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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

hinnicktc: „Ah ja – der Finkenhof –“ schien die hohe, stramme Gestalt des etwa zweiundvierzigjährigen Mannes, der den um acht Jahre jüngeren Jäger ohnedies um eines halben Kopfes Länge überragte, noch zu wachsen.

Dieser Bauer paßte so recht zu seinem Hofe; er machte ein gar gefälliges Bild. Auf den breiten, massiven Schultern saß ein energischer Kopf mit einem scharf geschnittenen Gesichte, darin unter dichten Brauen zwei kluge, lebhafte Augen saßen; sie waren braun wie das Haar, das die knochige Stirn frei ließ, während es mit glatt gestrichenen Strähnen die Ohren völlig verhüllte; ein kurzer, dicht gekräuselter Bart deckte die Wangen; Kinn und Oberlippe waren glatt rasirt; die Lippen waren schmal und beinahe herb gezeichnet, aber die weichen Faltenzüge zu beiden Seiten des Mundes ließen errathen, daß diese Lippen ebenso geübt waren in guten, freundlichen Worten wie im strengen Befehlen.

Solch freundliche Worte waren es auch, mit denen er sich jetzt zu dem Jäger wandte, dessen Gestalt sich ansah, als wollte sie den Beweis führen, daß Knochen und Sehnen zur Bildung eines menschlichen Körpers völlig ausreichend wären. Wenn der Jäger den Kopf zur Seite drückte oder den Arm beugte, meinte man, es müßte dieser Kopf und dieser Arm im nächsten Augenblicke wie von Federkraft wieder in die gerade Lage zurückgeschnellt werden. Fingerdicke Sehnen zogen sich am Halse unter dem schwarzen, struppigen Vollbarte hervor gegen die Schultern und gegen die braune Brust, welche das graue, weit offene Wollhemd tief entblößte. Einem Sehnenbündel glich auch das schwarz behaarte Gelenk der nervigen Hand, die den mächtigen Bergstock gefaßt hielt. Die mit blanken Kappennägeln beschlagenen Schuhe, in denen die nackten Füße staken, mochten nach Pfunden wiegen. So weit die knochigen Kniee zwischen den grauen Wadenstrümpfen und der steifen, verwehten Lederhose sichtbar waren, zeigte sich ihre dunkle Haut bedeckt mit zahlreichen Narben. Die Flügel der dicken, ruppigen Lodenjoppe standen wie zwei Brettstücke von den Hüften ab, und nur widerwillig krümmte sich das rauhe Tuch um die Schultern, welche die Last des bauchig angepackten Rucksackes und der schweren, dickläufigen Büchse nicht zu fühlen schienen. Schief über den kurz geschorenen, schwarzen Haaren saß ein mürber Filzhut, dessen einstiges Grün sich in Wetter und Sonne zu einem gelblichen Braun gewandelt hatte. Ueber die schmale Krempe nickte eine Spielhahnfeder von seltener Größe gegen die Stirn, unter welcher zwei stahlgraue Augen blitzten, aus denen Verwegenheit, Uebermuth, ehrliche Geradheit und harmloser Frohsinn in unbeschreiblicher Mischung sprachen. Scharf hob sich die gekrümmte Nase aus den hageren, sonnverbrannten Wangen und über den starken, spitz aufgedrehten Schnurrbart, unter welchem zwei Lippen lachten, deren frische, schwellende Röthe in seltsamem Widerspruche zu der nervigen Hagerkeit der ganzen Erscheinung stand.

Bei all der starren, trotzigen Kraft, die aus dem Aeußern dieses Menschen sprach, waren seine Bewegungen von einer lebhaften Geschmeidigkeit. Nicht nur sein Mund, alles an ihm redete mit, während er so stand und auf des Bauern Frage, woher er käme, Antwort gab:

„In der Früh – weißt – da hab’ ich a bißl nach meine Auerhähn’ g’schaut, ob s’ noch sauber falzen, und tagsüber nachher hab’ ich meine Jagdsteig’ a bißl ausputzt, damit mein junger Herr Graf a bessers Marschieren hat, wann er jetzt zum Hahnfalz kommt. Weiß dengerst net, warum er so lang ausbleibt. Vor zwei Tag is er schon ang’meldt g’wesen und droben im Schlößl is schon lang alles herg’richt für ihn.“ Dabei deutete er über die Schulter hinweg nach dem kleinen Schlosse, das von einer unfernen Anhöhe mit seinen Thürmchen und Erkern einherwinkte über die Dächer des Dorfes. „Es wär’ an der Zeit, daß er käm’ – sonst laßt’s aus mit’m Falz. Wir haben ja heut schon den vierundzwanzigsten April. No, vielleicht kommt er morgen – und da schießt er nachher doch noch seine sechs, acht Hähn’ – da steh’ ich gut dafür.“

„Oho, oho, ich saget gleich gar: a Dutzend!“ lachte der Finkenbauer.

