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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)


Der Geistliche wiederholte mit dem Haupte nickend: „Blumen und Bonbons.“

„Und was weiter?“

„Nichts weiter!“

„Oho!“ lachte die Ungeduldige. „Das wäre schon aus? Sonst darf ein galanter Kavalier seiner Dame gar nichts verehren?“

„Wenn diese Dame nicht seine Verwandte oder die Frau eines alten intimen Freundes ist. Nein!“

„Na, aber es giebt doch Fälle …“

„Weihnachten.“

„Ach, geh weiter! so mein’ ich’s nicht.“

„Wie denn? Es giebt Intimitäten, die ... ja wohl ... aber das soll doch zwischen Dir und Sperber nicht der Fall sein, hoff’ ich.“

„Na nein! … Aber sag’, was schenkt man sich denn nach Blumen und Bonbons, wenn … wenn man intimer wird mit einander?“

Der regulirte Chorherr besann sich, die Augen an die Decke heftend, das Kinn wieder in der Hand, und sagte dann, als läs er das Wort von der graugewordenen Wand ab: „Parfüms!“

„Pfui, das ist aus der Mode! Die Wohlgerüche überspringen wir, es wären denn solche wie die da!“

Sie steckte das Näschen tief in die gelben Rosen. Und wieder aufblickend fragte sie: „Und was nachher?“

„Handschuhe, glaub’ ich,“ sagte der Priester wie vorhin.

„Ah, Du glaubst! Mhm! So schöne lange zehnknöpfige Pariser Handschuhe? bis hierher … Ça m’ irait bien!“

„Aber mit den Handschuhen wird gleichsam der Rubicon der Intimität überschritten!“ rief Pater Otto mit bedächtig erhobenem Zeigefinger drohend. „Mach keine Dummheiten und sei vorsichtig!“

„Keine Sorge! Und was kommt nachher? Sag!“

„Wenn man …?“

„Wenn man schon eine Zeitlang die längsten Handschuhe mit den meisten Knöpfen geschenkt hat ...“

Pater Otto zuckte die Achseln, als wüßt’ er’s nicht genau. Dann ließ er das Wort fallen: „Goldene Ketten!“

Das fürwitzige Mädchen lachte laut auf. Der weltweise Vetter beeilte sich hinzuzufügen: „Wenn man übrigens erst dabei angelangt ist, dann kann man sich getrost auch alles Uebrige verehren, was einem sonst gefällt, und der Andere muß es dulden. Also ...!“

Bianca fiel ihm in die Rede mit abwinkender Hand: „Ich werde es bei den Handschuhen bewenden lassen! Sei ganz ruhig!“

Und sie lachten beide, die zärtlichen Verwandten, bis Bianca wieder zu singen anhub, was nie lang auf sich warten ließ.

Manchmal, wenn sie sich ernsthaft und anhaltend im Gesang übte, durfte Edgar zuhören – natürlich in Gesellschaft des geistlichen Herrn.

Dann saßen die beiden Männer schweigsam in ihren Ecken, der eine andächtig wie in seinem Chorstuhl, der andere verzückt wie im siebenten Himmel.

Waren dann die Solfeggien, die Arien, die Lieder zu Ende, oder hielt es der vorsorgliche Vetter für gerathen, den Flügel zu schließen, damit Bianca ihrer Stimme, die er ihr zukünftiges Vermögen nannte, nicht zuviel zumuthe, so pflegte der reiche Mann den armen Mönch wohl um alle die schönen Stunden zu beneiden, in welchen derselbe schon früher dem Zauber dieser Nachtigall hatte lauschen dürfen, und ehrlichen Staunens voll rief er aus:

„Hochwürden, ich begreif’ es nicht, wie Sie diese Sirenenstimme so lang und in nächster Nähe hören können, ohne des Teufels zu werden, wie wir Andern alle!“

Mild lächelnd die Hände faltend versetzte dann der Priester: „Ich habe dafür gesorgt, daß ich, wie weiland Odysseus auf der Meerfahrt, dem Sirenengesange horchen kann, ohne darüber Leib und Seele zu verlieren. Ich bin mit unzerreißbaren Banden fest an den Segelmast gebunden jenes mächtigen Schiffes, das unsere heilige Kirche ist. Ungefährdet, ungefährbar streicht dies Schiff durch die brausenden Wogen der Welt, und mir ist darauf gestattet, unverführt dem herrlichen Gesang der Sirenen … Ach nein! … (damit ergriff er in wechselnder Rührung beide Hände seiner lächelnden Muhme und schüttelte sie herzhaft). Was sag ich der Sirenen! der lieben Engel … auf Erden zu horchen.“

Edgar von Sperber, obwohl ein waschechter Ketzer von Geburt und Ueberzeugung, war von solchen Beweisen der Bewunderung und Ergebenheit, mit welchen Pater Otto gerade nicht kargte, jedesmal sehr erbaut. Und diesem hinwiederum war es mit beiden Versicherungen gewiß heiliger Ernst, mit der der Verehrung seiner schönen und kunstreichen Kousine gleicherweise wie mit seiner in salbungsvoller Sanftmuth trotzenden Sicherheit vor den Anfechtungen der Welt.

