Seite:Die Gartenlaube (1885) 787.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1885)


und Enthusiasten, die ihn als Universalmittel gegen alle möglichen Krankheiten hinstellten, wie Petsch, der ihn „die Muttermilch der Natur“ nannte. Was den Schreiber dieser Zeilen betrifft, so muß er freilich gestehen, daß weder Württemberg noch Frankfurt, trotzdem er da wie dort Jahre verlebte, es vermochten, ihn zum Aepfelwein-Apostel zu machen. Das ihm neue „Nationalgetränk“ erregte wohl seine Neugierde und veranlaßte ihn zu Beobachtungen, die nun in diesen Zeilen krystallisiren – aber er läßt es beim Schreiben und überläßt das Trinken Andern. Aepfel-, Citronen- und Phosphor-Säure mögen – wir können es Herrn Lämmerhirt glauben – sehr ersprießliche Dinge sein, aber Manchen, sind sie eben – zu sauer.




Blätter und Blüthen.


Labyrinthe. Auch dem jüngsten Klippschüler sind die wunderbaren Irrgärten und Irrgänge bekannt, von denen uns die alten Schriftsteller erzählen. In Aegypten bestand, nach Herodot, ein Labyrinth mit dreitausend Zellen; auf Kreta baute der athenische Allerweltskünstler Dädalos auf Geheiß des Königs Minos ein Labyrinth, welches wahrscheinlich aus einer Menge unterirdischer Gänge bestand und dem weisen Herrscher als Staatsgefängniß diente. Dessen Erbauer selbst wurde darin gefangen gehalten; später bewohnte der nicht minder berühmte Minotaur das unentrinnbare Gewirre, und Theseus würde sicherlich darin umgekommen sein, wäre die liebliche Ariadne nicht auf den schlauen Gedanken gekommen, ihm den im Laufe der Zeit zum Gemeinplatz gewordenen Ariadnefaden mit auf den Weg zu geben.

Das Labyrinth der Liebfrauenkirche zu St. Omer.

Auch Jerusalem besaß ein freilich etwas verkümmertes Labyrinth, und es darf somit nicht Wunder nehmen, wenn die Kreuzfahrer, denen das Ding offenbar imponirt hatte, den Gedanken mit nach Hause brachten und ihren Zwecken anpaßten. Es galt jetzt nicht mehr Staatsverbrecher oder Ungeheuer einzusperren, sondern den frommen Büßern durch ein handgreifliches Beispiel zu zeigen, wie schwer die Seligkeit zu erringen sei. Erzbischof Alberich von Humbert ging mit dem guten Beispiele voran und baute während der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts in dem herrlichen Dome zu Rheims ein Labyrinth, welches den Lebenspfad und die Hemmnisse aller Art veranschaulichte, die sich dem Christen entgegenthürmen. Die Pilger suchten ihren Weg in den Irrgängen, wobei sie Gebete verrichteten und fromme Lieder sangen. Wer sich nicht abschrecken ließ, gelangte zuletzt nach dem Mittelpunkte, wo ein Heiligenbild aus bläulichem Stein stand. Leider wurde das Rheimser Labyrinth 1779 dem Erdboden gleich gemacht, weil die Kinder der Stadt darin Versteck spielten und den Gottesdienst störten. So schlimm wird es also wohl mit den Irrgängen nicht gewesen sein.

Das Labyrinth in der Kathedrale zu Rheims.

Dagegen besitzen die Liebfrauenkirche zu St. Omer und der Dom zu Bayeux noch heute Labyrinthe.

Wir führen unsern Lesern zwei dieser Labyrinthe im Grundriß vor. Vielleicht besitzen Einige die nöthige Geduld, um sich mit Hilfe eines Stiftes durch die Irrgänge durchzuarbeiten. G. van Muyden.     


