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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

der scharfe zischende Ton eines Wasserstrahles dazwischen. Trudchen zitterte, eine furchtbare Mattigkeit war über sie gekommen, in ihren Schläfen pochte das von Angst und raschem Lauf empörte Blut; der Brandgeruch benahm ihr fast den Athem.

Und dort saß sie unbeweglich und schaute auf die Treppe, die zum Gartensaal führte. Stufe um Stufe verfolgten ihre Augen und blieben an der Thür hängen. „Dort hinauf! dort hinein!“ pochte das Herz, aber wie mit eisernen Klammern hielten Stolz und Scham sie fest.

Allmählich war es stiller geworden auf dem Hofe, dann näherten sich Schritte, feste elastische Schritte. Mit raschem Griff packte Trudchen den Hund am Halsband. „Kusch, Diana!“ rief sie, heiser vor Schrecken. Und nun trat eine Gestalt in den hellen Schein der Fenster und ging, nahe an ihr vorüber, ins Haus hinein.

Franz! Er lebt – Gott sei Dank! Aber er war verletzt, er preßte den Arm so sonderbar an sich. Ja, er lebte! Und nun, nun konnte sie wieder gehen, still und unbemerkt, wie sie gekommen. Dort innen waren ja Hände, die ihn verbinden würden, die –

Wie ein Schüttelfrost jagte es wieder durch ihren Körper. „Komm!“ sagte sie zu dem leise winselnden Hunde, und sie stand auf und wollte in den dunklen Gartenweg biegen, aber das Thier zog ungestüm dem Hause zu, und als wisse sie nicht, was sie thun solle, ging sie vorwärts neben ihm.

Jetzt stand sie vor den Stufen, nun trat ihr Fuß schon darauf. Nur einen Blick dort hinein, nur sehen, ob er sehr leidet, daß er wirklich lebt! Und das ungeduldige Thier noch fester packend, kam sie mit unhörbarem Schritt über die Steinfliesen; und nun lehnte sie an der Thürpfoste und spähte durch die Scheiben in zitternder Aufregung, scheu wie eine Diebin, sehnsüchtig wie ein Kind am Weihnachtsabend.

Das Zimmer wie sonst, die Tapeten, die Bilder. Alles wie sie es verlassen, darinnen Menschen, die geschäftig hin und her eilten, und am Tische dort vor der Lampe, da saß er, das Gesicht voll der Thür zugewandt, schmerzverzogen und blaß. Und neben ihm, sich über ihn beugend mit der ganzen bezaubernden Anmuth einer sorgenden besorgten Frau, das kleine flinke Geschöpf im schwarzen Kleidchen und weißer Schürze, das Schlüsselbund im Gürtel, seinen Arm verbindend. Wie geschickt sie den Leinwandstreif legte, mit wie spitzen behenden Fingerchen sie die Binde befestigte, wie ihr dunkles Haar fast sein Antlitz streifte!

Und das mußten andere Hände thun als die, die hier draußen sich in einander rangen?

Da winselte es freudig neben ihr und riß sich los mit gewaltigem Ruck von ihren zitternden Fingern, und der Hund sprang gegen die Thür, daß sie klirrend erbebte. In schreckenvoller Hast wollte sie fliehen, aber sie fand nicht die Kraft; der Boden schien unter ihren Füßen zu schwanken, mit vergehenden Sinnen hörte sie noch, wie die Thür hastig aufgerissen wurde, dann schwand ihr das Bewußtsein!


Trudchen erwachte, als eben der Tag zu dämmern begann, aus tiefem traumlosen Schlafe. Sie war nicht krank, und sie wußte ganz genau, was mit ihr vorgegangen gestern Abend. Sie lag in Tante Rosa’s Zimmer auf dem Sofa; über ihr lächelte die Urahne in der Puderfrisur, und das ganze rosenbekränzte wunderliche Zimmerchen stand in purpurrothem Morgenscheine.

Zu Füßen des Lagers auf einem niedrigen Schemel saß ein junges Mädchen in schwarzem Kleidchen und weißer Schürze; der dunkle Kopf war gegen die Sofalehne gesunken, die Kleine schlief süß und fest.

Leise erhob sich die junge Frau. Man hatte ihr gestern Abend die durchnäßten Kleider ausgezogen und sie in einen Schlafrock gehüllt; es war ja noch allerhand Garderobe von ihr in Niendorf, auch die schmalen Pantoffeln fand sie vor dem Lager, in welche sie sonst beim Aufstehen zu schlüpfen pflegte. – Sie war sehr eilig und sehr behutsam, um das Mädchen nicht zu wecken. Wie sie aber leise die Thür aufklinkte, fuhr die Schlafende empor, und ein Paar verwunderte dunkle Augen schauten Trudchen an.

„Wo wollen Sie denn hin?“ fragte die klare Stimme.

Trudchen blieb zögernd stehen.

