuchs zu einem friedfertigen Ende verholfen werden sollte. Alle versprachen gern, ihr Bestes zu thun, daß das Begängniß von der Vierlingswiese her ohne unnöthiges Zudrängen vom Dorfe aus ablaufe – womöglich am nächsten Morgen schon, in der frühesten Frühe. –

Beim Vorsteher hielten sich Veit und seine Führerin nicht länger auf, als unumgänglich nöthig war. Sie gingen nunmehr zu dem Schreiner, und der Gastfreund fragte:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 509. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_509.jpg&oldid=- (Version vom 28.3.2024)