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verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

fünf Welttheile, und heute, wenn ein schwarzer afrikanischer König sich ganz fein machen will, schmückt er sein krauses wolliges Haupt mit dem Cylinder.

Damals aber, im vorigen Jahrhundert, war das Vordringen für den jetzt herrschend gewordenen Cylinder so leicht nicht. Er galt in den monarchisch regierten Ländern Europas, wo man von der anfänglichen Bewunderung der französischen Revolution zu Furcht und Entsetzen übergegangen war, für revolutionär, wenigstens für verdächtig. Er wurde Gegenstand polizeilicher Ueberwachnng oder Verfolgung. Hin und wieder erfolgten sogar auch Verbote, so z. B. durch einen Ukas des Kaisers Paul von Rußland, der den runden Cylinder als die Tracht der Jakobiner bezeichnete. Allein der Cylinder, obgleich er sich weder durch Zweckmäßigkeit noch durch Schönheit zu empfehlen wußte, war stärker, als die Verfolgungen und die Verbote. Er verstand es, sich Bahn zu brechen, allerdings nur dadurch, daß er immer mehr darauf aus war, seinen republikanischen Ursprung zu verleugnen, Der gelehrte und geschmackvolle Kulturhistoriker Jakob von Falke erzählt uns höchst merkwürdige Geschichten über die revolutionäre Anrüchigkeit des Cylinders am Ende des vorigen Jahrhunderts, von welchen ich hier nur zwei mittheilen will.

Im Jahre 1798 schreibt ein „kuriöser“ Reisender:

„Der runde Hut gewinnt alle Tage mehr Platz im Anzuge der Männer, selbst in den obersten Klassen. Bald wird der dreieckige aus seinem sonst so wohl begründeten Besitzthum fast ganz verdrängt und nur noch der Gefährte des Amtsrockes, des Staatskleides und der militärischen Uniform sein.“

In diesem Sinne hatte damals unter Anderm auch ein Engländer den sonderbaren Einfall, eine politische Karte von Deutschland zu entwerfen, auf welcher er den vorherrschenden Stand der revolutionären und monarchischen Gesinnungen der deutschen Städte durch einen beigesetzten runden oder dreieckigen Hut bezeichnete. Er sei auf die Hüte gereist, sagte er. In Hambnrg sei ein Huttriangel eine wahre Seltenheit, in Berlin wollte der runde Hut, vermuthlich weil das Militär dort herrschender sei, schon weit weniger gedeihen, und in Dresden getraue sich der Beamte und schon in reiferen Jahren stehende Mann, den respektswidrigen runden Hut höchstens bei einer Landpartie aufzusetzen.

Nun, dieser respektswidrige Cylinder von 1798, heute, 1885, gehört er zu den unerläßlichen Bestandtheilen eines salonfähigen Anzugs. Bei Hof, bei Feierlichkeiten, bei Festlichkeiten, in der guten Gesellschaft – überall ist der Cylinder unentbehrlich.

Ja, er gilt für loyal und konservativ, für ein Zeichen „guter Gesinnung“.

Bis zum Jahre 1848 trugen wir Alle entweder Cylinder oder „Kappen“, das ist Mützen. Die unteren Klassen und die Jugend trugen Mützen, zuweilen Zipfelmützen. Die mittleren und höheren Klassen trugen Cylinder, und zwar die Wohlhabenden neue und feine, die Aermeren alte oder solche, die der neuesten Façon nicht mehr entsprachen. Wenn’s nur ein Cylinder war! Das genügte.

Das Alles wurde über Nacht anders. Seit den Märztagen von 1848 galt der unschuldige Cylinder für frivol, für reaktionär und Wer weiß was, und dieweil damals ein Jeglicher für möglichst freisinnig gelten wollte, so verschwand die „Angströhre“ von den Häuptern der Menschen. „Angströhre“ – so nannte man nämlich damals diese Hüte, obgleich im Gegentheil schon ein gewisser Muth dazu gehörte zu jener Zeit, den von der öffentlichen Meinung verpönten Cylinder zu tragen.

