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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

erfuhr, um was es sich handelte. Ich hatte immer noch gehofft, daß ein vorläufiges, wenn auch nur scheinbares Sichfügen, ein ruhiges Abwarten –“

„Abwarten?“ unterbrach ihn der Erste mit aufwallender Heftigkeit. „Ich dächte, wir hätten lange genug gewartet, so lange, daß auch nicht ein Tag mehr zu verlieren ist. Der Herzog beschleunigt die Verhandlungen mit dem königlichen Hofe in einer Weise, daß uns überhaupt keine Wahl mehr bleibt, wir müssen ihnen um jeden Preis zuvorkommen. Man legt es förmlich darauf an, mich zum Aeußersten zu treiben – nun wohl, man wird dies Aeußerste haben!“

„Aber ein solcher Gewaltstreich kann unabsehbare Folgen nach sich ziehen,“ wandte der Andere ein. „Ich bitte noch einmal, bedenken Eu –“

„Still, keine Namen und keine Titulaturen!“ unterbrach ihn sein Gefährte, indem er die Stimme etwas senkte, „vergessen Sie nicht, daß wir allesammt inkognito hier sind. Ich täusche mich durchaus nicht über die Folgen, aber ich bin entschlossen, sie zu tragen. Es wird eine Explosion bei Hofe geben, und dabei wird Manches mit in die Luft fliegen, was felsenfest zu stehen schien, aber gleichviel! Es handelt sich um das heiligste Recht des Menschen, und das werde ich offen vor aller Welt vertheidigen, wenn ich es mir auch erst im Geheimen erkämpfen muß. Werden Sie mir Ihren Beistand versagen, Warnstedt?“

„Nein, gewiß nicht!“ klang die Antwort ohne Zögern und in voller Bestimmtheit. „Ich habe es für meine Pflicht gehalten, zu warnen und meine Bedenken nicht zu verschweigen. Wenn aber Ihr Entschluß unabänderlich gefaßt ist – ich bin zu jedem Dienste bereit.“

„Auch auf die Gefahr hin, daß die Folgen Sie mittreffen – möglich ist das immerhin.“

„Auf jede Gefahr hin!“

„Ich danke Ihnen, Warnstedt! Ich wußte es ja, daß ich auf Sie rechnen konnte, und Sie sind der Einzige, dem ich unbedingt vertraue. Ich fürchte, man hat eine Ahnung von meinem Vorhaben, denn ich fühle mich beobachtet, überwacht und kann mich selbst nicht mehr auf meine nächste Umgebung verlassen. Ein Verrath könnte unsern Plan noch im allerletzten Moment gefährden, es gilt, mit einem einzigen Schlage all diesen Machinationen ein Ende zu machen.“

„Man ahnt etwas von Ihrem Vorhaben?“ Die Frage klang sehr bedenklich. „Dann freilich wird Ihre plötzliche Abreise nicht unbemerkt bleiben.“

„Wahrscheinlich nicht, aber man weiß vorläufig nicht, wo ich bin, und wenn man es erfährt, wird es zu spät sein. Ich bin gestern Abend abgereist, ohne jede Begleitung, und habe auf einer kleinen Zwischenstation die Bahn verlassen, um Postpferde zu nehmen, auch diese habe ich auf der vorletzten Station zurückgelassen und den Rest des Weges zu Fuße zurückgelegt. Valeska hat ähnliche Vorsichtsmaßregeln genommen, und ich halte es für unmöglich, daß man sofort unsere Spur findet, es müßte denn sein, daß meine in der letzten Zeit äußerst lebhafte Korrespondenz mit dem Pfarrer von Seefeld verdächtig erschienen wäre.“

„Und Seine Hochwürden ist wirklich bereit? Ich gestehe, daß ich noch daran gezweifelt habe.“

„Er ist es! Mein alter Freund und Lehrer wird mir seine Hilfe nicht versagen. Es hat allerdings einen Kampf gekostet, er hatte noch mehr Bedenken zu überwinden als Sie, aber schließlich ergab er sich doch. – Es bleibt also bei der festgesetzten Stunde, wir finden uns heut Abend zusammen.“

„In der Dorfkirche?“

„Nein, in der kleinen Kapelle, dort auf dem Hügel. Sie liegt einsamer und abgeschlossener, und vom Garten des Pfarrhauses können wir unbemerkt dorthin gelangen. Es soll jedes Aufsehen im Dorfe vermieden werden, deßhalb haben wir auch die Abendstunde gewählt. Also seien Sie pünktlich, die Damen werden gleichfalls um sieben Uhr bereit sein.“

Es folgte noch eine Versicherung der Pünktlichkeit und eine kurze Verabschiedung, dann schien einer der Sprechenden sich zu entfernen, der andere blieb noch eine Weile, man hörte es, wie er im Zimmer auf und nieder ging, dann wurde die Thür zum zweiten Male geöffnet und geschlossen und darauf trat vollständige Stille ein.