Jagdhunde am Feuer. (Mit Illustration S. 773.) Welche Naturwahrheit liegt in diesem einfachen Bildchen, das der Künstler mit richtigem Verständniß dem Jägerleben abgelauscht hat! Sind diese drei Schweißhunde von echt deutschem Schlage mit allen Kennzeichen ihrer edlen Rasse nicht wahre Prachtthiere, wie sie der hirschgerechte Waidmann kaum anders wünschen kann? Und mag der „Saurüde“, der zwischen ihnen als Vierter im Bunde auf der Erde lagert, mit seinem dicken Kopf und dem kurzen „Behang“ immerhin wenig edles Rasseblut verrathen, so ist er trotzdem ein nicht zu verachtender wackerer Geselle, der, wenn es darauf ankommt, so gut wie jene seine Pflicht thut. Die Jäger, welchen diese Hunde angehören, sind wahrscheinlich vom Feuer weg nicht weit auf einem Pürschgang abwesend und haben ihre Lieblinge hier „arretirt“, da dieselben beim Anschleichen an Wild von diesem „eräugt“ werden und dadurch der Jagd hinderlich sein könnten. So harren sie nun am kalten, nebeligen Wintermorgen frierend, mit gesenkten Köpfen und eingezogenen „Ruthen“ im Schnee neben dem sinkenden Feuer des Augenblickes, wo man sie abrufen wird, um auf der „Schweißfährte“ einem „krank“ geschossenen Stück Hochwild „nachzuhängen“ und dieses entweder zu stellen, oder, wenn es verendet sein sollte, dem Jäger durch „Laut geben“ anzuzeigen. Trotz des Ungemaches der rauhen Jahreszeit halten sie auf ihrem Platze frei, ohne angebunden zu sein, aus; diese edlen klugen Thiere verstehen ja jedes Wort, und ein solches, ja selbst ein stummer Wink ihres Herren genügt schon, um sie stundenlang zum Bleiben anzuweisen. Nur den Saurüden, der weniger an Gehorsam gewöhnt ist, hat der Jäger am Hetzriemen mit einem Schweißhund zusammengekoppelt, dieser wird den leichtfertigen Kameraden schon zu meistern wissen, daß er nicht ausreiße. Darum fügt sich letzterer mit scheelem Blick in sein Schicksal und denkt vielleicht: „der Klügere giebt nach“. J. C. Maurer.     


Die christliche Blutzeugin. (Mit Illustration S. 777.) Da steht sie, die zarte Jungfrau, die Tochter eines Konsularen, die Christin, die ihr Zeugniß mit ihrem Blute besiegeln will, auf der Arena des römischen Amphitheaters, angesichts ihres Exekutors, eines afrikanischen Löwen, schaudernd und doch entschlossen. Gefesselt steht sie da: der riesige, wie aus Erz gegossene Scherge scheint sie vorwärts zu drängen, während ein anderer rechts den Körper eines bereits verendeten zum Todesthor hinausschleift. Noch ein Augenblick, und das Gatter des Käfigs geht auf, die hungrigen Bestien stürzen heraus, und der Leib der Unglücklichen ist zerfleischt. Die Thörin! Sie betet einen Gekreuzigten als Gott an; man hat ihr große Versprechungen gemacht, wenn sie ihrem Wahn entsagen und dem Apollo Opfer bringen wollte, aber ihre Antwort ist Nein! und immer Nein! gewesen. Nie werde sie vor einem Geschöpfe die Kniee beugen; diese Ehre gebühre nur dem Einen Gott, dem Schöpfer des Himmels und der Erde. Dabei blieb sie standhaft. So hat man sie denn in die unterirdischen Gewölbe des Flavischen Amphitheaters, des sogenannten Kolosseums, abgeführt.

Hinrichtungen durch wilde Thiere gehörten bekanntlich zu den Schauspielen dieses Hauses, und die Arena war zugleich Bühne und Schaffot. Die Verbrecher wurden bald wehrlos, bald bewaffnet Löwen, Tigern, Bären, Stieren preisgegeben, welche gewissermaßen die Rolle der Folterknechte und Scharfrichter übernahmen und die, wie die „Erscheinungen“ in unseren Theatern, durch eine Maschinerie aus den Versenkungen der Bühne emporgehoben, in ihren Käfigen aufstiegen. Diese Art Exekution, die so vielen Glaubenshelden die Krone des Martyriums gebracht hat, war eine Zugabe zu den großartigen Thierhetzen, die neben den Zweikämpfen der Gladiatoren in diesen blutigen, ungeheuren, furchtbaren und doch wunderbaren und märchenhaften Räumen regelmäßig abgehalten zu werden pflegten.

Wir wollen unsere Märtyrerin oder, wie die Süddeutschen sagen, unsere Martyrin, Prisca nennen, weil diese für die erste Blutzeugin des Abendlandes gilt und in der christlichen Kunst aus einer ähnlichen Darstellung bekannt ist. Sie wird abgebildet mit einem oder zwei Löwen, die sich ihr aber gezähmt und schweifwedelnd vor die Füße legen, da sie im entscheidenden Moment von denselben verschont wurde – eine Wendung, wie sie sich in vielen Heiligenlegenden findet, in denen die Märtyrer nach vielen mißlungenen Versuchen, sie umzubringen, erst durch das Schwert getödtet werden. Ich will nur an den heiligen Januarius erinnern, der im Amphitheater zu Pozzuoli den wilden Thieren gleichfalls vergeblich

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 787. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_787.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)