An seine Stelle traten Hüte von allerlei Arten, insbesondere alle möglichen und unmöglichen Arten von Schlapphüten; und der boshafte und witzige, dabei aber von Statur kleine und bucklige Abg. Detmold von Hannover, der in dem Frankfurter Parlament saß und dort (wie denn ein Jeder der verehrlichen Mitglieder irgend einen Spitznamen führte) „das kleine Laster“ genannt ward, hat uns eine schnurrige Geschichte hinterlassen, in welcher der Hut – sowohl der Cylinder, wie auch der Schlapphut – eine beinahe welthistorische Rolle spielt. Das Buch heißt „der Piepmeier“ und ist von dem Düsseldorfer Maler Schrödter, dem wir unter Anderem auch die schönen Bilder von dem sinnreichen Junker und fahrenden Ritter Don Quixote von der Mancha und von Sir John Falstaff, dem witzreichen Fettklumpen und unermeßlichen Sekt-Vertilger, verdanken, vortrefflich illustrirt. Der „Held“, Piepmeier, ist ein erst spät durch eine Nachwahl in die Paulskirche gelangtes „verehrliches Mitglied“, das zu schönen Hoffnungen berechtigt, aber leider nicht weiß, ob es konservativ oder liberal, ob es konstitutionell oder radikal ist, und, um es mit Niemand zu verderben, sich nach der wechselnden Stimmung des Tages einzurichten bestrebt ist. Hier interessirt uns vor Allem sein Hut, welchen er als Thermometer des Tages, oder als den Laubfrosch des wechselnden politischen Wetters behandelte. Der Mann war als ein „Notabler“ des Ackerstädtchens, wo er wohnte und wo er gewählt wurde, angelangt mit einem Cylinder. Allein als praktischer Mann sah er bald ein: dieser Standpunkt ließ sich in Frankfurt nicht behaupten. Er kaufte sich daher bei einem Frankfurter Hutfabrikanten einen großen mächtigen, breitrandigen Schlapphut, indem er bei Abschluß des Kaufes den Verkäufer verpflichtete, auf sein Verlangen an dem Hut diejenigen Veränderungen vorzunehmen, welche „nach Maßgabe des jeweils herrschenden Zeitgeistes nothwendig oder nützlich erschienen“. So setzte sich der Abgeordnete Piepmeier in vollständige Uebereinstimmung mit seinem Hute.

Dieses Kleidungsstück, welches sein erleuchtetes Haupt zierte, war biegsam und schmiegsam gleich seinem Charakter. Wie sein Herz von jedem Windhauche des Tages bewegt wurde, das heißt entweder mehr rechts-, oder mehr linkswärts getrieben, so nahm auch sein Schlapphut, je nachdem die Stimmung sich mehr in konservativer oder in revolutionärer Richtung bewegte, entweder eine mehr unbiegsame steife oder eine mehr nachgiebige oder verbogene Form an. Sein Hut und sein Herz wetteiferten in Nachgiebigkeit gegen jeden wirklichen oder vermeintlichen Umschlag der öffentlichen Meinung. Als von Paris die Nachricht einlief, es sei dort die rothe Revolution ausgerufen und der Prinz-Präsident fortgejagt oder verhaftet, wirft Piepmeier in seinem Schlafkämmerlein seinen Hut, der vorher zu einer etwas steiferen Form ausgebügelt und aufgerichtet worden war, auf die Erde und bringt ihm durch unbarmherzige Fußtritte eine „zeitgemäßere“ proletarische Form bei. Als aber am andern Tage die Nachricht widerrufen und von allen Ländern – von Frankreich, von Spanien, von Ungarn, von Italien – ein Rückgang der Bewegung gemeldet wird, da geht der ehrenwerthe Piepmeier zu seinem Hutmacher, welcher den Hut wieder frei macht von den Spuren der nächtlicher Weile erlittenen Fußtritte und ihn wieder in eine solide reputirliche Form bringt. Endlich aber, als Piepmeier die Ueberzeugung gewinnt, daß „der Sieg der Reaktion leider nicht mehr zu bezweifeln“, zeigt er der Nationalversammlung seinen Austritt an, indem er zugleich bei seinem Frankfurter Geschäftsfreund und Hutfabrikanten den schmiegsamen Schlapphut umtauscht gegen einen hartgesottenen unbeugsamen Cylinder.

Damals, 1849, wies man in der Paulskirche auf diesen oder jenen Abgeordneten mit dem Finger: „Der ist es, der dem boshaften Detmold zu seinem Piepmeier Modell gesessen.“ Namentlich waren die Herren, deren Name eine Zusammensetzung mit „Meier“ als den beiden letzten Silben bildete, vor böswilliger Mißdeutung nicht sicher.

Indessen kann ich mich hier, wo ich einen Beitrag zur Philosophie der sich in Kleidnngsstücken offenbarenden Geschichte der Menschheit schreibe, auf solchen untergeordneten persönlichen Anekdoten-Kram nicht weiter einlassen, sondern gehe über zur Erzählung zweier, von mir selbst erlebter Ereignisse von diametral entgegengesetzter Richtung, wovon das eine 1850 in Heidelberg und das andere 1856 in der ungarischen Hauptstadt Budapest spielte.

Es war im Frühjahr 1850. Wir passirten Heidelberg, mein Freund E. und ich, und wollten dort einen Tag lang unsern Studenten-Erinnerungen nachgehen. Kaum hatten wir die Eisenbahn verlassen, so stürzte sich ein Polizeidiener auf meinen Freund und riß ihm seinen Schlapphut vom Kopfe. Mich ließ er in Ruhe, denn ich trug einen Cylinder. Mein Freund war sprachlos; der Polizeidiener war in einer Aufregung, als wenn er eben einen Mörder auf frischer That betroffen hätte. Ich intervenirte und fragte den Vertreter einer hohen Obrigkeit nach den Gründen seines Verfahrens. „Diese Hüte,“ sagte er, „sind strengstens verboten, sie sind das Abzeichen der Revolution.“ (Man erinnere sich, daß das Jahr zuvor im Großherzogthum Baden eine Militär-Emente stattgefunden hatte.) Ich sagte ihm, wir seien Fremde und des Verbotes unkundig. „Ja, aber Sie tragen doch einen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 522. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_522.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)