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verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

„Ich bin im Begriff, mit meiner Gemahlin abzureisen, ich erlaube Ihnen aber, Herr Hofmarschall, sie vorher noch zu begrüßen!“ sagte Prinz Leopold mit scharfer Betonung.

Der Hofmarschall zögerte noch einen Moment lang, aber die Augen des jungen Fürsten blitzten so zornig auf, daß er sich bequemte, mit einer zweiten, freilich sehr gezwungenen Verbeugung von Valeska Notiz zu nehmen, was diese mit einer kaum merklichen Neigung des Hauptes beantwortete.

Die Neuvermählten verließen jetzt die Kirche, ihnen folgten der Priester und die beiden Zeugen, doch die alte Dame konnte nicht umhin, noch einen mitleidigen Blick auf ihren bisherigen Schützling zu werfen, der wie entgeistert dastand. Es war ja selbstverständlich, daß er einem Prinzen weichen mußte, aber er that ihr doch unendlich leid.

Kuno von Below aber war noch gar nicht einmal bis zu dem Schmerze über die verschmähte Liebe gekommen, vorläufig beherrschte ihn noch starres Entsetzen über diese Entwicklung der Sache. Er näherte sich dem Hofmarschall und fragte stockend:

„Excellenz, ist das wahr? Ist das wirklich und wahrhaftig Prinz Leopold?“

„Gewiß ist er es! Kennen Sie ihn denn nicht? Freilich, er steht in einer auswärtigen Garnison und Sie kommen selten an den Hof!“

„Dahin komme ich nie wieder! Dort darf ich mich nie mehr sehen lassen!“ brach der Majoratsherr verzweiflungsvoll aus. „Wer konnte denn das ahnen!“

Der Hofmarschall wurde aufmerksam.

„Was ist denn vorgefallen? Haben Sie etwa den Prinzen beleidigt?“

„Als Inspektor habe ich ihn engagirt, mit dreihundert Gulden Gehalt und freier Station —“

„Aber Herr von Below — um des Himmels willen —“

„Und einer Gratifikation zu Weihnachten!“ vollendete der arme Kuno, ganz vernichtet. „Und meinen Plaid wollte ich ihm zum Tragen geben — das hat er aber nicht gethan.“

Der Hofmarschall schien in der That zu glauben, daß bei dem vorhin erwähnten Sturze mit dem Wagen etwas an dem Kopfe des Majoratsherrn zu Schaden gekommen sei, er schüttelte nur das Haupt und wandte sich zum Gehen, aber Herr von Below blieb ihm zur Seite, er mußte durchaus Jemand haben, mit dem er über die unerhörte Geschichte sprechen konnte, und so fing er denn noch einmal von vorn an und erzählte die ganze Begegnung mit dem Prinzen.

Sebald und sein Untergebener waren allein zurückgeblieben, sie sprachen kein Wort, sie blickten sich nur trübselig an und dann umher in der leeren Kirche. Da gewahrte Haller in einem der Kirchenstühle den Kasten, dessen Inhalt ihm so verdächtig erschienen war, und er konnte[1] es sich doch nicht versagen, ihn zu untersuchen. Der Kasten war leer, aber einzelne Myrthenblätter, die darin zurückgeblieben waren, verriethen seine Bestimmung, er hatte Kranz und Schleier der Braut geborgen, die diese erst in der Kirche selbst anlegte.

„Das war kein Dynamit,“ sagte Haller wehmüthig, indem er seinem Vorgesetzten die Blättchen zeigte. „Und ich hatte mich schon so darauf gefreut, die ganze Bande beim Kragen zu nehmen! Gott sei Dank, daß es nicht dazu kam, sonst hätten wir schließlich Seine Durchlaucht den Prinzen Leopold eingesteckt!“ —

Vor dem Pfarrhause hielt der Wagen, der die Neuvermählten nach der Bahnstation bringen sollte, Valeska hatte sich mit ihrer Tante zurückgezogen, um die Reisekleidung anzulegen, und Prinz Leopold stand mit dem Oberst von Warnstedt, seinem ehemaligen Adjutanten, und dem Pfarrer im Studirzimmer des letzteren.

„Ich danke Ihnen von ganzem Herzen!“ sagte er, seinem alten Lehrer herzlich die Hand hinstreckend. „Ich weiß am besten, wie groß der Dienst ist, den Sie mir und meiner Valeska geleistet haben. Die Verantwortung dafür nehme ich ganz und voll auf mich. Ich werde nicht säumen, für Sie einzutreten, wenn man versuchen sollte, Sie zur Rechenschaft zu ziehen.“

Der alte Priester machte eine sanft abwehrende Bewegung.

