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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Ja, sie war es, und während sie mit meiner Wirthin redete, schienen ihre feuchtglänzenden Gluthaugen ein nicht vorhandenes Etwas zu suchen. … Natürlich sagte mir mein eitles Herz, daß ich dieses Etwas sei, aber ich zeigte mich nicht, weil ich das wundersüße Kind zu verscheuchen fürchtete, und erst, als ich keine Zeit mehr zu verlieren hatte, wenn ich einen „Guten Morgen“ überhaupt anbringen wollte, rief ich meinen Gruß, strahlend vor Glück und Liebe, hinunter und trat dabei dicht an mein geöffnetes Fenster.

Zacharula erröthete bis an die Haarwurzeln und ließ vor Verwirrung den Rechen fallen, mit dem sie im Garten herum hantirt hatte. Wir wechselten einige flüchtige Reden, dann aber rief mich meine Pflicht in den Konak des Kaimakams.

Der türkische Würdenträger hatte alle Ursache mit mir zufrieden zu sein; denn als er nach Art seiner Landsleute heute einen Nebenpunkt, an den bis dahin Niemand gedacht hatte, hervorholte und, um die Sache in die Länge zu ziehen, dessen gründliche Untersuchung und Aufklärung verlangte, stimmte ich ihm unverzüglich bei und ging auf seine Verschleppungschicanen mit einer Bereitwilligkeit ein, daß der Moslem über seine Schlauheit und über den dummen Ungläubigen sich in die Brust gelacht haben mag. Ach, ich war nicht dumm – nie war ich das – aber ich war verliebt. Cyniker behaupten zwar, daß beides ein und dasselbe sei, aber sie irren.

Für den Nachmittag hatte ich mit dem englischen Konsul Mr. Abbott einen Ritt über Land verabredet, als ich aber kam, um ihn abzuholen, eröffnete er mir mit einiger Verlegenheit, ein guter Bekannter von ihm, der vor der Stadt ein Gütchen besitze, habe ihn für den Nachmittag zur Nußernte eingeladen. Nun wußte ich, daß der gute Abbott auf den Verkehr mit den Eingeborenen sonst nicht gerade viel gab, weil er als echter Engländer alles, was den heimischen Sitten widersprach, mit souveräner Verachtung zu behandeln pflegte.

„Was Sie sagen, mein Lieber!“ begann ich daher leichthin. „Wenn Sie aber wollen, daß Ihnen volle Entschuldigung für den begangenen Treubruch werde, so müssen Sie mir gestehen, welcher Magnet mit der Nußernte verbunden ist. Denn etwas derartiges verbirgt sich dahinter, sonst würden Sie doch lieber mit mir reiten, als da mit dem langweiligen Griechen Nüsse pflücken.“

Mr. Abbott erröthete ein wenig, und das stad seinem hübschen, frischen Gesicht viel besser als der Zug von insularem Hochmuth, der dasselbe für gewöhnlich entstellte. „Wissen Sie was, mein Freund?“ erklärte er sich zögernd, „kommen Sie mit mir, und Sie werden einsehen, wie Jone – ein entzückender Name, nicht so? – wohl verdient, daß man ihretwegen altbewährten Grundsätzen einmal untreu wird.“

Die Aussicht, mich da hinausschleppen zu lassen, um anzusehen, wie der lange Abbott einer kleinen Griechin den Hof machte, hatte für mich wenig Verlockendes; ich entgegnete daher trocken: „Sie sind außerordentlich gütig, aber ich muß doch danken. Ungeladener Gast zu sein, behagt mir nicht.“

„Ah bah!“ warf er ein. „Sie müssen da nicht mit den schwerfälligen europäischen Begriffen kommen. Ich stehe Ihnen dafür ein, daß Sie den liebenswürdigsten Empfang finden werden, wenn ich Sie bei Sidheridi’s einführe!“

Ja, das war ein Wort! Die Leute hießen Sidheridi! – Das änderte freilich die Sache! Aber waren es auch dieselben, meine Sidheridi’s? … Doch ich war nicht umsonst Diplomat, und vorsichtig tastete ich weiter: „Ja lieber Kollege, da will ich Ihnen denn schon den Gefallen thun und mitkommen. Aber – ich bringe Ihnen wirklich ein großes Opfer. Es ist wenig erfreulich zu fasten, wo andere an voller Tafel sitzen.“

„O, was das betrifft,“ rief er lachend, „da seien Sie ohne Sorgen! Die Sidheridi’s haben noch eine ganze Schar großer und kleiner Mädchen – drollige Menschen! Zwölf Kinder und lauter Töchter – und die nächstälteste, die nach Jone kommt – sie hat einen niederträchtigen Namen, den ein vernünftig organisirter Mensch schlechterdings nicht behalten kann – so was von Zucker, wenn ich nicht irre – würde ganz reizend sein, wenn sie nicht so sehr von Jone verdunkelt würde!“

„Das werden wir ja sehen,“ dachte ich ungläubig. „Diese Engländer haben meistens einfältigen Geschmack, erst recht wenn sie verliebt sind; immer bilden sie sich ein, daß ihre Mädchen die schönsten sind.“ Darin war ich freilich ganz anders geartet. Das war ja einfach lächerlich! Ich würde es sofort nicht nur eingesehen, sondern auch offen eingestanden haben, wenn eine Schönere neben Zacharula gestanden hätte; aber daran war natürlich gar nicht zu denken; das war eben einfach unmöglich.