„Herr Linden ist so spät erst schlafen gegangen,“ fuhr Heidchen Strom fort, „er hat bis vor einer Stunde hier an Ihrem Lager gesessen – Sie wollen ihn doch nicht wecken? Es ist kaum vier Uhr.“

Ein Paar feste kleine Hände zogen die junge Frau von der Thür fort und drängten zum Sofa, und im Widerspruch zu den kindlichen Worten schauten sie ein Paar ernste Augen an, und die sagten deutlich: „Thue was Du willst – fort lasse ich Dich nicht!“

Trudchen saß wieder auf dem improvisirten Bette und biß sich die Lippen wund; das junge Mädchen aber machte sich am Nebentische zu schaffen, und bald durchzog würziger Kaffeeduft das Zimmer.

„Hier!“ sagte sie und bot der jungen Frau eine Schale des heißen Getränkes, „nehmen Sie. es wird Ihnen gut thun. Ich habe Herrn Linden auch Kaffee gekocht in der Nacht; – trinken Sie nur ruhig aus, es ist seine Tasse und ein Anderer hat sie nicht an dem Munde gehabt.“

Und als Trudchen schwieg und die Tasse, ohne zu trinken, in der zitternden Hand hielt, fuhr die Kleine fort, ohne darauf zu achten:

„Ja, das war ein böser Tag gestern, das furchtbare Wetter und der entsetzliche Schlag, und im Nu stand die große Scheune in Flammen, und ehe Hilfe kam, da brannte schon die andere, und mit Müh’ und Noth sind die Thiere gerettet. Wenn Herr Linden nicht so ruhig war und so besonnen, es hätte schrecklich werden können! Aber der ging in den Pferdestall, als ob nicht schon die Flammen hinter ihm drein züngelten, und da hat er den Gäulen das Geschirr aufgelegt, und die vorher nicht heraus zu kriegen waren, gingen mit ihm ruhig unter dem brennenden Vordache hin wie die Lämmer. Und, denken Sie nur, als nun der Tumult am allergrößten und die Flammen die sprühenden Garben in die Luft warfen, als wären es Raketen, da schreit etwas so gar arg und jammervoll aus der Luke des Futterbodens, und da ist es Lore, die große Bernhardinerhündin, die da oben ihre Jungen hat. Und wie die unvernünftige Kreatur die Menschen um Erbarmen anflehte! Ich hörte vom Fenster aus, daß Keiner hinauf wollte. ‚Um so ein Vieh!‘ sagten sie Alle. Und da auf einmal sehe ich eine Leiter, und eins – zwei – drei – eine Gestalt oben in den Flammen verschwinden. Was meinen Sie, Herr Linden hat sie Alle geholt, die Alte und die Jungen – Alle!“

Die Augen der Kleinen funkelten in Thränen. „Aber an seinem Arme spürt er es freilich,“ setzte sie hinzu, „und es war doch nur ein Hund, gelt, was könnte der erst für einen Menschen thun! – Tante Rosa war so böse mit ihm und sagte, als er blaß und von Schmerz gepeinigt herunter kam, er hätte verunglücken können. Da meinte er, so ein dummes Ding, wie sein Leben, wäre keinen Pfifferling werth! Und gerade wie er es heraus hatte, da kratzt die Diana so ungestüm an der Saalthür, und da stürzte er hin, daß ich meine, es habe wieder eingeschlagen, und wie ich hinterher renne, da hatte er Sie schon in dem gesunden Arme und sagte, er hatte es gewußt, er hätte es gewußt, daß Sie kommen.“

Trudchen stand nun doch auf und schritt zur Thür. Aber siehe, da kam ein anderes Hinderniß. Das war Tante Rosa, die aus ihrer Schlafstube trat im wunderlichsten Negligé und der riesigsten weißen Schlafhaube, die je eine alte Dame getragen. Sie nickte Trudchen zu und legte die kleine welke Hand auf ihre Schulter.

„Der liebe Gott giebt dem verstockten Herzen immer einen Fingerzeig,“ sagte die uralte Frau. „Ja, in der Noth, da wachsen dem Herzen Flügel, damit es sich hinweg heben kann über all das kleinliche Gerümpel von Stolz und Trotz. Es war gerade noch vor Thoresschluß, mein liebes Kind, denn gestern Nachmittag, nachdem ein gewisser Jemand eine Unterredung mit ihm gehabt, da habe ich die Hände gefaltet und gebetet, daß dem Manne Kraft gegeben werde, den Schlag zu ertragen. – Es sah nicht aus danach, als könnte er darüber fortkommen.“

Heidchen Strom ging jetzt leise aus der Thür, und die alte Frau blieb vor dem schönen jungen Weibe stehen, und unter ihrer mageren durchsichtigen Hand schien die hohe Gestalt fast zusammen zu sinken. Aber keine von Beidem sprach. Das Frühroth

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 518. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_518.jpg&oldid=- (Version vom 28.3.2024)