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verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

sich nur noch in Büchern wiederfindet, z. B. in dem, einem jeden das Ungarland bereisenden Deutschen auf das Wärmste zu empfehlenden Buche „Die Deutschen in Ungarn und Siebenbürgen“ von Professor Dr. J. H. Schwicker in Budapest – finden wir drei Völker vertreten: Magyaren, Deutsche und Bosniaken oder Serben. Die Bosniaken sind ein Niederschlag jener Türkenherrschaft, welche sich von der unglücklichen Schlacht bei Mohács – am 28. August 1526 – bis zur glücklichen bei dem nämlichen Mohács – den 12. August 1687, also länger als anderthalb Jahrhunderte über den größeren Theil von Ungarn erstreckt hat.

In allen Ländern, in welchen der Türke vormals geherrscht und dann, als er seine expansive Eroberungs- und Beherrschungskraft verloren, das Regiment an eine christliche Dynastie und an die eingeborene Bevölkerung hat abgeben müssen – in Griechenland, in Serbien, in Rumänien etc. – finden wir dieselbe Erscheinung. (Nur Bosnien-Herzegowina, wo Oesterreich das türkische Element der Bevölkerung mit kluger Rücksicht behandelt, macht eine Ansnahme.) Sonst geht der Türke, sobald er aufhört zu herrschen. Auf Negroponte z. B. wohnten viele Türken. Sie hatten dort großen Grundbesitz. Aber als das Land griechisch wurde, schnürte Einer nach dem Andern das Bündel und ging nach dem Lande seiner Väter, obgleich ihm die Gleichheit vor dem Gesetze garantirt war. Er konnte es nicht vertragen, daß ihm, der bisher hoch über Allen gestanden hatte, die Uebrigen gleichgestellt wurden – jene Uebrigen, welche er bis dahin die „Rajah“ (das ist die Menge oder das Gesindel) oder „die christlichen Hunde“ genannt hatte. So sind denn auch aus diesem Lande, als es wieder christlich und ungarisch wurde, die Türken, und namentlich die vornehmen Türken, abgezogen; man findet hin und wieder noch die Ueberreste einer Dschamiah (so heißt die Moschee auf Türkisch) oder einer Türbeh (das ist eines runden Grabmals) oder eines Minareh (die Schreibart „Minaret“ ist grundfalsch!); hin und wieder sieht man auch bei der jetzt lebenden Generation noch ein kühn geschwungenes türkisches Profil; auch giebt es noch Leute, welche den Namen Török (Türke) führen. Sonst sind alle Spuren der anderthalbhundertjährigen Türkenherrschaft in der „schwäbischen“ Türkei gänzlich verschwunden. Nur die Bosniaken, die Hintersassen, die erbunterthänigen kleinen Besitzer, welche mit den Türken gekommen, haben es vorgezogen, ihren Herren nicht zu folgen, sondern zu bleiben. Sie sprechen heute noch eine mit türkischen Worten versetzte slavische Sprache unter einander. Aber daneben sprechen sie Alle auch ungarisch. Kein Deutscher und kein Ungar hat es bis jetzt der Mühe werth erachtet, diese bosnische Sprache zu erlernen. Auch finden Heirathen zwischen Bosniaken auf der einen und Deutschen oder Ungarn auf der andern Seite nicht statt. Die Religion würde kein Hinderniß bilden. Denn sie sind heutzutage alle katholisch; die Bosniaken so gut als die Deutschen und die Ungarn; nur einige bosnische Familien sind dem griechischen Glauben, der in dem vormals byzantinischen Reiche herrschte, treu geblieben.

Was nun die Deutschen und die Ungarn in hiesiger Gegend anlangt, so sind dieselben auch äußerlich auf den ersten Blick zu unterscheiden, und zwar die Männer an der Form der Beinkleider. Nicht an dem Stoffe und nicht an der Farbe. Denn beide Nationen tragen weiß Leinen. Die „Gathjen“ genannten Beinkleider der Ungarn aber sind außerordentlich weit und kurz, so daß der Unkundige die Zweitheilung übersieht und meint, es sei ein weiblicher Unterrock oder eine griechisch-albanesische Fustanella, wie sie weiland König Otto von Griechenland auch noch in Bayern bis an sein Ende getragen. Der Deutsche aber trägt lange und enge Beinkleider wie wir im deutschen Reiche oder überhaupt im mittleren oder westlichen Europa. Deutsche wie Ungarn tragen kurze Jacken oder Kamisole, besetzt mit zahlreichen runden Knöpfen.

Auch die deutschen Frauen kommen in Schnitt und Farbe der Kleider den unsrigen näher. Die ungarischen Bäuerinnen dagegen lieben die lebhaften Farben. Namentlich Sonntags ist das Roth in allen möglichen Schattirungen vorherrschend. Auch sind sie so patriotisch, daß sie es lieben, die Landesfarben selbst in ihrer Kleidung in Anwendung und Ausdruck zu bringen, z. B. Grün das Kopftuch, Weiß die Jacke (oder das Hemd) und Roth den Rock. Oder umgekehrt. Die deutschen Frauen tragen meist schwarze oder dunkelblaue Kleider.