Allein, wie es schon geht, der Hochmuth kommt immer vor dem Fall. Und etwas Hochmuth, wenn auch ein rein geistlicher, war eben doch in der gewaltigen Sicherheit, in welcher der Chorherr sich wiegte.

Nichts liegt mir ferner, als von dem trefflichen Freunde was Schlimmes zu behaupten oder ihm eine Schwäche, die mir nur allzu begreiflich bleiben wird, übel zu deuten! Wahrlich nicht!

Wer hätte mit Bianca des Genaueren verkehren können, ohne sich in sie einmal zu verlieben? Und so erging es auch dem sonst so regulirten Chorherrn, wenn er auch lange selber nichts davon merkte, daß ihn die Liebe bei allen noch so kurz geschorenen Haaren hielt.

Bianca kam eher dahinter als er selber, daß die unzerreißbaren Bande, mit welchen dieser neue Odysseus an den unerschütterlichen Mast der Kirche geknüpft war, sich denn doch nach und nach etwas gelockert haben mußten und jedenfalls seinem Herzen überraschenden Spielraum gestatteten.

Je öfter Edgar ins Haus kam, je länger dieser dem Gesange Bianca’s lauschen durfte, je mehr diese sich an den Besuch des flotten Anbeters gewöhnte und je vertraulicher und neckischer sie dann Wort und Gesang an diesen richtete, desto mürrischer, einsilbiger und seltsamer erschien der sonst so heitere, klare, redemächtige Mann.

Nach und nach ward er geradezu unausstehlich. Und wenn er in diesem schier krankhaften Zustande, der sich von Tag zu Tag verschlimmerte, des Wortes wieder mächtig wurde, so geschah es nur, um dem langweiligen Sperber, der ihm am liebsten jedesmal Recht gegeben hätte, mit boshaften oder gar heftigen Worten zu widersprechen und ihn, wenn irgend eine Gelegenheit dazu sich bei den Haaren herbeiziehen ließ, herunterzukanzeln wie einen Schuljungen oder geringzuschätzen wie einen Barbaren.

Edgar von Sperber war zu gut erzogen, um auf Heftigkeiten und gar eines Geistlichen heftig zu erwidern. Auch nahm er sich wohl in Acht, es mit dem gebietenden Vetter im Hause Latschenberger zu verderben, auch wenn dieser ihn reizte. Schien er es doch just darauf abgesehen zu haben.

Ein und anderes Mal, da derselbe es ihm doch gar zu bunt trieb, nahm er in der Sorge, daß der verhaltene Groll ihm auf die Zunge schlüpfen möchte, lieber in aller Eile Stock und Hut, küßte Bianca’s mollige Händchen und verließ mit ehrerbietigem Gruße gegen den Chorherrn den Kampfplatz, worauf er doch nur zu dulden, nicht zu streiten verurtheilt war.

Es schien Edgar tief zu gehen. Die Verstimmung wirkte so nachhaltig, daß er sich einen und anderen Tag aus Bianca’s Nähe selbst verbannte, bis seine männliche Seele die Ruhe wiedergewann, mit der er dem Geistlichen, auch wenn dieser ihn angriff, immer arglos begegnen und über dem Anblick der Geliebten die Ausfälle des Geduldeten überhören mochte.

Die Ausfälle des Paters schienen aber dem Baron in Bianca’s Werthschätzung durchaus nicht zu schaden. Jedesmal, wenn er nach solch einer freiwilligen Verbannung wieder im Hause Latschenberger eintrat, empfing ihn das Mühmchen des streitbaren Mönchs um ein weniges freundlicher, blickte ihm herzlicher in die Augen und ließ ihm die Hand zum Kusse ein klein wenig länger als früher, so daß nach und nach selbst Pater Otto diese kleinen, aber unleugbaren Fortschritte merkte. Darüber ward er seinerseits nicht artiger, nicht vergnügter, nicht nachgiebiger.

So kam es, nachdem Sperber eines schönen Juni-Abends sich wieder, nicht ohne Grund, verletzt zurückgezogen hatte, zwischen geistlichem Vetter und weltlicher Muhme zu einer heftigen Scene, beinahe zum Bruch.

„Sag mir doch einmal, Otto, was in Dich gefahren ist seit einiger Zeit? Du bist wie ausgewechselt, wie verhert! … Nimm mir’s nicht übel, aber ich leid’s nicht, daß Du Dich also selbst in Mißachtung setzest!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 746. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_746.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2023)