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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

’neinnähen. Hast es ja selber g’sagt – kannst ja sonst net klagen! Und so a viel g’schickte Dingin muß das Deandl sein – das hab’ ich jetzt g’rad an dem Kranz g’sehen. Gelt – der Willkomm is wohl schon für’n Ferdl g’rechnet?“

Der Bauer schüttelte den Kopf. „Meiner Mariann’ hat ’s Deandl a Freud’ machen wollen.“

„Ja – wie is mir denn? Dein’ Bäuerin is auf der Reis’?“ platzte der Jäger los, während er mit lautem Klatsch die beiden Hände auf die Schenkel schlug. „Jetzt da schau her – ich bin doch a rechter Lackl. Jetzt erst fallt’s mir auf, daß ich Dein’ Bäuerin mit kei’m Aug’ noch net g’sehen hab! Ja, wo hat s’ denn hinreisen müssen?“

„Nach der Münchnerstadt,“ erwiderte der Bauer mit zögernden Worten. „Weißt – unser’ Hanni hat in der letzten Zeit allweil so verschmaachte[1], traurige Brief’ g’schrieben – und doch hat man ’s aus kei’m ’rauslesen können, ob ihr ’leicht was abgeht, oder ob ihr ’was net recht is. No – und weil ich mich halt doch recht g’sorgt hab’ – kennst ja d’Hanni, weißt ja, wie gut man ihr sein muß – ja – und – da hab’ ich halt z’letzt zur Mariann’ g’sagt: weißt ’was, fahrst ’nein in d’ Stadt und gehst hin zur Frau Gräfin, und da wirst ja nachher wohl derfahren können, was denn das eigentlich für a Sach’ is mit dem Madl seiner Traurigkeit. Weißt – ich wär’ schon am liebsten selber gern g’fahren – aber no – ich hab’ mir halt ’denkt, bei so ’was reden sich d’ Weiberleut’ allweil besser mit einander. Und zur Mariann’ hab’ ich g’sagt: jetzt schaust amal nach, und wenn ’was derfahrst, was Dir net taugt, nachher machst kurzen Proceß, packst das Madl z’samm’ und bringst es mit heim.“

Da wurde von der Straße her das Rasseln eines Wagens hörbar.

Der Bauer sprang auf und eilte auf eines der Fenster zu; aber kopfschüttelnd kehrte er wieder zum Tische zurück, während er mit besorgten Blicken auf die große silberne Uhr niedersah, die er aus der Westentasche gezogen hatte. „Ich kann mir gar nicht denken, warum d’ Mariann’ so lang ausbleibt. Sie is doch sonst so g’nau mit der Zeit – und – jetzt is schon sechse vorbei.“

„Soll Dein’ Bäuerin ’leicht heut’ noch heimkommen von der Stadt?“

„Ja – und drum hab’ ich den Dori mit mei’m Wagen ’neing’schickt in d’ Station. Um viere kommt der Zug –“

„Aber da können s’ ja noch gar net da sein. In zwei Stund’ fahrt man doch den Weg net!“

„Mit meine Roß aber schon!“ versicherte der Bauer mit breitem Stolz, um dann zögernden Wortes beizufügen: „Wenn ich nur wenigstens an andern g’schickt hätt’ als wie den Dori. Der Bua, der lacklete, hat sein’ langohreten Hirnkasten allweil voll mit seine Unfürm’[2] – weiß Gott, was er am End’ wieder ang’stellt hat – ’leicht hat er mir gar den Wagen umg’worfen in sei’m Uebermuth.“

„Aber Bauer – so sei doch g’scheidt! Wart’ halt noch a halb’s Stündl und mach’ Dir jetzt noch keine überflüssigen Sorgen.“

Da erschien Veverl an der Thür und rief den Bauer in den Hof hinaus, damit er den inzwischen vollendeten Schmuck der Hausthür betrachten möchte.

Gidi folgte dem Bauer und bestaunte mit ihm gerechtermaßen das in der That gar schmucke Aussehen der Thür. Noch ergingen sie sich im Lobe über Veverl’s Geschicklichkeit, als auf der Straße Räderrollen und Hufschlag nähertönte, darein sich hallende Peitschenschläge mischten, die in ihrer raschen, taktmäßigen Aufeinanderfolge eine Art von Melodie bildeten.

„Vater – das is der Dori – ich kenn’ ihn am Schnallen[3] – d’ Mutter kommt d’ Mutter kommt!“ jubelte Pepperl und rannte dem Zaune zu.

Inzwischen war Valtl aus dem Stalle herbeigesprungen und hatte das Einfahrtsthor sperrangelweit aufgerissen.

Jetzt tauchten um die vorspringende Hausecke des Nachbargehöftes mit wehenden Mähnen die beiden prächtigen Rappen, deren Stirnriemen und Scheuleder mit Veilchensträußen geziert waren, jetzt erschien Dori mit der kreisenden, hallenden Peitsche, und jetzt die Kutsche mit dem schwarzglänzenden Lederzeuge.

„Ja – heiliger Gott – was is denn,“ stammelte der Finkenbauer, „der Wagen is ja leer! Da hat’s ’was geben! Da hat’s ’was geben!“ Mit zitternder Hand löste er die Fingerchen seines Kindes von seinem Arme und eilte dem Wagen entgegen.

