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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

schier, wir hätten uns ganz trocken g'redt. Geh weiter, kehr' a bißl zu ins Haus, nachher trinken wir a Stamperl mit einander.“

„Ja, Du, da laß ich mich fein gar net nöten,“ lachte der Jäger, „weißt – ich hab’ allweil an rauchen Hals, der ’s Netzen vertragen kann.“

Der Weg durch die Gatterthür mochte ihm wohl als ein überflüssiger, zeitraubender Umweg erscheinen; so schob er seinen Bergstock durch die Staketen und sprang mit einem flinken Satze über den Zaun hinweg an die Seite des gastlichen Bauern.

Nun lenkten die Beiden um die Ecke des Wohnhauses, und da verhielt ihnen ein gar lieblicher Anblick die Schritte.

An der ganzen Länge des Hauses hin zog sich eine mit Holzplatten gepflasterte, gegen den Hofraum durch ein Geländer abgesperrte Terrasse. Bis unter das Dach war die Mauer überspannt von einem grünen Lattengitter, an welchem sich die knorrigen Ranken des wilden Weins, der in langen, grünbemalten Holzkisten wurzelte, zu einem dichten Netze verwebt hatten, aus dem nun die langen, weißlich-grünen Triebe stachelartig hervorstarrten. Wie glühende Augen aus dichtem Schleier, so funkelten die von der Abendsonne roth beleuchteten Fenster aus diesem Retzwerk, das ein schmales, laubenförmiges Dach über der offenen Thür bildete, zu welcher drei breite Stufen aus braungelben Backsteinen emporführten. Auf der obersten dieser Stufen saß ein Mädchen, welches kaum das sechzehnte Jahr überschritten haben konnte. Dicke braune Flechten umrahmtem, die rosigen Ohren fast verdeckend, ein feines Köpfchen von länglichem Oval. In dem halb kindlichen, halb jungfräulichen Gesichte mit dem schlanken Näschen, dem winzigen kirschrothen Munde und dem sanft aus den runden Wangen sich senkenden Kinne paarte sich gesunde Frische mit einem leichten Ausdrucke von Trauer oder Schwermuth. Vielleicht waren es aber auch nur die großen Rehaugen, die dem Gesichte diesen Ausdruck verliehen: sie bewegten sich so langsam, sie blickten so zag und schüchtern, sie erzählten von seltsamen, wunderlichen Gedanken und Träumen, die unter der runden, von dünnen Zaushärchen halb verschleierten Stirne leben und weben mochten, und waren anzusehen, als ob sie über alles zu erstaunen hätten, was ihnen auf ihren langsamen Wegen begegnete. Zu beiden Seiten des Mädchens lagen kurzgeschnittene, dunkelgrüne Tannenreiser über die Stufen gestreut, und in ihrem Schoße ruhte ein aus solchen Reisern geflochtener Kranz, der wohl zum Schmucke des nebenanstehenden Brettchems bestimmt war, das auf weißem Grunde in bunten Farben die schnörkelige Aufschrift: „Willkommen!“ trug. Dem Mädchen zu Füßen saßen zwei bausbäckige, von Gesundheit strotzende Kinder, ein Knabe von fünf und ein Dirnlein von etwa sieben Jahren. Sie lehnten sich mit den Aermchen über die Kniee des Mädchens; als dritter im Bunde hatte sich der schwarzzottige Hofhund zu ihnen gesellt, hatte den breiten, kurzschnauzigen Kopf unter dem einen Arme des Dirnleins durchgeschoben – und wie die beiden athemlos lauschenden Kiuder, so blickte auch er mit funkelnden Augen zu dem Gesichte des Mädchens empor, das seinen beiden Schützlingen von Berggeistern und Waldfeen erzählte. Mit rosigen Lichtern spielte die abendliche Sonne über die liebliche Gruppe, während durch den dunklen Flur das in der Küche flackernde Herdfeuer den Kopf, die Schultern und die der Fülle noch entbehrenden nackten Arme des Mädchens mit leuchtenden Linien umsäumte.

„Und so hat a jeder Stein sein’ eigenen Geist: der Kreidenstein, der Bluthstein, der Eisenstein, der Salzstein, der Marmelstein – und überhaupt a jeder – hat mein Vaterl g’sagt,“ so hörten Bauer und Jäger das Mädchen erzählen, als sie näher traten, ohne von demselben bemerkt zu werden. „Die Bäum’ aber und die Pflanzen und Bleameln, die haben Geisterinnen, wo man Feen heißt – ja – und die sind gar sanft und gütig gegen alle Menschen – hat mein Vaterl g’sagt – und bloß nachher werden s’ bös’ auf ein’, wenn einer aus Uebermuth ’neinschneidt in a Bäuml oder so a liebs Bleamerl z’samm tritt mit die Füß’. Und so giebt’s an Almrauschsey, an Enzianweibl und a Steinrautalf. Grad an einzigs von die Bleameln, das schöne, schöne Edelweiß, das droben wachsen thut, z’höchst auf die Berg’, das hat an Mannergeist, der’s hüten thut und b’schützen – und dem sein Nam’ heißt Edelweißkönig. Der hat a freundlichs G’sicht mit blaue Augen, an braunen Bart und braune Lockenhaar! Sein grüner Hut is ziert mit lauter Edelweiß, und ’s ganze G’wand is g’macht aus solche Bleamerln. Ja – und so viel sorgen thut er sich um seine Pflanzerln. Lang vor’m ersten Schnee schon kommt er aus’m Berg und deckt die Pflanzerln zu, daß keins derfrieren kann. Im Sommer nachher, hat mein Vaterl g’sagt, wenn’s lang net g’regnet hat und d’ Sonn’ so hin brennt auf die armen Bleamerln, daß alle schier verschmachten möchten, da holt er ’s Wasser aus die Bach’, damit er seine Pflanzerln gießen kann. Und nachher hat er so viel Freuden, wenn s’ recht schön frisch und weiß und sauber werden – ja – und weil er ’s ganz gut kennt, wie ’s Edelweiß den Menschen so viel g’fallt, drum führt er alle, die wo suchen gehn, unsichtbar an die Platzln hin, wo seine weißen Sternderln wachsen. Dieselbigen aber, wo mit die Bleamerln allein net z’frieden sind, wo die Pflanzerln mitsammt die Wurzen ausreißen, daß an so ei’m Platz kein Stammerl nimmer wachsen kann, die haßt er bis auf’s Blut, und als a Unsichtbarer stößt er s’ ’nunter über d’ Wand, daß s’ ganz derschmettert liegen müssen in der Tiefen – ja – zur Straf’!“