Wir ritten also hinaus, und unvergeßlich wird mir der liebliche Anblick sein, den die noch immer sehr schöne Frau Sidheridi inmitten des Kranzes ihrer blühenden Töchter gewährte. Der Empfang war ein so herzlich liebenswürdiger, daß wir keinen Augenblick darüber in Zweifel sein konnten, wie hochwillkommen wir waren, und trotz der umständlichen und schwierigen Sprachverhältnisse fühlten wir uns im Nu heimisch. Meine kleine Göttin war, als sie meiner ansichtig wurde, roth geworden wie eine Päonie, that aber, als sähe sie mich zum ersten Male. Ich hätte sie dafür todtküssen mögen, weil ich darin ein günstiges Zeichen für mich erblickte. Aber wie bodenlos verliebt mußte doch dieser Abbott sein! Es war denn doch zum Lachen! Gewiß, Jone war ein recht leidlich hübsches Mädchen, nur mußte man Zacharula nicht neben ihr sehen. Das war denn doch wie Tag und Nacht!

Abbott und ich wurden, als die erste Schüchternheit schnell überwunden war, von dem allerliebsten Völkchen umringt, das lachend, plaudernd und scherzend mit uns durch den Garten zog.

Welchen heillosen Unfug wir da den ganzen Nachmittag getrieben haben, ist mir kaum erinnerlich – Zacharula nahm zu sehr alle meine Gedanken in Anspruch – aber wir waren alle so harmlos glücklich wie im Paradiese. Bisweilen sonderten wir uns in Gruppen und vertheilten uns zwanglos in den gründämmernden Gängen des Gartens, bisweilen auch blieb eins oder das Andere zurück und mußte dann mit vieler Mühe wieder aufgefunden werden. Oder wir bildeten, den alten redseligen, ziemlich gut deutsch sprechenden Wirth an der Spitze, eine lange Polonaise, und es gab viel herzliches Lachen, wenn er im Eifer des Gespräches mit seiner Dame stehen blieb und gestikulirend durch die Luft focht; der ganze Zug mußte in Folge dessen gleichfalls stehen bleiben, weil der schmale Weg kein Vorüberschlüpfen duldete, bis der alte Herr, endlich aufmerksam werdend, mit einer griechischen Verwünschung weiter schritt.

Plötzlich, ich hatte soeben eine ziemlich weitschweifige, durch allerlei Gesten nur unklar verdolmetschte Auseinandersetzung eines Nachbars der Sidheridi’s glücklich aus dem Felde geschlagen – vermißte ich Zacharula, und was war da natürlicher, als daß nun auch ich schleunigst verloren ging, um das kleine herzige Geschöpf mit dem süßen Namen zu suchen wie eine Stecknadel. Ach, und die Situation, in der ich sie fand, war eine reizende. Sie saß dicht an dem kleinen spiegelklaren Weiher, der seitwärts den Garten begrenzte, auf einem Steine, hatte beide Hände um die Kniee geschlungen und schaute mit dem Ausdruck harmloser Freude in dem ideal-schönen Gesichtchen in das Wasser. Neugierig bei der Frage, was sie wohl dort so fesseln möge, schlich ich mich leise näher, und da bemerkte ich denn, daß sie die kleinen silbernen Fische beobachtete, die hier an einer ziemlich seichten Stelle, zwischen den durch das Wasser schimmernden Kieseln hin- und herhuschten und vor Lust und Freude über den goldenen Sonnenschein bisweilen hoch emporschnellten. Die Freude über dies kleine Stück Naturleben strahlte wie ein Licht aus den glänzenden Augen des Mädchens, als es mit der schlanken Hand ins Wasser deutete und in seiner Heimathsprache nur wenige Worte hinwarf, die ich nicht verstand und doch begriff. „Ist das nicht reizend?“ Diese Frage lag in dem unschuldigen Auge, und ich las sie ab von dem dunkeln, feuchten Grunde. Ja, sie war ein Kind, dem Körper nach halb, der Seele nach ganz, aber sie war ein vielversprechendes Kind, eine Knospe, die sich einst zur Wunderblume erschließen mußte. Als ich so vor ihr stand und ihr entzückendes Bild sich im Weiher spiegelte, von fern das melodische, gedämpfte Lachen glücklicher Menschen und das Rufen der Nüsse sammelnden Arbeiter und Dirnen schallte, da meinte ich wirklich im Paradiese zu sein und frug mich, ob ich nicht träume …

Und als wir dann zur Gesellschaft zurückkehrten, vermißte man Abbott und Jone, und wir huschten wieder davon, um sie zu suchen. Als ich der kleinen Griechin auf dieser Mission unter den rauschenden Nußbäumen leise in deutscher Sprache süße Liebesworte zuflüsterte, da ging es ihr wie mir vorhin am Weiher; sie verstand mich nicht, aber sie begriff mich sehr gut. Dann und wann fiel ein reifes Nüßchen warnend auf unsere Köpfe und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 639. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_639.jpg&oldid=- (Version vom 4.4.2024)