„Was kann man mir thun in meinem einsamen Dörfchen? Man wird es bei einem Verweise bewenden lassen, und den trage ich gern um Ihretwillen, Durchlaucht. Leicht ist es mir freilich nicht geworden, Ihnen bei diesem Schritte Beistand zu leisten — möge er Ihnen und Ihrer Gemahlin zum Segen werden!“

„Er wird es!“ sagte Leopold ernst. „Es sind ja nur Traditionen, die ich verletzte, keine Pflichten. Ich bin der jüngste Prinz meines Hauses und habe niemals Aussicht gehabt, zur Regierung zu gelangen; die Rücksichten, denen sich ein Thronerbe beugen muß, existiren nicht für mich. Mein Bruder wird mir allerdings eine Zeit lang grollen und zürnen, und dann wird er sich mit dem Geschehenen aussöhnen — ich kenne ihn! Er wird es schließlich begreifen, daß ich den Muth hatte, glücklich zu sein, und die Energie, mir mein Glück zu erkämpfen.“

Er wandte sich zu dem Oberst und reichte auch ihm die Hand. „Leben Sie wohl, Warnstedt, Sie wissen, ich verlasse die Armee, ich habe den Herzog um meinen Abschied gebeten und werde mit Valeska fortan auf meinen Gütern leben, doch wo und wie wir uns auch wiedersehen, wir bleiben die alten Freunde.“

Soeben trat Valeska ein, im Reisekleide, ihre Verwandte begleitete sie und der Prinz winkte dieser freundlich zu, als er den Arm seiner Frau nahm.

„In sechs Wochen denken wir von der Reise zurück zu sein — auf Wiedersehen, liebe Tante!“

Die alte Dame verneigte sich nur vor ihrem durchlauchtigen Neffen, das Entzücken raubte ihr die Sprache. Sie hatte sich in ihren kühnsten Träumen wohl als die Tante eines Majoratsherrn gesehen, daß ein Prinz ihr nunmehr diesen Titel gab, das war zu viel des Glückes.

Wenige Minuten später saßen die Neuvermählten im Wagen und fuhren dahin durch den dämmernden Sommerabend, sie fuhren gerade an dem Wirthshause vorüber, als Sebald und Haller dort eintraten.

„Da fahren sie hin!“ sagte der Erstere, indem er dem Wagen nachblickte. „Es ist unerhört! Wenn Seine Excellenz der Herr Hofmarschall mit der Nachricht zurückkommt —“

„Dann giebt es wirklich eine Explosion in der Residenz.“ fiel Haller mit Nachdruck ein, „aber ohne Dynamit!“


Fortschritte und Erfindungen der Neuzeit.

Eine Riesen-Sprengung im „Höllenthor“ bei New-York.

In der guten alten Zeit, als der Mensch noch mit dem gemüthlichen Schießpulver vorlieb nahm, als die rastlosen Chemiker noch nicht auf Dynamit, Nitroglycerin, Panklastit u. dergl. verfallen waren, als man sich die Elektricität nicht in dem Maße wie jetzt dienstbar gemacht hatte, gehörten Felsensprengungen unter Wasser zu den schwierigsten Aufgaben der Technik. Aeltere Zeitgenossen erinnern sich vielleicht des Aufsehens, welches die verhältnißmäßig leichte Sprengung der Felsen am Binger Loch erregte, und die Erschließung des Eisernen Thores an der unteren Donau galt und gilt noch in einem gewissen Sinne für ein technisches Meisterstück.

Heutzutage hat es freilich der Sprengtechniker erheblich leichter. Er besitzt Sprengstoffe, die auch unter Wasser brennen, und der elektrische Funke liefert ihm ein bequemes Mittel, um, von einem sicheren Standpunkte aus, eine beliebige Anzahl Minen blitzschnell zur Explosion zu bringen, während andererseits die Fortschritte der Wasserbaukunst und der Tauchergeräthe die Vorarbeiten zu Felsensprengungen nicht unwesentlich erleichtern.

Damit soll übrigens nicht gesagt sein, daß die Riesen-Sprengung, deren Vorbereitungen wir unseren Lesern im Bilde vorführen wollen, zu den leichteren Aufgaben der Technik gehört. Im Gegentheil. Wir werden sehen, daß der Oberingenieur der Armee der Vereinigten Staaten, General J. Newton, dem die Leitung der Arbeiten oblag, recht bedeutende Schwierigkeiten zu überwinden hatte. Wir wollen uns zuvörderst den Schauplatz des am 10. Oktober glücklich erfolgten, alles Dagewesene in den Schatten stellenden Knalleffektes etwas näher ansehen.

Der New-Yorker Hafen gehört zu den verkehrsreichsten der Welt und steht wohl nur dem Londoner nach. Sehr störend ist es unter solchen Umständen, daß die eine Einfahrt in diesen Hafen, das sogenannte Höllenthor, nicht nur durch kleinere Riffe, sondern auch durch einen ungeheuren Felsen versperrt war, die den New-Yorker Lotsen viel zu schaffen machten und zahlreicher Schiffe Untergang auf dem Gewissen haben.

Es wurde daher vor nunmehr zwanzig Jahren beschlossen, die Hindernisse, welche das Höllenthor so gefährlich machen, gründlich zu beseitigen, nachdem die seit 1848 unternommenen Sprengversuche mit den damals zu Gebote stehenden unzureichenden Mitteln so gut wie ergebnißlos verlaufen waren. Im Jahre 1866 begann man zunächst mit der Wegräumung der verhältnißmäßig kleinen Riffe Pot-Rock (Kessel) und Frying pan (Bratpfanne). Der letzteren ging man mit den gewöhnlichen Mitteln: Taucherglocke, von welcher aus Löcher in den Felsen gebohrt wurden, zu Leibe,


  1. WS: In der Vorlage „kannte“
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verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 711. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_711.jpg&oldid=- (Version vom 26.4.2024)