Ohne den Lauf der Pferde zu mäßigen, hatte Dori in tadelloser Kurve das bäuerlich schmucke Gefährte in den Hof gelenkt, wo er die beiden schnaubenden Thiere unter einem letzten Peitschenknalle durch einen kaum merkbaren Ruck der Zügel zum Stehen brachte.

Unter dem Einfahrtsthore hatte sich Pepperl in die hintere Federstange der Kutsche eingehängt, und so war er nun der Erste, der vor Dori stand, mit der Frage: „Han – Du – wo is denn d’ Mutter?“

„Was weiß denn ich? Wahrscheinlich in ihrem Rock,“ kicherte Dori, nahm den grünen Spitzhut ab und sprang vom Bocke.

Dieser siebzehnjährige Bursche bildete eine merkwürdige Erscheinung. Mit dem kurzen, kugeligen Leibe und den langen, mageren Armen und Beinen sah er einer aufrecht wandelnden Riesenspinne ähnlich; dieser Eindruck wurde noch unterstützt durch die absonderliche Bewegung, in der sich seine Arme und Beine fortwährend befanden; das sah sich immer an, als wollte er über hohe Stufen emporsteigen oder irgend ein Etwas von einem hohen Schranke herunternehmen. Man mochte sich die Nothwendigkeit dieser Bewegungen wohl erklären können, wenn man die qualvoll engen, aus einem groben, braun und grau karrirten Stoffe gefertigten Beinkleider betrachtete, wie die steifen, spannenden Falten des schwarzen Spensers, der dem Burschen kaum bis zu den Hüften reichte. An die verwachsenen Aermel, die bei jeder Bewegung zu platzen drohten, waren zinnoberroth gefütterte Aufschläge angestückelt. Der lange, magere Hals war dick umwunden von einem roth und weiß gesprenkelten Tuche, dessen zitternde Zipfel scharf hinausstachen über die Schultern. Der Kopf mit dem spitzen Kinne und dem breiten, flachen Schädel, an den die rothbraunen Haare mit reichlicher Pomade glatt angestrichen waren, mit den abnormen, weit abstehenden Ohrmuscheln und mit dem eintönigen Braun des verschmitzten Gesichtes wäre wohl einer doppelgehenkelten Terrakottavase zu vergleichen gewesen, hätte nicht die ruhelose Beweglichkeit dieses Gesichtes dem Vergleiche widersprochen. Das war ein ewiges Zwinkern, Blinzeln, Zucken und Gähnen, und wenn der Bursche dazu die Stirn runzelte, rührte sich seine ganze Kopfhaut, und die Ohrmuscheln geriethen in eine pendelnde Bewegung, gleich den Löffeln eines Hasen, der den nahenden Jäger wittert.

Dieses letztere Bild vollendete der scheue Blick, mit welchem der Bursche zu dem ernst gefurchten Gesichte des näher kommenden Bauern emporblinzelte; Dori fürchtete Wohl, daß sein Herr die wenig ehrfurchtsvolle Antwort gehört haben könnte, die er auf Pepperl’s Frage gegeben hatte. Als er aber aus dem Munde des Bauern nichts Anderes hörte, als nur die hastige, erregte Frage, weßhalb er allein zurückkäme, da war die Scheu wie weggeblasen, und in wortreicher Geschäftigkeit, und mehr fast mit Händen und Füßen als mit den Lippen, erzählte er von dem Verlaufe seiner Fahrt.

„Ja – und wie nachher der Zug ’rein g’fahren is in d’ Starzion,“ so schloß er, „da hab’ ich g’schaut und g’schaut – aber d’ Leut’ alle sind ’raus ’kommen, der Zug is wieder fort g’fahren, drin is ganz stad ’worden, und allweil war noch kein’ Bäuerin bei’m Zeug[4]. No – da hat mir nachher einer d’ Roß g’halten und ich bin selber ’nein in d’ Starzion, und allweil hab’ ich g’fvagt, und überall bin ich ’nein, wo a Thürl auf’gangen is, in all die Burauxen und Wartsaaler – aber von unserer Bäuerin hab’ ich nix g’hört und nix g’sehen.“

Schweigend kehrte sich der Finkenbauer von dem Burschen ab, und Veverl, welche die in Fragen sich erschöpfende Unruhe der beiden Kinder durch allerlei naive Ausflüchte zu beruhigen suchte, mit einem trüben Blicke streifend, ging er schweren, langsamen Schrittes der Hausthür zu.

Gidi folgte dem Bauer in die Stube, zu dessen Beruhigung er nun ähnliche, freilich ein wenig verständigere Gründe ins Feld führte, wie Veverl zur Beschwichtigung der beiden ungeduldigen Kinder. Aber was der Jäger auch anführen mochte, zu allem schüttelte der Bauer mit ernsten Blicken den Kopf. Er kannte seine Mariann’ – und sie kannte ihren Jörg und seine „sorgsame“ Natur. Da gab’s kein Versäumen des Zugs, keine Verzögerung durch Gänge und Besorgungen, kein längeres Anschauen

  1. empfindsam, schwermüthig.
  2. Tollheiten, Bubenstreiche.
  3. knallen.
  4. vorhanden, anwesend sein.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 698. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_698.jpg&oldid=- (Version vom 7.8.2022)