„Na, na, net an einzigen laß’ ich abhandeln! Mein Jagderl, das steht jetzt da, daß man a Freud’ dran haben kann. Freilich – Müh’ g’nug hat’s mir schon g’macht, und d’ Füß’ sind mir schier gar kürzer worden um an halben Schuh, vor Laufen und Laufen. Wie ich her’kommen bin vor sechs Jahr’, da hat im ganzen Bezirk kein Hahn net g’falzt, zwei einschichtige Hirscherln sind um einander g’schlichen, und alle heiligen Zeiten amal hast an guten Gamsbock g’sehn. Und jetzt! Im vorigen Jahr schon hat der junge Herr Graf fünf Hirsch’ g’schossen, und kein’ unter zehn End’ – und neunzehn teuflische Gamsböck’. Aber weißt – ich hab’ halt sauber g’macht – weißt – mit die Lumpen. A jeder hat’s lassen müssen, der’s früher ’trieben hat. G’rad ein’ – ein’ hab’ ich noch auf der Muck! Aber der lauft mir schon noch amal überzwerch – wie die andern alle.“

Der Jäger überhuschte das Gehöfte mit einem lauernden Blicke, der den Bauer stutzig zu machen schien; doch eh er noch die Frage anzubringen wußte, die ihm auf den Lippen lag, sprach der Jäger schon in raschen Worten weiter: „No – aber – was wahr is, is wahr – das muß ich sagen: mein’ Rennerei allein hätt’s auch net ausg’macht. Er hat sich’s schon recht a Trumm Geld kosten lassen – für Winterfutter, Salzlecken, Gangsteig’ und Jagdhütten – der alte Herr Graf –“

„Unser Herrgott hab’ ihn selig,“ unterbrach der Bauer. „Das war a ganzer, a richtiger Herr, der auch den Bauer ’was hat gelten lassen. Hat ihn aber auch a jeds gern g’habt. Und ’s ganze Ort is allweil z’sammg’rennt, wenn er ’kommen is im Frühjahr, aus der Münchnerstadt, mit der Frau Gräfin und mit seine lieben Büberl. Es hat aber auch ’s ganze Ort mittrauert, wie ’s ihn ’naustragen haben vor zwei Jahr’ – mit die Füß’ voraus. Schad’ drum is g’wesen, schad’, recht schad’ – denn daß ich’s noch amal sag – das war a ganzer, a richtiger Herr.“

„Und der Junge, weißt, der schlagt ihm nach. Das is Dir schon so a lieber und a feiner Mensch. Und so seelengut kann er Dir sein – ja – da könnt’ ich Dir gleich hundert Sachen erzählen. Was ich halt hab’, das hab’ ich von ihm – mein’ Hund, meine G’wehr’, mein kleins Häusl – alles halt, alles! Und a Jaager mein Lieber, a Jaager! G’rad sehen sollst ihn, wann er so draußen is mit mir! Weißt – d’ Jaagerei is halt sein’ liebste Sach’. Da is ihm kein’ Wand net z’gach und kein Graben net z’tief. Und wann’s dazu kommt, daß er ’s Büchsl an sein’ weißen Backen druckt, da heißt’s bei ihm: schnallen und fallen! Drum hab’ ich aber auch mein’ Freud’ dran. Durch’s Feuer ging’ ich für ihn – und wann er’s haben wollt’, reißet ich den Teufel in der Mitt’ aus einander – ja – ich schon!“

Dabei machte der Jäger eine Faust, als hätte er den schwarzen Widersacher bereits auf Armeslänge vor sich. Der Finkenbauer schaute ihm ins blitzende Auge und lachte; dann begann er – wie es jedoch schien, mit einiger Zurückhaltung – in das Lob des jungen Grafen einzustimmen und sagte unter Anderem:

„So viel gern is er allweil da g’wesen in mei’m Hof, wie er noch a Bürschl von a zwölf, vierzehn Jahr’ g’wesen is. Und gar arg gute Kameradschaft hat er g’halten mit mei’m Ferdl.“

„Was is denn,“ unterbrach der Jäger, „laßt sich der Ferdl net bald wieder anschaun im Ort?“

„Ja, ja, in der nächsten Woch’, da kommt er,“ erwiderte der Bauer mit eifrigen Worten. „Vor a sechs Wochen is er ein’zogen worden nach der Münchnerstadt als Unterofficier – no – und in die nächsten Tag’ wird er wieder frei – und da hab’ ich ihm g’schrieben, er soll a Zeitlang bei uns da bleiben, vor er wieder nach Bertlsgaden geht zu seiner Schnitzerei. Mein Gott – am liebsten hätt’ ich ihn ganz bei mir. Aber weißt ja selber, wie er is! Daherin hat er kein’ Werkstatt und kein Werkzeug – und wann er ’s Holz und ’s Schnitzmesser net in die Händ’ haben kann, nachher is ihm net wohl.“

„Ja, ja, das liegt halt so in ihm. Aber es kann ihm auch net leicht einer an in der Schnitzerei,“ betheuerte der Jäger. „Weißt, wann er oft so da g’wesen is in die letzten Jahr’ und is mit mir droben g’wesen am Berg – und wann wir nachher so schön stad um einander g’stiegen sind, da hat er allbot was auf’klaubt vom Boden, a Wurzen oder a Trümmerl Holz, und hat dran um einander bosselt mit sei’m Feitl[1], und kaum daß ich’s versehen hab’, hat er schon a Köpfl, a Mandl oder a Viecherl fertig g’habt. Ja – a ganze Sammlung hab’ ich daheim in meiner Stuben. No – und da freut’s mich recht, daß er sich wieder amal anschaun laßt, der Ferdl, weil er gar so a sauberer, unterhaltsamer und so a rechtlicher Mensch is, und weil ich ihn gar so viel gern hab’.“

„Er is aber auch a Mensch zum Gernhaben,“ stimmte der Bauer mit einem Lächeln stolzen Wohlgefallens bei. „Und lieber

  1. Ein Taschenmesser mit kurzer, breiter Klinge.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 682. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_682.jpg&oldid=- (Version vom 13.7.2022)