Die beiden Lauschenden verharrten noch einige Minuten auf ihrem Posten, dann trat Sebald unter dem Schutze der Gebüsche vorsichtig den Rückzug an, ihm nach drückte sich sein Gefährte an der Mauer entlang, bis sie die Kirche erreichten, deren Pfeiler sie deckten; von hier aus war es ein leichtes, auf die andere Seite zu gelangen und dort den Ausgang zu nehmen. Bald standen die Beiden wieder am Seeufer und traten den Rückweg nach dem Dorfe an.

Sebald warf einen Blick auf die sonnige, aber ganz menschenleere Dorfstraße und wandte sich dann zu seinem Untergebenen.

Jetzt haben wir ihn, Haller – den Hauptattentäter!“

Haller hatte bisher nur innerlich geschaudert, weil er keine Bewegung machen durfte, um sich nicht zu verrathen, jetzt schauderte er noch nachträglich draußen im hellen Sonnenschein.

„Ja, Herr Sebald, setzt haben wir ihn, und die ganze Mordbande dazu. Aber das ist so gräßlich, was wir da mit angehört haben!“

Sebald zuckte nur die Achseln, die Höhe, auf der er stand, vermochte selbst dieser Einblick in die tiefste Tiefe menschlicher Verderbtheit nicht zu erschüttern.

„Ich war darauf gefaßt, aber freilich, auch meine Befürchtungen sind noch übertroffen worden. Das ist ja kein bloßer Versuch zum Hochverrath, das ist eine vollständig organisirte Verschwörung! Ein Gewaltstreich gegen das fürstliche Haus – man schreckt nicht vor dem Aeußersten zurück – man will die unabsehbarsten Folgen auf sich nehmen –“

„Und am herzoglichen Hofe soll es eine Explosion geben, Alles soll in die Luft fliegen!“ fiel Haller entsetzt ein. „Wenn man nur wüßte, wo sie das Dynamit verborgen haben.“

„Jedenfalls hier im Pfarrhause, man wird schleunigst Haussuchung halten müssen. Es ist ja kein Zweifel mehr, daß auch der Pfarrer mit im Einverständniß ist. Ich glaubte anfangs, er sei ein blindes, unfreiwilliges Werkzeug, das man schonen könne, jetzt zeigt es sich, daß sie ihn ganz in ihre Netze gezogen haben, und das ist das Fürchterlichste. Ein Priester, ein berufener Vertheidiger des Altars und des Thrones, Mitglied einer Dynamitverschwörung! Was sind das für Zustände, wohin werden wir noch kommen! Das geht ja ärger zu in unserem armen Vaterlande, als drüben in Rußland!“

Haller stimmte mit einem düsteren Kopfnicken bei und warf einen Blick nach dem Pfarrhause zurück, das so viel Entsetzliches in seinem Schoße barg.

„Wenn wir den Hauptmann der Bande nur zu Gesicht bekommen hätten! Wir durften uns leider nicht rühren, aber seine Stimme erkenne ich sofort wieder. Ist das ein blutdürstiges Ungeheuer! Der Andere gab sich alle Mühe, ihn davon abzubringen, aber er hörte ja gar nicht darauf. Der will gleich mit Dynamit vorgehen und Alles in die Luft sprengen!“

„Ja wohl, und dabei dieser entsetzliche Fanatismus! Sprach dieser Mensch nicht gar von einem heiligen Rechte, das er vertheidigen müsse? Also heut Abend findet die geheime Zusammenkunft der Verschwörer statt.“

„Und noch dazu in einer Kirche!“

„Weil sie sich dort am sichersten glauben. In der kleinen Kapelle droben sucht sie Niemand, auch die Damen werden dabei sein, Sie hörten es ja.“

„Und das nennt sich auch noch Damen!“ murmelte Haller wüthend. „Dies weibliche Mordgesindel! Und dabei ist diese Valeska Blum so hübsch, so hübsch –“

Er brach mit einem Seufzer ab, der Vorgesetzte nickte bedeutsam.

„Ja, es ist eine schöne, schillernde Schlange, die bisher über ihre Gefährlichkeit zu täuschen wußte, aber ich habe sie von Anfang an erkannt, mir war sie von vornherein verdächtig. Doch jetzt gilt es zu handeln! Vor allen Dingen muß Seine Excellenz benachrichtigt werden. Ich setze sofort das Telegramm auf, Sie werden es nach der Telegraphenstation tragen, zu Fuß, denn es fällt auf, wenn Sie einen Wagen nehmen. In einer halben Stunde können Sie dort sein und in einer weiteren halben Stunde ist die Depesche in den Händen des Herrn Hofmarschalls. Er wird uns sofort auf demselben Wege die Antwort zugehen lassen.“

„Aber die Hilfsmannschaften kann er uns doch nicht per Draht zugehen lassen,“ meinte Haller bedenklich, „und die brauchen wir unter allen Umständen. Drei Verschwörer, die jedenfalls ganz mit Waffen gespickt sind, zwei Frauenzimmer, die zweifellos auch Revolver führen und Hochwürden der Herr Pfarrer obendrein – die kann ich allein doch nicht sämmtlich beim Kragen nehmen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 707. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_707.jpg&oldid=- (Version vom 19.12.2022)