Ein tiefer, stockender Athemzug schwellte die junge Brust der Erzählerin, deren sanfte Stimme sich zu geheimnißvollem Flüstern gedämpft hatte.

Nun sie schwieg, rüttelte ein Schauer unheimlichen Grauens den Flachskopf des kleinen Dirnleins, fröstelnd zog das Kind die Aermchen enger an den Leib, so daß der zottige Hofhund, der dabei unwillkürlich in Mitleidenschaft gezogen wurde, ein röchelndes Knurren hören ließ. In dem frischen Gesichte des braunlockigen Knaben aber war keine Spur eines ängstlichen Empfindens zu lesen. Er hatte schmollend die Lippen aufgezogen, hielt die Augen gesenkt und runzelte nachdenklich die Stirn. Plötzlich warf er das Köpfchen auf und sprach mit kecker Stimme zu dem Mädchen empor. „Du – Veverl – wie kann man denn wissen, wie er ausschaut und was er thut, der Edelweißkönig – wann er allweil unsichtbar is?“

Drüben an der Hausecke stieß der Finkenbauer in lächelndem Vaterstolze dem Jäger den Ellbogen an die Rippen.

Veverl aber richtete ihre großen, träumerischen Augen mit vorwurfsvollem Blicke auf den kleinen, fürwitzigen Frager. „Ja, Pepperl, wie kannst denn jetzt so daherreden!“ schalt sie mit einer Stimme, deren wichtig thuender Ton ihren festen Glauben an die Wahrheit dessen verrieth, was sie den beiden Kindern erzählt hatte, fast mit den gleichen Worten, in denen es ihr vor Jahr und Jahr zu dutzendmalen von ihrem Vater erzählt worden war, im tiefen Bergwalde unter rauschenden Tannen.

„So hat mein Vaterl g’sagt –“ das war für ihr kindliches Gemüth ein Argument, welches keinen Zweifel duldete. Diesen Haupt- und Grundbeweis brachte sie nun auch dem Knaben gegenüber zur Anwendung und fügte erklärend bei: „Weißt, allweil is er ja net unsichtbar, der Edelweißkönig! Ja, kannst es glauben, Pepperl, er laßt sich schon diemal sehen – wenn auch grad net vor ei’m Jeden, der nur so daherlauft auf seine zwei Füß’. “

„Hast ihn Du – schon – amal – g’sehen?“ frug jetzt das blonde Dirnlein mit leise zitternder Stimme, während der Bruder noch immer aus schiefgehaltenem Kopfe mit mißtrauischen Blicken zu dem Gesichte des Mädchens empor zwinkerte.

„Na, Liesei – noch nie net!“ erwiderte Veverl. „Wie könnt’ ich ihn denn g’sehen haben! Da müßt’ ich ja z’erst sein Königsbleamerl g’funden haben! Ja, Pepperl – wart’ nur, wann amal groß bist, daß drauf kannst z’oberst auf die Berg’ – und wenn nachher ’s Glück will, daß D’ sein Königsbleamerl findst, nachher kannst ihn rufen, daß ihn selber siehst mit Deine eignen Augen – ja, und da bist nachher a g’machter Mann! Denn wer sein Königsbleamerl findt und tragt’s am Hut, dem kann in die Berg’ nix g’schehen, der kann sich net versteigen und net derstürzen. Und wo nur Einer in Noth oder G’fahr is droben auf die Berg’ und er ruft den Edelweißkönig an, mit sei’m Königsbleamerl in der Hand – da steht er nachher auf amal da vor ei’m und giebt ei’m alle zwei Händ’ und hilft ei’m aus der Noth.“

„Du – Veverl – an was kennt man denn das Bleamerl?“ frug das Liesei, dem die Augen vor Spannung und Erregung glühten.

„Du mein Gott – kennen thut man’s leicht, aber ’s Finden, weißt, ’s Finden, das is das Schwere bei der Sach’. Denn so a Bleamerl wachst in die ganzen Berg’ g’rad an einzigs alle Jahr’. Wen aber ’s Glück g’rad hinführt davor, der derkennt’s auf’n ersten Blick. Denn ’s Königsbleamerl, das is fünfmal so groß als wie an anders Edelweiß. In der Mitt’, da hat’s fünf

graue Schöpferln auf ei’m einzigen Stiel, wie an anders Sterndel

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 684. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_684.jpg&oldid=- (Version vom 7.5.2023)