Die Deutschen sind von Körperbau breit und kräftig, die Ungarn schlank und zierlich. Auch die Bäuerinnen haben bei den Ungarn eine schöne, lebhafte und elastische Gangart. Freilich tragen sie auch keine dolchartigen Absätze auf der Mitte ihrer Schuhsohlen, wodurch der Gang erschwert und die ganze Figur aus ihrem natürlichen Gleichgewichte gebracht wird.

Auf dem Wege von Szigetvár nach dem Kastell Lindengrund passirten wir verschiedene deutsche und ungarische Dörfer, welche hier mit einander abzuwechseln pflegen und deren Bewohner sich vortrefflich mit einander vertragen. Nur in einem Falle gab es zuweilen Streit. Nämlich bei den Tanzlustbarkeiten. Da befehlen die deutschen Bursche den Zigeunern, einen Walzer zu spielen, und die jungen Ungarn verlangen den „Csárdas“ (sprich Tschardasch), jenen ungarischen Nationaltanz, den man schon so oft beschrieben – aber immer vergeblich; denn keine Beschreibung vermag einen Begriff von der Kraft und der Grazie dieses Tanzes zu geben, namentlich wenn er von den Damen in der Nationaltracht getanzt wird. Und doch ist es von Haus aus ein bloßer Bauerntanz. Er hat seinen Namen von der Csárda, der Straßen- oder Dorfschenke, in der er getanzt wird. Ja, wenn ich meine Wahrnehmungen über das Tanzen bei den verschiedenen Nationen Europas vergleiche, dann möchte ich sagen: Ueberall tanzt das Volk schöner, als die Vornehmen; überall ist der Tanz in der Schenke schöner, als der im Salon. Aber ich fürchte, man wird das für eine Schrulle oder gar für eine Unhöflichkeit halten. Und deßhalb will ich meine Bemerkung unterdrücken und nur so viel sagen:

Wenn hier zu Lande die jungen Bursche deutscher und österreichischer Nation auf dem Tanzboden über die große Frage: „Ob Walzer, ob Csárdas?“ mit einander raufen, dann wird der Besiegte depossedirt, das ist: an die Luft gesetzt. In der neueren Zeit aber kommt es nicht mehr zu Thätlichkeiten. Man pflegt sich im Guten zu vertragen und mit ungarischen und deutschen Tänzen abzuwechseln. Ein alter deutscher Bauer aber meinte, im Tanzen seien die Ungarn und im Raufen die Deutschen dem Gegner überlegen gewesen.

Auch die ungarischen und die deutschen Dörfer lassen sich auf den ersten Blick von einander unterscheiden, ebenso leicht wie die Form der Beinkleider ihrer Bewohner. Die ungarischen Dörfer sind unregelmäßig, die deutschen sehr regelmäßig gestaltet, und zwar in Gestalt der vielgliedrigen fränkisch-bajuvarischen Hufe. Ich muß dies für Diejenigen, welche die Geschichte der deutschen Agrarverfassung nicht studirt haben, näher erläutern und damit zugleich ein anschauliches Bild von den Dörfern der hiesigen Deutschen zu geben versuchen.

Sämmtliche Bauernhöfe reihen sich in den deutschen Ortschaften gleich einer Schnur an beiden Seiten der unmenschlich breiten Ortsstraße auf. Jedes Haus steht mit dem Giebel nach der Straße und erstreckt sich mit dem andern Ende in die Tiefe des Hofraums. Der Hofraum ist von den Oekonomiegebäuden umgeben und bildet ein Quadrat. Das Ganze ist eingeschlossen von Palissaden oder von einer lebendigen Hecke. Die Wohnhäuser sind alle ebenerdig. Sie haben eine Küche und zwei Wohnräume. Daneben zuweilen noch eine Altentheils- oder Aushaltstube für die Alten, die sich zur Ruhe gesetzt haben. Neben dem „trockenen Aushalt“ bedingt sich aber hier der alte Bauer, in dieser mit Wein gesegneten Gegend, auch noch einen nassen, nämlich jährlich 20 bis 30 Eimer Rebensaft (der Eimer hält 56 Liter). Es ist eine wahre Wohlthat, diese schönen alten „weingrünen“ (richtiger rosenfarbenen) Bauerngesichter zu sehen mit ihren lebhaft blitzenden großen Augen. So was vermag der heilige Gambrinus doch nicht zu leisten!

Zwischen und in den einzelnen Hofraithen stehen mächtige volllaubige Bäume: Maulbeeren, Akazien, Nuß und Zwetschen. Die Bäume schützen gegen den Wind, der hier oft mit solcher Heftigkeit auftritt, daß er die Dächer abdeckt, und gegen das Feuer, welches dadurch verhindert wird, auf den Nachbarhof überzuspringen.

Zum Häuserbau verwendet man keine Steine, welche hier rar sind, sondern Lehm, nichts als Lehm. Man stampft denselben zwischen zwei Brettern so lange, bis die Wand zu Stockwerkshöhe hinaufgestiegen. So wird das Haus in acht Tagen fertig, und erst nach der Fertigstellung der Wände schneidet man in dieselben die Löcher für Thüren und Fenster. Oben drauf kommt ein mächtiges, mit Lehm versetztes Strohdach, das im Sommer gegen die Hitze schützt und im Winter gegen die Kälte.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 671. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_671.jpg&oldid=- (Version vom 4.4.2024)